Krisenstaat

Schwieriger Wiederaufbau

Mehr als 14 Jahre lang herrschte in Liberia einer der schlimmsten Bürgerkriege Afrikas. Im August 2003 endeten die Kämpfe. Seitdem ist es in Liberia friedlich. Doch auch wenn sich vieles in dem Land enorm verbessert hat, so ist die politische Situation doch alles andere als stabil.


[ Von Till Blume ]

Ellen Johnson-Sirleaf ist die erste demokratisch gewählte Präsidentin Liberias. Seit fast drei Jahren bemüht sie sich jetzt, die Leistungsfähigkeit staatlicher Stellen zu erhöhen. Sie will die internationale Verschuldung abbauen und Investitionen fördern. Die politischen Institutionen sind ihr dabei aber keine große Hilfe. Sowohl das Parlament als auch einige Ministerien, die Justiz und die Sicherheitsdienste scheinen aufgrund interner Querelen und institutioneller Streitigkeiten wie gelähmt. Darüber hinaus haben sich viele aus der „alten Garde“ in die neue Zeit retten können. So wurden aus ehemaligen Rebellenchefs Senatoren – wie Prince Johnson, der Folterer und Mörder des früheren Despoten Samuel K. Doe, der sich kürzlich weigerte, vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission auszusagen.

Auch die Korruption bleibt ein großes Problem. Ein Beispiel dafür ist die Spaltung des Parlaments im vergangenen Jahr. Der Streit entbrannte, als dem Sprecher des Parlaments Unterschlagung vorgeworfen wurde. Der frühere Schwiegersohn von Ex-Diktator Charles Taylor trat schließlich von seinem Posten zurück. Zudem sorgten Anschuldigungen des obersten Rechnungsprüfers gegenüber der Präsidentin für Furore: Sie stellten sich als unbegründet heraus, sorgten aber bei den Liberianern und der internationalen Gemeinschaft für Verwirrung. Es gibt jedoch auch positive Zeichen, zum Beispiel werden jetzt Mitglieder der Übergangsregierung von 2003 bis 2005 wegen Korruption angeklagt. Dies zeigt, dass mit Machtmissbrauch, wie er in den vergangenen Jahrzehnten praktiziert wurde, nun Schluss sein soll.

Die Regierung unter Johnson-Sirleaf hat die Verwaltung landesweit neu organisiert. Die Neuordnung der verschiedenen Gebietskörperschaften – Distrikte, Bezirke, Städte und Gemeinden – ist noch nicht abgeschlossen. Bis ins späte 20. Jahrhundert hat es außerhalb von Monrovia so gut wie keine verlässlichen Verwaltungsstrukturen gegeben, und der Bürgerkrieg hat das, was es gab, zerstört. Präsidentin Johnson-Sirleaf musste also von ganz vorne anfangen: Sie ernannte Leiter für die einzelnen Bezirksverwaltungen, die in ihrem Einflussgebiet für die Koordination der Ministerien verantwortlich sein sollten.

In den Ministerien besetzte die Präsidentin viele der höheren Posten mit Liberianern, die während des Bürgerkriegs in die USA ausgewandert waren – so wie sie selbst auch. Trotzdem ist die Arbeitsebene immer noch recht dünn. In Ministerien und Bezirksverwaltungen helfen deshalb Mitarbeiter der UN-Mission in Liberia (UNMIL), der Weltbank und anderer internationaler Organisationen aus. Sie sollen die Beamten weiterbilden und so die Leistungsfähigkeit der staatlichen Institutionen fördern.

Die Arbeitsbelastung bleibt also hoch – sowohl für Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf als auch für die wichtigsten Minister aus ihrer Regierung. Eine besondere Rolle spielt dabei Finanzministerin Antoinette Sayeh. Der Staatshaushalt wird schließlich im Rahmen des „Governance and Economic Management Programme“ (GEMAP) ständig beobachtet. Sayeh hat die Aufgabe, den Haushalt zu stabilisieren und die Steuereinnahmen zu erhöhen. Wichtige volkswirtschaftliche Daten sind erfreulich. Das reale Bruttoinlandsprodukt steigt. Ging die Wirtschaftsleistung 2003 noch um fast ein Drittel zurück, so legte sie im vergangenen Jahr immerhin um knapp neun Prozent zu. Ein Großteil der internationalen Schulden ist gestrichen, und seit diesem Jahr gibt es eine „Poverty Reduction Strategy“ (PRS). Internationale Stahlkonzerne und Kau­tschukproduzenten begannen wieder in Liberia zu investieren. Im vergangenen Jahr beliefen sich diese Investitionen auf rund 97 Millionen Dollar.

Trotz unbestreitbarer Erfolge gibt es weiterhin große Probleme. Liberia bleibt vom Ausland abhängig – inländische Inves­titionen gibt es kaum. Außer kleinen Läden und Marktständen, Schuhputzern und Telefonkartenverkäufern gibt es so gut wie kein klein- oder mittelständisches Unternehmen, das in liberianischer Hand ist. Auch Mikrofinanz-Programme sind selten, die Arbeitslosigkeit ist hoch – schätzungsweise 85 Prozent im formellen Sektor.


Mangelnde Sicherheit

Liberia gilt trotz vieler Probleme als Vorzeigemodell – nicht zuletzt dank UNMIL, die oft als Beispiel für einen integrierten Friedenseinsatz bezeichnet wird. UNMIL-Mitarbeiter sorgen nicht nur für Sicherheit. Sie kümmern sich gemeinsam mit anderen UN-Organisationen auch um humanitäre Hilfe und Entwicklung. Seit Anfang des Jahres reduziert UNMIL aber ihre Kräfte, wenn auch langsam. Dennoch bereitet der Abzug vielen große Sorgen.

Obwohl die liberianischen Sicherheitskräfte mit großen Anzeigetafeln für sich werben, auf denen Sprüche wie „Die Polizei arbeitet für Sie“ stehen, ist doch offensichtlich, dass die LNP (Liberia National Police) und die AFL (Armed Forces of Liberia) ihrer Aufgabe noch lange nicht gewachsen sind. Seit Mitte 2007 wurden zwar mehr Polizisten und Soldaten eingestellt. Inzwischen leisten rund 4500 ihren Dienst. Doch von einer flächendeckenden Versorgung kann noch keine Rede sein. Viele Polizisten, die außerhalb von Monrovia stationiert werden, kommen dort inzwischen mit Hilfe von UNMIL zwar an – haben aber dann vor Ort keine Transport- oder Übernachtungsmöglichkeit. Einige bleiben trotz Versetzung in Monrovia. Dank der neuen LNP-Verwaltung gelingt es aber immer weniger Beamten, sich vor beschwerlichen Landeinsätzen zu drücken.

Auch weil es inzwischen einige Polizis­tinnen bei der LNP gibt, ist das Vertrauen in die Sicherheitskräfte ein wenig gestiegen. Generell kann man auch feststellen, dass die Verbrechensrate sinkt. Trotzdem gibt es noch zahlreiche ehemalige Kämpfer, die versuchen, sich mit Kleinkriminalität über Wasser zu halten. Vergewaltigungen nehmen auch zu.

Dies alles sind Gründe dafür, dass viele Liberianer immer noch nicht viel von staatlichen Institutionen halten – egal um welche Behörde es sich gerade handelt. Stattdessen kommt es zu Lynchjustiz, Pöbeleien und wütenden Kampagnen gegen die Regierung – Protest ist für viele die einzige Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern.

Es hört sich einfach an: „Lasst uns versöhnen und zusammenleben“. Diese Worte stehen an der Providence Bridge, einst ein hart umkämpfter Ort in Monrovia. Doch der Wiederaufbau eines Landes ist mühsam. Liberia müsse neu erfunden werden, schrieb Stephen Ellis (2006). Das ist noch nicht geschehen.

Die traditionellen Stammesführer etwa spielen immer noch eine große Rolle. Doch in welcher Beziehung sie zu den Leitern der Bezirksverwaltungen stehen, ist unklar. Auch die vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen brauchen mehr Unterstützung, um an internationalen Programmen teilhaben und eigene Strategien entwickeln zu können. Der Aufbau einer modernen Verwaltung, der Ausbau der Infrastruktur und die Förderung von Ausbildung sind wichtige Bereiche, die das Überleben der Menschen und die nachhaltige Entwicklung des Landes sichern. Trotz großer Anstrengungen bleibt viel zu tun. Auch der Versöhnungsprozess auf nationaler und kommunaler Ebene kommt nur langsam voran. Für die künftige Entwicklung sind die Liberianer verantwortlich: Einerseits müssen die Regierungsbehörden noch härter arbeiten, um das Vertrauen ihrer Bürger zurückzuerlangen. Nicht zuletzt war die Spaltung zwischen Ameriko-Liberianern, die wieder die Regierung stellen, und Liberianern indigener Abstammung einer der Ursachen für den Bürgerkrieg. Eine gemeinsame Vision zu entwickeln ist deshalb wohl die schwierigste Aufgabe.

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