Ethno-religiöse Gruppen

Wahlkampf mit rassistischem Rückenwind

In Sri Lanka stehen im Dezember Präsidentschaftswahlen an. Bei dem Urnengang werden die Menschen auch darüber abstimmen, ob sie unter einer buddhistisch-singhalesischen Theokratie leben wollen oder in einem offenen, multikulturellen Land, in dem alle Religionen und Ethnien die gleichen Rechte haben.
Galagoda Atthe Gnanasara nach seiner Freilassung im Mai. Pradeep Dambarage/picture-alliance/ZUMA Press Galagoda Atthe Gnanasara nach seiner Freilassung im Mai.

Die Bombenanschläge am Ostersonntag auf drei Kirchen und drei Hotels, bei denen rund 260 Menschen getötet wurden, haben Sri Lanka aus einer zehnjährigen weitgehend friedlichen Zeit gerissen. Seit dem Ende des Bürgerkriegs zwischen den Befreiungstigern von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam – LTTE) und den Regierungstruppen war es relativ ruhig gewesen. Unter der Oberfläche köchelten die Spannungen jedoch stets weiter, und neue kamen hinzu.

Die Selbstmordattentate vom April, verübt von extremistischen Islamisten der Organisation National Thowheed Jamaat, waren gegen die christliche Minderheit in Sri Lanka gerichtet. Doch sie dienten sofort Buddhisten als Legitimation für anti-muslimische Ressentiments und Aktionen. Rechtsnationalistische Organisationen wie die „buddhistische Streitmacht“ Bodu Bala Sena (BBS), eine von buddhistischen Mönchen gegründete Organisation, die schon seit Langem vor islamistischem Extremismus gewarnt hatten, erhielten Rückenwind.

Die ethnischen und religiösen Spannungen in Sri Lankas komplexer Gesellschaft gehen bis auf die Kolonialzeit und davor zurück. Sie haben immer wieder zu Gewalt geführt. Zu den Ereignissen, die in die Geschichte eingingen, gehören beispielsweise die Kotahena-Aufstände von 1883, blutige Zusammenstöße zwischen Buddhisten und Katholiken sowie die singhalesisch-muslimischen Krawalle von 1915, in denen Buddhisten gegen Muslime kämpften.

Dabei können ethnische und religiöse Ursachen der Konflikte nicht voneinander getrennt werden: Die Zugehörigkeiten überlappen sich in Sri Lanka, und religiöse Identität bildet zu einem gewissen Teil die Grundlage der ethnischen Identität. So entstanden „ethno-religiöse“ Gruppen.

Die größte Bevölkerungsgruppe bilden die Singhalesen, die überwiegend Buddhisten sind. Die zweitgrößte Gruppe sind die Tamilen, mehrheitlich Hindus. Darüber hinaus gibt es Muslime und Christen, Letztere sowohl unter Singhalesen als auch unter Tamilen, sowie einige weitere kleine Religionsgemeinschaften.

Die buddhistischen Singhalesen sehen Sri Lanka von jeher als ihr Heimatland an. Sie sagen, sie hätten schon immer hier gelebt. Aus ihrer Sicht haben sie eine ununterbrochene Geschichte als buddhistisch-singhalesische Nation. Die hinduistischen Tamilen hingegen lebten als Minderheit immer in einem Gefühl der Unsicherheit. Manche von ihnen wurden von der britischen Kolonialmacht auf die Insel gebracht, um auf Plantagen zu arbeiten. Ihr Gefühl des Ausgegrenztseins verstärkte sich, als die Singhalesen nach der Unabhängigkeit an die Macht kamen und Sonderrechte der ethnischen Minderheiten – etwa in den Bereichen Bildung, Handel und Politik – beschnitten.


Sprache, Religion und Identität

Eine wichtige Rolle spielt die Sprache. Bis zur Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1948 war Englisch die Amts- und Bildungssprache. Danach entbrannte ein Streit darüber, ob Singhalesisch und Tamil diese Funktion gleichberechtigt übernehmen sollten – oder nur die Sprache der Bevölkerungsmehrheit. Nach einem Wahlkampf, der zu großen Teilen darüber geführt wurde, kam 1956 eine nationalistische Koalition an die Macht, die Singhalesisch als einzige offizielle Sprache durchsetzte.

Das war einer der Hauptauslöser dafür, dass die Tamilen in den 1960er und 70er Jahren begannen, für sprachliche und politische Rechte zu kämpfen. Als ihnen diese nicht gewährt wurden, forderten sie einen eigenen Staat in den Gebieten, in denen sie die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Als auch das scheiterte, griffen mehrere Gruppen zu den Waffen. Die Folge waren drei Jahrzehnte Bürgerkrieg.

Der Konflikt wird oft als ethnischer Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen dargestellt. Die Mobilisierung und Rhetorik waren aber auch stark religiös geprägt (Buddhisten gegen Hindus). Den Sieg über die LTTE stellte die damalige nationalistische Regierung unter Präsident Mahinda Rajapaksa schließlich als Sieg der Singhalesen über die Tamilen dar und als Aufstieg des in Sri Lanka praktizierten Buddhismus über alle anderen Religionen.

Auch nach 2009 waren die ethnischen und religiösen Spannungen nicht verschwunden. Alle folgenden Regierungen haben sie genutzt und gehen bis heute nicht entschieden gegen radikale Prediger und Intoleranz vor, um ihre Wählerschaft nicht zu vergraulen. Christen, besonders die Anhänger der evangelikalen Kirchen, werden bedroht und eingeschüchtert. Auch Muslime waren in den vergangenen Jahren zunehmend Ziel von Angriffen und Hassreden. Sie gehen zumeist von nationalistisch-buddhistischen Gruppen wie BBS aus, die im Laufe der Jahre zu einer Bewegung geworden ist, die große Teile der sri-lankischen Gesellschaft erreicht. Sie konnte außerdem auf die stillschweigende Unterstützung der Regierung Rajapaksas zählen, der bis 2015 im Amt war.

Bei einer großen Demonstration im Februar 2013 veröffentlichte BBS eine Zehn-Punkte-Resolution, die unter anderem vorsah, dass Lebensmittel nicht mehr als halal zertifiziert werden, Frauen nicht mehr im Nahen Osten arbeiten dürfen und keine Moscheen mehr gebaut werden, die von arabischen Ländern bezahlt werden. Außerdem verbreitete sie die Behauptung, Muslime würden das buddhistische Erbe zerstören und muslimische Geschäftsinhaber ihre singhalesischen Angestellten zwingen, zum Islam überzutreten. Diese breit angelegte Kampagne gipfelte im Juni 2014 in Aufständen, die vier Menschen das Leben kosteten. Rund 80 weitere wurden verletzt und Tausende vertrieben. Die Anführer von BBS und anderen radikalen Gruppen kamen ungeschoren davon.

Eine weitere Welle der Gewalt gegen Muslime gab es im Februar 2018. Diesmal ging sie in erster Linie von der Gruppe Mahason Balakaya aus. In Sri Lankas Zen­tralprovinz wurden zahlreiche Geschäfte zerstört, die Muslimen gehörten, nachdem eine Gruppe muslimischer Jugendlicher im Streit einen Singhalesen getötet hatte. Ein sehbehinderter Muslim starb in einem brennenden Haus. Die Anführer der verantwortlichen extremistischen Organisationen wurden festgenommen und angeklagt. Sie sind derzeit auf Kaution frei.

Die Attentate von Ostersonntag führten zum jüngsten Aufflammen antimuslimischer Aktionen. Gut drei Wochen danach wurden muslimische Geschäfte in mehreren Städten im Nordwesten und Westen angegriffen. Laut dem muslimischen Aktivisten Hilmy Ahamed liegen den meisten dieser Vorfälle geschäftliche Rivalitäten zugrunde. „Aber mit Rassismus wird der Mob mobilisiert.“ Gegen muslimische Firmen läuft eine regelrechte Kampagne, und viele Singhalesen haben ihre Geschäfte mit „Api Sinhala“-(„Wir sind Singhalesen“-)Aufklebern versehen.


Bestürzende Begnadigung

Galagoda Atthe Gnanasara, ein buddhistischer Mönch und Generalsekretär von BBS, wurde im vergangenen Jahr zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er Anwälte und eine Zeugin vor Gericht bedroht hatte. Kurz nach dem Ostersonntagsterror begnadigte Präsident Maithripala Sirisena ihn, obwohl er noch nicht einmal ein Jahr seiner sechsjährigen Strafe abgesessen hatte. Damit scheint der Staatschef sich die Unterstützung der buddhistisch-singhalesischen Hardliner sichern zu wollen. Die aktuelle Regierung hat den radikalen Mönch auch zuvor nicht kritisiert – obwohl sie hauptsächlich mit den Stimmen von Hindus, Christen und Muslimen an die Macht gekommen war. Die Begnadigung löste Bestürzung unter Menschenrechtlern in Sri Lanka aus. Sie wird nun vor Gericht angefochten. BBS hingegen genießt die volle öffentliche Aufmerksamkeit, hält große Kundgebungen ab und dominiert die Fernsehberichterstattung.

Die ethnischen Spannungen spielen auch der nationalistischen Sri Lanka Podujana Party (SLPP) unter der Führung von Ex-Präsident Rajapaksa in die Hände. Sie will bei den anstehenden Wahlen mit dessen Bruder Gotabaya Rajapaksa als Kandidat zurück an die Macht gelangen und versucht, sich die Unterstützung der singhalesischen Wähler mit rassistischen Äußerungen zu sichern. Gnanasara sagte auf einer Demonstration in der Stadt Kandy sogar, er wolle ein Parlament, in dem nur buddhistisch-singhalesische Abgeordnete sitzen. „Wir dürfen keine Minderheiten im Parlament haben, denn das gibt ihnen die Macht, über Regierungen zu entscheiden.“

Es ist zu hoffen, dass der bevorstehende Wahlkampf eine öffentliche Debatte darüber auslöst, in was für einem Land die Sri Lanker leben wollen. Ob sich schließlich die buddhistisch-singhalesische Theokratie durchsetzen wird oder eine multikulturelle Vision mit dem Mut, alle Religionen und Ethnien gleich zu behandeln, die Oberhand gewinnt, werden wir im Januar wissen. Die Ironie besteht darin, dass unterschiedliche Religionsgemeinschaften in Sri Lanka lange friedlich zusammengelebt haben. Dieser Frieden ist aber nicht garantiert, denn Identitätspolitik ist für rücksichtslose Politiker ein Vehikel zur Macht.


Anupama Ranawana-Collie ist Theologin, Autorin und Wissenschaftlerin und derzeit Gastwissenschaftlerin an der Oxford Brookes University im britischen Oxford
Twitter: @ARanawana25

Arjuna Ranawana arbeitet als Redakteur bei RepublicNext.com.
arjuna@republicnext.com

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