Kommentar

Weltpolitisch ignorant

Seit Jahrzehnten gibt es Entwicklungspolitik. Dennoch herrscht vielerorts weiterhin Armut. Also sollte man die Entwicklungspolitik – so meinen manche Kritiker – wegen erwiesener Unfähigkeit einstellen. Die Argumentation ist krude und machtpolitisch motiviert.


[ Von Hans Dembowski ]

William Easterly äußert sich oft skeptisch über Entwicklungspolitik. Der Ökonom stand anderthalb Jahrzehnte lang im Dienst der Weltbank. Heute ist er Professor an der New York University – und sein Lieblingsthema ist das Scheitern seines Berufsstandes, der Entwicklungsexperten.

Easterly spottet zum Beispiel über die Growth Commission, die für die Weltbank erörtert hat, wie Wirtschaftswachstum in armen Ländern entsteht (E+Z/D+C Juni, S. 225). Ihr Abschlussbericht sei so vage, schrieb er in der Financial Times, dass er nur Ratlosigkeit und mithin die Verzichtbarkeit jeglicher Entwicklungsexpertise belege. Seine Polemik schloss mit dem Plädoyer für „Freiheit“ als Grundlage erfolgreichen Wirtschaftens, was Friedrich von Hayek schon vor langer Zeit erkannt habe.

Richtig ist, dass die Kommission kein allgemeingültiges Patentrezept abgegeben hat. Allerdings skizziert sie eine differenzierte Rolle des Staates. Anders als Hayeks Adepten von Friedman bis Thatcher empfiehlt sie nicht, einfach dem Markt freies Spiel zu lassen, was sich seinerzeit auch in radikalen Deregulierungs- und Privatisierungsstrategien der Weltbank niederschlug. Die Growth Kommission rät Regierungen, dafür zu sorgen,
– dass die heimische Industrie durch Innovation und Imitation wettbewerbsfähig wird,
– dass dank Teilhabe am Fortschritt ökonomisch sinnvolle Reformen breit akzeptiert werden und
– dass Mittel für Infrastruktur und Fachkompetenzen ausreichend fließen.
Wer den Aufstieg asiatischer Schwellenländer erklären will, findet hier interessante Argumente. Easterlys Freiheitsemphase dient dagegen kaum dazu, die jüngste Vergangenheit des Stadtstaats Singapur zu verstehen – von der riesigen Volksrepublik China ganz zu schweigen.

Dass Entwicklung nicht überall so gelingt wie erwünscht, hat viele Gründe. Es ist ein alter Hut, dass die Welthandelsordnung arme Agrarstaaten benachteiligt. Dreist ist es aber, die wettbewerbsverzerrende Wirkung von subventionierten Landwirtschaftsüberschüssen, die reiche Länder als Nahrungsmittelhilfe an arme liefern, allein der Entwicklungspolitik anzulasten, wie das Thilo Thielke bei Spiegel Online im Juni tat – gerade so, als trügen die Handels-, Agrar- und Wirtschaftsminister der Industrienationen keine Verantwortung für internationale Missstände.

Thielke mokiert sich über Entwicklungshelfer, auf die sich verantwortungslose Politiker in Afrika stützten. Er kreidet alle Übel armer Länder von schlechten Straßen über Korruption bis hin zu Hunger der Entwicklungspolitik an. Dass dysfunktionale Eliten in aller Welt oft von der Außen-, Sicherheits- und Rohstoffpolitik reicher Länder profitieren sowie vom Agieren multinationaler Konzerne, erwähnt er nicht.

Zum Vergleich: Niemand fordert, die Ministerien für Wirtschaft oder Arbeit und Sozialordnung abzuschaffen, nur weil in der Bundesrepublik seit den 70er Jahren millionenfache Arbeitslosigkeit herrscht. Dass es Kriminelle gibt, wird nirgends als Argument gegen die Existenz von Polizei, Innenministerien und Justiz genutzt. Wären ausgeglichene Haushalte die Daseinsberechtigung von Finanzministerien, gäbe es davon weltweit nur noch wenige.

Fachpolitik kreist immer um große, ungelöste und teils sogar unlösbare Probleme. Das Ende der weltweiten Armut wäre ein Grund, die Entwicklungspolitik abzuschaffen. Solange das nicht der Fall ist, werden wir über ihre Mittel, Methoden und Rahmenbedingungen diskutieren – aber doch nicht darüber, ob überhaupt etwas zu tun ist.

Die politische Rechte der Weltmacht USA hat ein klares Motiv, wenn sie gegen multilaterale Institutionen wettert. Easterly spielt ihr Spiel, auch wenn er das gern abstreitet. Dass Der Spiegel, der amerikanische Alleingänge meist ablehnt, ähnliche Töne anstimmt, zeugt nicht von entwick­lungspolitischer Kompetenz – sondern weltpolitischer Ignoranz. Die Vorteile der Globalisierung werden nur dann fair verteilt werden können, wenn ressortübergreifend in Kategorien einer fairen Weltordnung gedacht wird. Das tut aber gerade nicht, wer die Verantwortung der mächtigsten Ministerien und Interessen in reichen Ländern ausblendet.

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