Vereinte Nationen

Echter Wandel oder bloßer Austausch?

Nach dem ersten Humanitären Weltgipfel im Mai in Istanbul sieht das Glas halb voll aus. Der Anfang war gut. Nun muss mehr geschehen.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bei der Abschlussveranstaltung in Istanbul. Pala/picture-alliance/dpa UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bei der Abschlussveranstaltung in Istanbul.

Vor drei Jahren begann UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Pläne für eine Gipfelkonferenz zu machen, damit Politiker, Hilfswerke, Wirtschaftsführer und zivilgesellschaftliche Organisationen sich gemeinsam der Menschheitsaufgabe stellen, menschlichem Leid vorzubeugen und es zu lindern. Das war vorausschauend. In diesem Jahr dürften 125 Millionen Menschen humanitäre Hilfe brauchen – Tendenz steigend.

Der Gipfel hat viele verschiedene Akteure mobilisiert und den semantischen Wandel vom „humanitären System“ zum „humanitären Ökosystem“ vollzogen. Der Paradigmenwechsel betont die geteilte Verantwortung für humanitäre Pflichten. Er spiegelt die enorme Vielfalt etablierter und neuer Akteure wider sowie die Notwendigkeit, dass sie besser kooperieren. Geberregierungen, UN-Institutionen, nichtstaatliche Organisationen, Wirtschaftsunternehmen und andere stellen sich endlich gemeinsam dringenden Herausforderungen. Relevante Fragen sind dabei:

  • Wie gehen wir mit anhaltenden Krisen um?
  • Wie stellen wir uns humanitären Nöten und zugleich dem Entwicklungsbedarf verletzlicher Gemeinschaften und Länder?
  • Wie bereiten wir uns besser auf Notfälle vor?

Das Gipfelergebnis ist keine verbindliche Deklaration, sondern eine Vielzahl freiwilliger Verpflichtungen diverser Akteure. Dabei geht es etwa um mehrjährige Mittelzusagen bei lang andauernden Krisen, neue Konzepte für Effizienz und Wirksamkeit sowie mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht.

Gut ist auch, dass das Bewusstsein für die besondere Relevanz örtlicher Organisationen und Akteure in Notsituationen weiter geschärft wurde. Sie reagieren als Erste; sie treiben Wandel voran. Konsens war, dass sie gestärkt werden müssen – und dass betroffenen Menschen im Mittelpunkt der Nothilfe stehen, so dass humanitäre Organisationen ihnen mehr Rechenschaft schulden als den Geldgebern.

Derlei ist im „Grand Bargain“, dem Paket der wichtigsten Gipfelverpflichtungen, enthalten. Der Grand Bargain wird derzeit von etwa 30, meist westlichen, internationalen Hilfswerken und Geberregierungen getragen. Höhere Effizienz soll in den nächsten Jahren helfen, Kosten im Wert von 1 Milliarde Dollar zu reduzieren. Zudem soll 2020 ein Viertel der gesamten humanitären Gelder örtlichen Organisa­tionen zukommen. Leider ist der Grand Bargain aber institutionell nirgends verankert, er spricht auch die Aufgaben verletzlicher und betroffener Staaten nicht an und enthält keine Verpflichtung, der Zivilgesellschaft mehr Einfluss zu geben.

Gewaltkonflikte sind heute der Grund von 80 Prozent der humanitären Nöte. Es könnte mehr getan werden, um solche Krisen besser zu beobachten und in sie einzugreifen. Dass die Zahl der Konflikte wächst und massenhafte Vertreibung auslöst, ist klar.

Zudem verstört die massenhafte Verletzung des internationalen humanitären Rechts. Immer mehr Mitarbeiter von Hilfswerken und Zivilisten werden bei Terrorangriffen und Militärpannen getötet oder verletzt. Die Menschheit muss in Prävention investieren, in rechtzeitiges diplomatisches Handeln und in Konfliktmediation. Auch Extremwetterlagen und Klimawandel führen zu humanitärer Not. Es ist richtig, angesichts solcher Herausforderungen Nothilfe und langfristige Entwicklungsbemühungen zu verbinden. Allerdings warnen manche Hilfswerke zu Recht, dass das nicht zur Erosion humanitärer Grundsätze führen darf.

Wichtige Themen hat der Gipfel nicht behandelt. Dazu gehören die Reform des UN-Sicherheitsrats und diverser UN-Organisationen sowie die Strafverfolgung derer, die internationales humanitäres Recht brechen. Leider wurden nur 55 von 173 UN-Mitgliedsländern von Regierungs- oder Staatschefs vertreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel war die einzige G7-Spitzenpolitikerin in Istanbul. Die zivilgesellschaftliche Beteiligung war stark, aber das Engagement der Regierungen enttäuschte.

Dem offiziellen „Chair’s Summary“ zufolge hat der Weckruf des Gipfels weltweiten Schwung und politischen Willen ausgelöst. Das sagt sich leicht. Katastrophen sind heute meist menschengemacht. Also sind politische Lösungen, die humanitären Prinzipien entsprechen, nötig. Die Staatengemeinschaft muss die Probleme an der Wurzel packen. Mehr Geld und mehr Effizienz zu versprechen wird sich als unzureichend erweisen, wenn zugelassen wird, dass die Krisen immer schlimmer werden.


Priya Behrens-Shah ist bei der Welthungerhilfe Expertin für humanitäre Angelegenheiten.
priya.behrens-shah@welthungerhilfe.de

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