Sahelzone

Wie die Sahelzone mit Dynamik aus der Krise kommt

Wenn die Länder der Sahelzone ihr rapides Bevölkerungswachstum in den Griff bekommen, haben sie die Chance, eine „demografische Dividende“ einzufahren. Dafür gilt es insbesondere, junge Frauen und Mädchen zu stärken.
Die Klimakrise verschärft die Wasserknappheit in der Sahelzone. picture-alliance/Robert Hading/Michael Runkel Die Klimakrise verschärft die Wasserknappheit in der Sahelzone.

Die Sahelzone, die sich entlang des südlichen Randes der Sahara zieht, hat den Ruf einer Krisenregion. Zu den größten Problemen zählen bewaffnete Konflikte und die sich klimabedingt verschärfende Wasserknappheit. Frauen und Mädchen sind den wachsenden ökologischen Bedrohungen in besonderem Maße ausgesetzt.

Seit 2015 hat sich der extreme militante Dschihadismus in der Sahelzone verdoppelt und viele Todesopfer gefordert. In einem aktuellen Bericht weist das UN-Büro für Westafrika und die Sahelzone (UN Office for West Africa and the Sahel – UNOWAS) darauf hin, dass in Burkina Faso, Mali und Niger 2019 mehr als 4000 Menschen durch Terrorismus ums Leben kamen. Drei Jahre zuvor lag die Zahl bei 770. Zu den extremistischen Gruppen gehören Al Kaida im Maghreb (AQIM) und Boko Haram, aber auch separatistische Tuareg machen Probleme. Covid-19 hat die humanitäre Lage in der Sahelzone verschärft und zu einem Anstieg der Unruhen um etwa 10 Prozent seit 2020 beigetragen. Immer mehr Menschen fliehen aus ihrer Heimat. Die Zahl der Binnenvertriebenen und grenzüberschreitenden Flüchtlinge ist weiter gestiegen. Internationale Massenmedien stellen die Region als von vielen schweren Problemen geplagt dar. (Zur Lage in Nigeria siehe Ben Ezeamalu auf der E+Z/D+C-Plattform.)

Gefährdete Frauen und Mädchen

Die multidimensionale Krise droht die Fortschritte bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu untergraben. Studien zeigen, dass die sexuelle und reproduktive Gesundheit bei Konflikten, Naturkatastrophen und gesundheitlichen Notlagen häufig übersehen wird – mit schwerwiegenden Folgen. Schwangeren ohne Zugang zu Geburtshilfe drohen lebensbedrohliche Komplikationen. Frauen und Mädchen verlieren oft den Zugang zu Angeboten der Familienplanung und sind dadurch ungewollten Schwangerschaften ausgesetzt. Das erhöht auch ihr Risiko, Opfer sexueller Gewalt und Ausbeutung zu werden oder sich mit HIV zu infizieren.

Besorgniserregend ist auch das Bevölkerungswachstum. Die Sahelzone hat die weltweit höchste Geburtenrate, derzeit schätzungsweise fünf bis sieben Kinder pro Frau. Zurzeit leben geschätzte 414 Millionen Menschen in der Sahelzone. Laut Weltbank werden es in den 23 Ländern der Sahelzone und Äquatorialafrikas bis 2050 eine Milliarde Menschen sein.

Der hohe Anteil junger Menschen an der Bevölkerung führt dazu, dass die Sahelzone mit etwa 87 Prozent den welthöchsten Abhängigkeitsquotienten aufweist – das heißt, relativ viele Personen im nicht erwerbsfähigen Alter stehen relativ wenigen im erwerbsfähigen Alter gegenüber. Das setzt die arbeitende Bevölkerung unter Druck. Da jedoch viele junge Menschen heranwachsen und anfangen zu arbeiten, könnte die Region künftig von einer „demografischen Dividende“ profitieren: wenn es wesentlich mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter gibt als im nicht erwerbsfähigen Alter. Das wiederum kann zu Wachstum und Wohlstand beitragen.

Zwei Dinge sind dafür nötig:

  • die junge Generation braucht eine gute Ausbildung und
  • die Gesamtfertilitätsrate muss sinken.


Strategie des UNFPA

Um dies zu erreichen, setzt der UN-Bevölkerungsfonds (UN Population Fund – UNFPA) darauf, in die Jugend von heute zu investieren, damit aus ihr die produktiven Erwachsenen von morgen werden. Diesen Plan verkündete 2016 das UNFPA-Regionalbüro für West- und Zentralafrika gemeinsam mit der Afrikanischen Union (AU), die 55 afrikanische Staaten vertritt.

Der Fokus muss auf jungen Frauen und Mädchen liegen. Traditionell werden sie als zukünftige Mütter gesehen. Dieses Rollenbild muss sich ändern. Erfahrungen weltweit zeigen, dass Bildung und größerer Wohlstand dazu führen, dass Frauen weniger Kinder bekommen – auch weil sie darauf vertrauen, dass diese Kinder überleben werden.

Es gibt bereits mehrere Vorzeigeprojekte. Eines zielte schon 2017 in Dakar, Senegal, darauf ab, Frauen und Mädchen im Stadtbezirk Gueule Tapee-Fass-Colobane zu unterstützen – durch Investitionen in kommunale Dienstleistungen und Infrastruktur. Das Projekt klärt außerdem über sexuelle und reproduktive Gesundheit auf.

Ein weiteres Projekt heißt Sahel Women’s Empowerment and Demographic Dividend (SWEDD). Es hat ein regionales Zentrum für die Ausbildung von Hebammen eröffnet und ein Netz von Kliniken zur geburtshilflichen Notfallversorgung etabliert. Außerdem hat es mehrere Räume geschaffen, in denen Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt sicher sind.

Die Ergebnisse sind beeindruckend. Unter anderem ist das Bewusstsein für Geschlechterfragen gestiegen: 20 Millionen Zuschauer in sieben Hauptstädten in West- und Zentralafrika verfolgten die Erstausstrahlung von C’est la Vie („So ist das Leben“), einer im Senegal gedrehten Fernsehserie, die sich um Gesundheit in der Familie dreht. Zudem wurden mehr als 106 000 Mädchen dabei unterstützt, in der Schule zu bleiben und nicht früh zu heiraten. Fast 100 000 Mädchen im Teenageralter nehmen an Kursen zur beruflichen Bildung und anderen wirtschaftlichen Angeboten teil.

In Zukunft sollten diese erfolgreichen Programme auf ganz Afrika ausgeweitet werden. Sie schaffen das richtige Umfeld, um die demografische Dividende einzufahren. Gerade die Sahelzone hat hier enormes Potenzial: Ihre Jugend ist ihr größtes Kapital. Ihre Positivbeispiele zeigen, dass die demografische Dividende tatsächlich zu Frieden, Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung beitragen kann.


Mabingué Ngom leitet das Vertretungsbüro des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) bei der Afrikanischen Union (AU) und der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (UN Economic Commission for Africa – UNECA). Außerdem ist er ein Leitender Berater der Direktorin des UNFPA.
Twitter: @mabinguengom1

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