Klimawandel

Die langfristigen Folgen der „kleinen Eiszeit”

Im 16. Jahrhundert löste eine globale Abkühlung tiefgreifenden Wandel in Europa aus. Der Historiker Philipp Blom hat ein Buch über die Auswirkungen der „kleinen Eiszeit“ (etwa von 1570 bis 1700) geschrieben, in dem er auch Bezüge zum heutigen Klimawandel herstellt.
Schwedische Truppen belagern 1631 Frankfurt an der Oder. picture-alliance/Sammlung Kotterba/dpa-Zentralbild Schwedische Truppen belagern 1631 Frankfurt an der Oder.

Im späten 16. Jahrhundert fielen die Temperaturen um drei bis fünf Grad. Die Ursachen sind nicht klar. Fest steht aber, dass die Ernten schlecht waren, sodass die Menschen erhebliche Not litten. In „Die Welt aus den Angeln“ erläutert Blom, die umfassende gesellschaftliche Transformation, die daraufhin in Europa stattfand. Zu ihren Ergebnissen gehörten sowohl die moderne empirische Wissenschaft als auch weltumspannende Kolonialreiche.

Der Wandel war nicht geplant. Er ergab sich aus den Reaktionen verschiedener Akteure auf die Krise. Blom hält die globale Abkühlung nicht für die alleinige Ursache, betont aber, sie habe die Entwicklungstrends beschleunigt.

Im späten 16 Jahrhundert wurden die Winter kälter und länger. Die Sommer fielen kühler, feuchter und kürzer aus. Hungersnöte brachen aus. Der Kampf um Ressourcen verschärfte sich, und Gewaltkonflikte wurden mit dem Glauben begründet. Die Menschen glaubten, Gott sei ärgerlich. In diversen europäischen Ländern kam es zu Religionskriegen.

Neuartige Waffen – Kanonen zum Beispiel – machten die Kriegsführung immer teurer und verheerender. Die Machthaber brauchten Geld, und die Volkswirtschaften wurden monetarisiert. Technische Kompetenz war wichtiger als die Kraft und der Mut der Soldaten. Neue Ansätze wurden auch anderweitig getestet. Die aus Amerika eingeführte Kartoffel wurde zum wichtigen Grundnahrungsmittel – unter anderem, weil marodierende Heerscharen Kartoffeläcker nicht so leicht vernichten können, wie sich Getreidefelder niederbrennen lassen.

Nach Jahren des brutalen Blutvergießens blieb aber weiterhin unklar, auf wessen Seite Gott stand. Gelitten wurde überall. Die Theologie verlor an Einfluss. Gelehrte interessierten sich zunehmend für empirische Belege und verbrachten weniger Zeit mit dem Studium der Bibel. Es wurde experimentiert, um neue Lösungen für weltliche Probleme zu finden.

Derweil expandierten die Handelsbeziehungen und wurden zunehmend komplex. Zunächst wurde Getreide aus dem Baltikum und später Rohstoffe aus aller Welt importiert. Die Macht des Adels, die auf Grundbesitz beruhte, ging zugunsten des neuen, urbanen Bürgertums zurück. Die Städte wuchsen schnell, allerdings mussten sich verzweifelte Landflüchtige meist mit Elendsquartieren begnügen.

Technischer Fortschritt und die neuen ökonomischen Denkweisen, die sich im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts herausbildeten, führten nach Bloms Darstellung zur industriellen Revolution. Er sieht den heutigen globalen Kapitalismus als Konsequenz dieser Entwicklungen.

In Europa stellten sich die Eliten erfolgreich auf die Klimakrise ein. Sie waren teils neu aufgestiegen, teils gehörten sie zum angestammten Adel. Sie bildeten neue Bündnisse und schufen Kolonialreiche. Den Preis für Europas Aufstieg zahlten Kolonien in der ganzen Welt – sowie die armen und unterdrückten Massen Europas.

Blom führt aus, dass die kleine Eiszeit eine Triebfeder der abendländischen Aufklärung war. Allerdings hält er diese Philosophie für zweischneidig. Die Idee der Menschenrechte entstand, deren universelle Gültigkeit Blom bekräftigt. Derweil stellt er klar, dass einige der wichtigsten Denker – wie beispielsweise John Lock und Voltaire – selbst von kolonialer Unterdrückung und Sklavenhandel profitierten.

Das Buch zeigt, dass Klimawandel weitreichende Folgen haben kann. Der Autor betont aber, dass die heutige Welt anders ist. Im Gegensatz zu unseren Vorfahren während der kleinen Eiszeit müssen wir wissenschaftliche Methoden nicht erst entwickeln, um zu verstehen, was mit dem Klima geschieht. Wir wissen sogar, was zu tun ist, um das Schlimmste zu verhindern. Ob unsere Politik, unsere Institutionen und unsere gesellschaftlichen Strukturen dazu in der Lage sind, entsprechend zu reagieren, ist eine andere Frage.


Literatur
Blom, P., 2017: Die Welt aus den Angeln. München: Carl Hanser.

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