Identitätspolitik

Riskante Wahl

Narendra Modi, ein rechter Charismatiker, hat die indischen Wahlen gewonnen. Sollte seine Regierung Schwierigkeiten bekommen, könnte er destruktive Hetze gegen Muslime starten.
Narendra Modi. picture-alliance / dpa Narendra Modi.

Oppositionsparteien gewinnen Wahlen nicht, Amtsinhaber verlieren sie. Die Kongresspartei, die Indien zehn Jahre lang regiert hat, treibt seit fünf Jahren ziellos vor sich hin. Sie hat eine Legislaturperiode vergeudet, ohne – außer Korruptionsskandalen – Nennenswertes zustande zu bringen. Das Gesetz über Ernährungssicherheit vom vergangenen Jahr wurde zu spät verabschiedet, um schon irgendeine nachhaltige Wirkung zu haben.

Vor fünf Jahren war das anders. 2009 gewann der Congress problemlos dank der innovativen Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee, die das Leben vieler armer Menschen spürbar verbessert hatte. Es war allerdings ein Pyrrhussieg. Die Partei brauchte danach ihre linken Koalitionspartner nicht mehr und wurde selbstgefällig.

Der Kongress hat die Wahl verdientermaßen verloren – und die Bharatiya Janata Party (BJP) schien vielen Wählern die klare Alternative zu sein. Die BJP ist die andere große, landesweit aktive Partei. Ihr Spitzenmann Narendra Modi ist seit mehr als zehn Jahren Ministerpräsident des Bundesstaats Gujarat. Er hat den Ruf eines durchsetzungsstarken Mannes, was imposante Wachstumsraten in seinem Bundesland untermauert haben.

Modi kommt auf demokratische Weise an die Macht, aber er ist eine riskante Wahl. Seine Partei ist eng mit dem Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) verflochten, einem hindu-chauvinistischen Bund mit gewalttätiger Geschichte. Modis Aufstieg zur Parteispitze begann im RSS. Während seiner Amtszeit wurden in Gujarat bei Pogromen 2002 rund 1000 Muslime ermordet. Vor Gericht wurde ihm keine persönliche Schuld nachgewiesen, aber er hat die Polizei das Blutbad auch nicht unterbinden lassen. Er hat sich nicht einmal von den Tätern distanziert.

Für den RSS ist Indien ein Land von und für Hindus. Der Bund und die diversen Organisationen, die sein Umfeld bilden, fordern eine internationale Führungsrolle für Indien. Fanatiker wollen zudem, dass in Ayodhya ein Tempel dort gebaut wird, wo früher die Babri-Moschee stand. Diese hatten Radikale unter BJP-Führung 1992 abgerissen, woraufhin tödliche Krawalle Indien, Pakistan und Bangladesch erschütterten. Die hasserfüllte Intoleranz des RSS gegenüber Muslimen erinnert an die genozidale Haltung der Nazis gegenüber Juden. Viele RSS-Anhänger meinen, jetzt sei ihre Zeit gekommen.

Die BJP hat radikale und moderate Mitglieder. Unter Atal Bihari Vajpayee, der zur Jahrtausendwende als BJP-Premier Indien regierte, geschah in Ayodhya nichts. Er war aber auf Koalitionspartner angewiesen und stand selbst nie im Verdacht ein Hardliner zu sein. Für Modi gilt das nicht. Die Radikalen wollen diesmal mehr sehen. Im Wahlkampf hat sich Modi bedeckt gehalten. Er heizte die Stimmung nicht an, grenzte sich aber auch nicht vom Fanatismus an. Er konzentrierte sich auf Wirtschaftsthemen. Die Wähler - besonders die jungen, für die 2002 schon weit zurück liegt - erwarten ein Wirtschaftswunder, und viele könnten bald enttäuscht werden.

Beobachter sagen, Modi wird keine Diktatur einführen können. Es stimmt, dass Indien ein sehr heterogenes Land ist und Hinduismus für Identitätspolitik nicht recht taugt. Wahrscheinlich verstehen sich nicht einmal die Hälfte der Inder als Hindus, wie der RSS die Religion definiert. Obendrein ist die Gewaltenteilung mit unabhängiger Justiz und starken Landesregierungen fest verankert. Modi wird versuchen, mit wirtschaftspolitischen Erfolgen die BJP zur gleichsam natürlichen Regierungspartei zu machen, um dann allmählich ein hindu-chauvinistisch geprägtes Staatsverständnis durchzusetzen. Gefährlich wird es, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er sich das vorstellt, sodass er Sündenböcke braucht. Dann wird er versucht sein, die RSS-Gewalttäter von der Leine zu lassen, um Stimmung zu machen. Das Blutbad in Gujarat hat ihm schließlich nicht geschadet.

Er betritt nun die internationale Arena. In der Vergangenheit haben Falken wie Ronald Reagan oder Menachim Begin Frieden gebracht. Modis Verhältnis zu Pakistan muss also nicht traumatisch werden. Es war gut, dass er den pakistanischen Premier Nawaz Sharif zu seiner Amtseinführung eingeladen hat. Pakistan hat aber selbst ein Fanatikerproblem. Sollten muslimische Terroristen Indien angreifen, um ihr Profil zu schärfen, könnten die Dinge schnell außer Kontrolle geraten.

Indien hat aus gutem Grund für den Wandel gestimmt. Es bleibt zu hoffen, dass der Wandel gewaltfrei bleibt.

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