Politische Rhetorik

Umstrittener Begriff

Einige potenzielle afrikanische Partner halten den Begriff „Marshallplan“, den der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, für seinen Vorschlag gewählt hat, für falsch.
Köln in Trümmern nach  dem Zweiten Weltkrieg. dpa/picture-alliance Köln in Trümmern nach dem Zweiten Weltkrieg.

Martial De-Paul Ikounga, der Kommissar für Bildung, Wissenschaft und Technologie der Afrikanischen Union (AU), empfindet den Begriff beispielsweise als irreführend und gönnerhaft. Etwas, das „Marshallplan“ heißt, gehört seiner Meinung nach nicht auf die Tagesordnung der AU. Ähnlich argumentiert Job Shipululo Amupanda, Vizedekan des Wirtschaftsinstitut der Universität Namibia, der Begriff drücke eine imperialistische Haltung aus und negiere die Handlungsfähigkeit Afrikas.

Solche Bedenken äußerten mehrere afrikanische Teilnehmer kürzlich auf einer Konferenz der Stiftung Entwicklung und Frieden in Potsdam. Ihre Kernpunkte waren:

  • Afrika ist kein Kontinent, der nach einem Weltkrieg wiederaufgebaut werden muss.
  • Die koloniale Vergangenheit Afrikas ist Ursache heutiger Armut und dysfunktionaler Regierungsführung – deshalb braucht der Kontinent Schadenersatz statt Wohltätigkeit.
  • Afrikanische Entwicklung muss von Afrikanern vor­angetrieben werden.

Bei der Debatte in Potsdam ging es vor allem um den Namen, nicht um Inhalte von Müllers Vorschlag. Deutlich wurde dabei, dass Worte in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben können. Menschen aus verschiedenen Ländern haben verschiedene Vorstellungen davon, was unter „Marshallplan“ zu verstehen ist.

In Deutschland ist die Konnotation positiv, weil der ursprüngliche Marshallplan das „Wirtschaftswunder“ – den erfolgreichen Wiederaufbau Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg – ermöglichte. Das wurde als unverdienter Segen wahrgenommen, da die USA damit den Menschen halfen, die den Krieg begonnen und ungeheures Leid verur­sacht hatten.

Briten und Franzosen haben eine andere Sicht. In ihren Ländern wurde der Marshall-plan als solidarisches Handeln eines Kriegsverbündeten, nicht des bisherigen Feindes wahrgenommen.  Ähnlich war das überall dort, wo Menschen von deutscher Besatzung befreit worden waren.

Der Marshallplan diente im Kalten Krieg selbstverständlich strategischen Interessen. Rückblickend sind Europäer aber auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs der Ansicht, dass er Freiheit und Wohlstand gefördert hat. Als Instrument der Unterdrückung wird er nicht gesehen.

Wenn deutsche Politiker von einem Marshallplan sprechen, denken sie an das überraschende  Wirtschaftswunder und signalisieren, dass sie etwas Ähnliches auslösen wollen. Für Afrikaner bedeutet diese Bezeichnung aber, dass eine ausländische Macht das Sagen hat. Zudem finden sie, dass sie Anspruch auf Entschädigung für die Kolonialherrschaft haben.

In deutschen Ohren klingt Marshallplan stimmig – zumal Müller von einem Marshallplan MIT Afrika spricht, nicht einem Plan FÜR Afrika. Misan Rewane, die Leiterin von West Africa Vocational Training (WAVE), einer Initiative für Berufsausbildung in Lagos, hält das für eine entscheidende Nuance. Aus ihrer Sicht kommt es darauf an, wie der eigentliche Plan aussehen wird und in welchem Maße „mit“ etwas anderes bedeutet als „für“. Letztlich seien Taten wichtig und nicht Worte, sagt sie.
 

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