Menschenrechte als Lernprozess

Nicole Janz und Thomas Risse (Hg.):
Menschenrechte – Globale Dimensionen eines universellen Anspruchs.
Nomos Verlag, Baden-Baden 2007, 188 S., 29,00 Euro, ISBN 978-3-8329-2279-5

Dieser Sammelband will laut den Herausgebern einen Beitrag zur „Diskussion um die universelle Gültigkeit der Menschenrechte“ leisten, besonders mit Blick auf historisch und kulturell begründete Gegenargumente. Neun Artikel nehmen den Islam, das subsaharische Afrika, Lateinamerika, China, Indien, die Minderheiten Europas und das orthodoxe Christentum in den Blick. Doch sie sind thematisch, methodisch und auch von ihrer Qualität her derart verschieden, dass von der Diskussion einer Kontroverse nicht die Rede sein kann. Da der Band eine Vorlesungsreihe dokumentiert, kann man vielleicht keinen roten Faden erwarten. Der sollte dann aber auch nicht versprochen werden.

Doch einige Beiträge führen in der Debatte um den Kulturrelativismus weiter. So setzt sich Dorothea Schulz mit der These auseinander, der eigenständige afrikanische Weg zu den Menschenrechten betone Werte wie Gruppenloyalität und Akzeptanz von sozialen Rollen. Differenziert zeichnet sie die Kontroverse darüber nach und zeigt, dass beide Seiten – die Universalisten wie die Verfechter einer kulturspezifischen Grundlegung von Menschenrechten – von politischen und sozialen Interessenkonflikten beeinflusst sind. Die Letzteren übersehen, dass traditionelle Wertsysteme nicht statisch sind, sondern überwiegend im Konflikt zwischen Kolonialherren und einheimischen Eliten entstanden. Die Universalisten dagegen vergessen, dass das moderne Recht und vor allem die Justiz von großen Teilen der afrikanischen Bevölkerung als Instrumente der Machtpolitik wahrgenommen werden. Gleichwohl sieht Schulz Möglichkeiten für einen fruchtbaren Dialog. Voraussetzung dafür ist, dass es gelingt, die universelle Idee der Menschenrechte an klar umrissenen, verständlichen und für die Mehrheit der Bevölkerung relevanten Rechten festzumachen. Für die Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit an den Menschenrechten gibt das wichtige Anregungen.

Jona Aravind Dohrmann zeigt, dass auch in Indien die Menschenrechte kulturell nicht vollständig akzeptiert sind, obwohl das Land seit mehr als einem halben Jahrhundert eine Verfassung mit exzellentem Grundrechteschutz hat sowie eine oberste Gerichtsbarkeit, die diesen Schutz einfordert. Religiöse und kulturelle Traditionen vor allem auf dem Land widersprechen wichtigen Menschenrechtsprinzipien wie der Nichtdiskriminierung (insbesondere aufgrund des Geschlechts oder der Kastenzugehörigkeit) und der Religionsfreiheit. Dohrmann kommt dennoch zum Schluss, dass in Indien ein von außen stammendes Rechtsverständnis erfolgreich übernommen wurde – nicht zuletzt weil es sich im Unabhängigkeitskampf als scharfe Waffe gegen die Kolonialherren erwiesen hatte. Dass benachteiligte Gruppen zunehmend die Menschenrechte in Anspruch nehmen, weist darauf hin, dass die kulturelle Aneignung weiter vorangeht.

Heiner Bielefeldt stellt abschließend Menschenrechte als Ergebnis gesellschaftlicher Lernprozesse nach Unrechtserfahrungen dar. Diese können auf unterschiedlichen Wegen zu letztlich übereinstimmenden Ergebnissen führen. Schließlich waren die Menschenrechte auch im Westen nicht unumstritten. Eine Verständigung über kulturelle Unterschiede hinweg ist daher möglich, falls sie als offener Lernprozess verstanden wird.

Einige andere Aufsätze sind weniger fundiert, wieder andere zwar sehr informativ, aber leider nicht zu den Kernfragen des Bandes. Kurz: Ein Buch mit wenig Konzept, aber einigen sehr lesenswerten Beiträgen.

Rainer Huhle

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