Glaube

Tödliche „Pro-life“-Rethorik

Katholische Bischöfe mobilisieren auf den Philippinen ihre Anhänger gegen ein neues Gesetz zur reproduktiven Gesundheit. Selbst Kirchgänger widersprechen ihrer kompromisslosen Linie.
Protest vor dem Supreme Court, der im März die Implementierung des Reproductive Health Act blockierte. Dennis M. Sabangan/picture-alliance/dpa Protest vor dem Supreme Court, der im März die Implementierung des Reproductive Health Act blockierte.

Für die Katholische Kirche der Philippinen war es eine herbe Niederlage, dass Präsident Benigno Aquino im Dezember ein Gesetz unterzeichnete, dass Filipinos kostenlose, freiwillige Familienplanung ermöglicht. Das Gesetz (RH ACT – Responsible Parenthood and Reproductive Health Act 2012) garantiert allgemeinen Zugang zu Sexualerziehung, Verhütungsmitteln sowie medizinische Geburtshilfe. Im Kern erlaubt das Gesetz Frauen, selbst zu entscheiden, ob sie schwanger werden wollen. Es legalisiert keine Abtreibung.

Jahrzehntelang wurde über den Entwurf diskutiert, den die Kirche kompromisslos ablehnte. Als Präsident Aquino im vergangenen Jahr die Sache vorantrieb, löste das eine erbitterte öffentliche Debatte aus. Eine breite Massenbewegung setzte sich für Müttergesundheit, Familienplanung sowie die Rechte von Frauen und Homosexuellen ein. Sie mobilisierte Freidenker ebenso wie Katholiken. Der frühere Gesundheitsminister Alberto Romualdez sagte kürzlich, dass selbst einige katholische Bischöfe das Gesetz im Stillen befürworten.

 

Bitterer Streit

Die meisten Bischöfe und ihre strenggläubigen Anhänger taten sich jedenfalls keinen Gefallen damit, die Befürworter des RH-Act als „Abtreiber“, „Todesbefürworter“, „Satanisten“, „Mörder“, „Atheisten“ und „Subversive“ zu bezeichnen. Einige Priester forderten im vergangen Jahr Unterstützer der Reform auf, Gottesdienste zu verlassen. Einige gingen tatsächlich und twitterten darüber. Erzbischof Ramon Arguelles behauptete sogar, Präsident Aquino würde „Millionen von Kindern“ töten und verglich ihn mit dem Mörder, der im Dezember 20 Schulkinder in den USA erschoss.

Strenggläubige Katholiken fürchten, der RH-Act werde allen möglichen Schrecken Tür und Tor öffnen. Joselito Asis von der Katholischen Bischofskonferenz der Philippinen (CBCP) fasst die Bedrohungen in dem Kürzel DEATHS zusammen. Es setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der englischen Wörter für „Scheidung, Euthanasie, Abtreibung, totale reproduktive Gesundheit, Homosexualität, Homo-Ehe und Sexualerziehung“ zusammen.

Verfechter des RH-Act finden diese „Pro-life“-Rhetorik hohl. Sie argumentieren, dass die Verwendung von Kondomen die HIV-Übertragung eindämmen kann, und weisen auf die vielen Frauen hin, die bei illegalen Abtreibungen sterben. Verhütungsmittel können in der Tat viel Leid verhindern. Offensichtlich ist auch, dass das schnelle Bevölkerungswachstum auf den Philippinen die Armut verschärft. Angesichts der vielen Sexskandale, welche die Kirche weltweit plagen, wirkt die Obsession, mit der sie sich mit intimen Angelegenheiten anderer befasst, bizarr. 

In der Propagandaschlacht des vergangenen Jahres schien die CBCP realitätsfremd, paternalistisch und dogmatisch. Sie erwartete von Gläubigen Gehorsam und zeigte kein Interesse an Frauenrechten.

Aquino setzte das Gesetz durch. Vor die Wahl zwischen Präsident und Bischöfe gestellt, stimmte die Mehrheit der Abgeordneten der Gesetzesreform zu. Im Gegensatz zu vorherigen Präsidenten wich Aquino der Konfrontation mit der Kirche nicht aus. Die Bischöfe ärgert besonders, dass der Sohn der verstorbenen Corazon Aquino sie ausmanövriert hatte, denn diese frühere Präsidentin war so fromm, dass sie praktisch als Heilige gilt.

Doch statt ihre Niederlage zu analysieren, legte die CBCP sofort nach: „Verhütung ist Korruption“, erklärte sie. In der Hoffnung, das Gesetz wieder zu kippen, rief sie dazu auf, bei den Parlamentswahlen am 13. Mai „katholisch zu stimmen“ (Redaktioneller Update 17. Mai 2013: Den Ergebnismeldungen zufolge wurden die Unterstützer von Präsident Aquino in Senat und Abgeordnetenhaus gestärkt).

Einen kleinen Erfolg errangen CBCP und Anhänger im März, als der Supreme Court die Implementierung des RH-Act unerwartet blockierte. Der Fall soll im Juni verhandelt werden. Aktivisten verdächtigen das Gericht einer religiös-konservativen Komplizenschaft mit der Bischofskonferenz.

 

Wahlkampf

Wie die Wahlen ausgehen würden, war nicht abzusehen, als dieser Beitrag Mitte April verfasst wurde. Doch viele Wähler beruhigte es, dass auf den Philippinen noch nie „katholisch“ gewählt wurde, obwohl das Land stark von dieser Konfession geprägt ist (siehe Kasten).

  • 2010 gewann Aquino die Präsidentschaft mit 15,2 Millionen Stimmen, während der Kandidat, den die Kirche stützte, 44 000 bekam.
  • 1998 versuchten die Bischöfe, den trinkfreudigen Frauenhelden Joseph Estrada als Staatsoberhaupt zu verhindern. Er gewann haushoch.
  • 1992 wurde Fidel Ramos zum Präsidenten gewählt, obwohl er Protestant ist.

Auch auf anderen politischen Ebenen setzten sich Kandidaten oft gegen Kirchenpositionen durch. Edcel Lagman, ein Kongressmitglied und RH-Befürworter sagt, auf den Philippinen richteten sich die Wähler nicht nach dem Klerus. Mit ihren „anachronistischen Dogmen“ schwäche sich die Kirche selbst.

Es schadet der Demokratie, dass die Kirche die Wahlen im Mai auf ein einziges Thema reduziert hat. Die CBCP rief Gläubige tatsächlich auf, nur Kandidaten zu wählen, die den RH-Act ablehnen, wie korrupt oder unqualifiziert sie auch sein mögen. Alle anderen Sachverhalte, selbst soziale Gerechtigkeit, stellten die Bischöfe hinten an. Die Botschaft der Kirche lief für den Kolumnisten und früheren Priester Orlando Carvajal darauf hinaus, „dass Empfängnisverhütung das größte  Problem des Landes“ sei. Er hält „Wohlstand für alle“ für einen wichtigeren moralischen Imperativ. 

Durch die Unterstützung von Kandidaten mischt sich der Klerus auf unangemessene Weise in die Politik ein. „Die Kirche hat immer gesagt – und das ist die geltende Lehre –, dass sie sich aus Parteipolitik heraushält“, sagt Pater Jose Mario Francisco S.J., vom theologischen Seminar des Ateneo de Manila, einer angesehenen, von Jesuiten geführten Universität. 

Diese Haltung ist stimmig. Konsequent eingenommen, würde sie sicherstellen, dass die Kirche sich nicht in politisches Klein-Klein verstrickt und wichtige Themen glaubwürdig ansprechen kann. „Um etwas zu bewirken“, sagt Pater Francisco, „brauchen wir eine Kirche, die demütig zuhört.“ Wie der neu gewählte Papst Franziskus, der wie Pater Francisco Jesuit ist, die Sache handhaben wird, muss sich zeigen. Seine Haltung zu reproduktiver Gesundheit als Erzbischof von Argentinien ist leider nicht vielversprechend.

 

Andere relevante Themen

Die Kirche kann ohne politische Verstrickung durchaus bedeutenden Einfluss nehmen. „Wenn die CBCP zu sozialer Gerechtigkeit Stellung bezieht, kommt etwas in Gang“, sagt Lisandro Claudio, Politikwissenschaftler am Ateneo de Manila.

Bischöfe und Priester setzen sich seit langem gegen Korruption, politische Dynastien, illegales Glücksspiel, Rohstoffabbau und Umweltzerstörung ein. Sie waren erfolgreiche Verfechter von sozialer Gerechtigkeit, brachten Themen wie Armutsbekämpfung, Menschenrechte, Agrarreform und Friedensarbeit in einem Land voran, in dem bewaffnete Gruppen ihr Unwesen treiben.

Politikwissenschaftler Claudio hält Bischof Broderick Pabillo für ein gutes Beispiel dafür, „was an der Kirche gut und schlecht ist“. Er nahm bei Landreformprogrammen zugunsten armer Bauern eine Schlüsselrolle ein, ist aber auch einer der eifrigsten RH-Gegner. Einen Taifun, der Hunderte tötete, erklärte dieser Bischof einmal zur „Botschaft Gottes“. Pabillo würde „lieber einen Lügner wählen, als einen redlichen RH-Verfechter“, sagt Claudio.

Die Kirche spürt bereits Gegenwind: Pro-RH Gruppen hinterfragen die traditionelle Rolle der Kirche als Wahlbeobachter. Sie fragen, wie das Parish Pastoral Council for Responsible Voting (PPCRV) unparteiisch bleiben will, wenn im Vorstand CBCP-Mitglieder sitzen. 

Katholische Hardliner sollten sich Gedanken darüber machen, dass die Mehrheit der Filipinos ihre Haltung zum RH-Act nicht teilt. Die meisten Filipinos sind gern katholisch, glauben aber nicht, dass sie jeder Bischofsanweisung folgen müssen. Glühende Katholiken spotten über „Cafeteria Katholizismus“, bei dem jeder nur den Lehren folgt, die er mag. Sie scheinen nicht einzusehen, dass in einer Demokratie gewählte Volksvertreter und nicht der Klerus die Gesetze beschließt. 

Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Claudio muss sich die philippinische Kirche künftig neuen Gegnern stellen. Soziale Bewegungen, die auf einem säkularen Staat bestehen, seien „ein neues Phänomen“. Tatsächlich fand 2012 in Manila die erste Konferenz für Agnostiker und Atheisten in Südostasien statt. Das Meinungsforschungsinstitut Social Weather Station hat kürzlich erhoben, dass einer von 11 katholischen Filipinos über Austritt nachdenkt.

Jedenfalls ist die Zahl der Kirchgänger rückläufig. Der Sozialanthropologe Michael Tan meint, die Philippinen würden zu einer Nation des „kulturellen Katholizismus“. Die Konfessionszughörigkeit werde zum Teil der „kulturellen Identität“, besage aber immer weniger über das Einverstandensein mit Doktrin und Liturgie.

Das mag den Katholiken gefallen, die sich eine „kleinere und ärmere“ Kirche wünschen, die nur aus wahren Gläubigen besteht. Die CBCP hat aber andere Vorstellungen. Bereits 1992 prophezeite Bischof Teodoro Bacani eine zunehmende Einmischung der Kirche in Staatsangelegenheiten: „Die Kirche der Philippinen wird nicht ruhen, bis alle Filipinos eine Nation von Christen sind –  auch in ihren politischen Handlungen.“ Er klang wie ein fundamentalistischer Ayatollah, und die aktuellen politischen Manöver der Kirche passen dazu. Den Menschen passen sie aber nicht.

Alan C. Robles ist Journalist und Auslandskorrespondent in Manila. Er hat Onlinejournalismus am GIZ-Institut für Internationalen Journalismus gelehrt.
alanrobles@gmail.com

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