Frauenrechte in Algerien

Schreckliche Frauenmorde rufen Protest hervor

In Algerien ist das Patriarchat tief verwurzelt. Frauen werden rechtlich und gesellschaftlich benachteiligt, und die Anzahl der Femizide ist alarmierend. Doch viele Frauen leisten Widerstand.
Proteste in Algier gegen den Mord an der 19-jährigen Chaïma und anderen Frauen. picture-alliance/abaca/Ammi Louiza/ABACA Proteste in Algier gegen den Mord an der 19-jährigen Chaïma und anderen Frauen.

In Algerien regelt das Familiengesetzbuch von 1984 die Angelegenheiten rund um Ehe, Scheidung und Erbschaft. Dabei sind die Rechte von Frauen einschränkt, denn die meisten Entscheidungen bedürfen der Zustimmung von Männern. In den Jahren 2005 und 2016 gab es zwar Änderungen, die die Handlungsfähigkeit von Frauen in Ehe- und Scheidungsangelegenheiten stärkten. Dennoch gibt es nach wie vor Lücken in der Gleichstellung der Geschlechter. Vor allem wird geschlechtsspezifische Gewalt – etwa Femizide, häuslicher Missbrauch und Vergewaltigung in der Ehe – nicht konsequent bekämpft.

In den vergangenen Jahren gab es in Algerien zahlreiche Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Diese Femizide zu dokumentieren, haben sich Aktivistinnen der Plattform Féminicides Algérie zum Ziel gesetzt. Zwischen 2019 und 2021 haben sie 187 Fälle registriert, von denen zwei große Aufmerksamkeit erregt haben.

Im Oktober 2020 erschütterte die tragische Geschichte von Chaïma, einer 19-Jährigen aus einem Vorort von Algier, die Nation. Sie war von einem Mann in eine verlassene Tankstelle gelockt worden, der sich an ihr rächen wollte, weil sie ihn wegen einer früheren Vergewaltigung ins Gefängnis gebracht hatte. Er vergewaltigte Chaïma, folterte sie grausam und zündete sie schließlich an.

Dieser Mord löste in vielen algerischen Städten Proteste aus, bei denen Frauen ein Ende der geschlechtsspezifischen Gewalt und Gerechtigkeit für Chaïma forderten. Aktivisten machten mit Hashtags wie #JeSuisChaïma, #WeLostOneOfUs und #NousSommesToujoursLà auf das Problem aufmerksam. Enttäuschend ist, dass einige auf Social Media dem Kleidungsstil des Opfers, insbesondere ihrem unverhüllten Aussehen, die Schuld an der Tat gaben und nicht den Vergewaltiger und Mörder verantwortlich machten.

Ein weiterer aufsehenerregender Fall war der der 39-jährigen Journalistin ­Tinehinane Laceb. Die Mutter zweier kleiner Mädchen moderierte eine Umweltsendung im algerischen Fernsehen. Am 26. Januar 2021 wurde sie von ihrem Ehemann ermordet, der sehr eifersüchtig war und nicht akzeptieren konnte, dass sie arbeitet. Das algerische Fernsehen berichtete über diese Tat, indem es sie  zunächst als bloßen „Tod“, nicht als „Mord“ zu bezeichnen.

Algerische Frauen weigern sich zunehmend, dies hinzunehmen. Die vorherrschende gesellschaftliche Kultur des Schweigens und der Stigmatisierung von Femizid und geschlechtsspezifischer Gewalt erschwert den Opfern den Weg zur Gerechtigkeit. Zwar gibt es in Algerien Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt, doch werden diese oft nicht konsequent durchgesetzt.

Die 23-jährige Dhoha beschreibt anschaulich, wie Frauen doppelt zu Opfern werden: „Du hast Angst, angegriffen zu werden, und auch Angst, dass man dir nicht glaubt! Angst vor dem Angreifer und der Gesellschaft! Wer wird mir glauben?“

Doch immer mehr Frauen beteiligen sich am Widerstand. Social Media hat sich zu einem wirksamen Instrument entwickelt, um ihren Stimmen Gehör zu verschaffen und das Thema ins Rampenlicht zu rücken. So veröffentlichte die Association des Actrices Algériennes (Vereinigung algerischer Schauspielerinnen) als Reaktion auf den tragischen Mord an Chaïma ein You­Tube-Video, in dem bekannte Schauspielerinnen auftreten. Es ist eine satirische Kritik an patriarchalischen und frauenfeindlichen Werten und zielt darauf ab, die Unterdrückung von Frauen in Frage zu stellen. Das Video stieß jedoch auf patriarchalische Gegenreaktionen und Ablehnungen, da viele Algerier es als beleidigend gegenüber den religiösen und traditionellen Werten des Landes empfanden.

Dies hindert algerische Frauen aber nicht, weiter Widerstand zu leisten. Sie kämpfen nach wie vor für Gesetzesreformen – und einen kulturellen Wandel hin zur Bekämpfung von Gewalt und Diskriminierung.

Links

Féminicides Algérie:
https://feminicides-dz.com/

YouTube-Video gegen geschlechtsspezifische Gewalt der Vereinigung algerischer Schauspielerinnen: 
https://www.youtube.com/watch?v=JAxLLmyYzMo&t=46s

Khadidja Kelalech ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität von Leicester in Britannien und forscht zu Frauenthemen in der MENA-Region mit Fokus auf Algerien.
kk480@leicester.ac.uk

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.