Massenvernichtungswaffen

Nukleare Obsession

Je mehr Nordkorea isoliert ist, desto attraktiver scheinen dem despotischen Führer Atomwaffen. Die Abwärtsspirale wird schwer zu stoppen sein.
Ein südkoreanischer Wissenschaftler analysiert das Erdbeben, das ein nordkoreanischer Nukleartest im September verursacht hat. Picture-alliance/Yonhap Ein südkoreanischer Wissenschaftler analysiert das Erdbeben, das ein nordkoreanischer Nukleartest im September verursacht hat.

Nordkorea wurde de facto 2006 ein Nuklearstaat. Es hat seitdem nicht weniger als fünf Atomtests durchgeführt – den jüngsten im September 2017. Dabei ließ das Regime nordkoreanischen Staatsmedien zufolge erstmals eine Wasserstoffbombe zünden.

Die Explosion hatte geschätzt eine Sprengkraft von 250 Kilotonnen und war damit so groß wie keine zuvor. Gewöhnlich haben Atombomben eine Sprengkraft von zehn Kilotonnen. Die Explosion verursachte ein Erdbeben der seismischen Stärke 6,3.

Um noch eins draufzusetzen, führte Nordkorea seinen sechsten Atomtest durch kurz nachdem es erstmals eine Interkontinentalrakete am 4. Juli getestet hatte. Laut Experten hatte die Rakete eine Reichweite von 6 700 bis 8 000 Kilometer, was bedeutet, dass sie die USA hätte erreichen können. Am 28. Juli testete Pjöngjang eine zweite Interkontinentalrakete.

Es ist ziemlich offensichtlich, dass Nordkoreas obsessive Bemühungen in den vergangenen Jahren, die USA mit Raketen erreichen zu können, aus Angst heraus geschehen. Diktator Kim Jong-un möchte damit verhindern, dass sein Land von den USA oder seinen Alliierten angegriffen wird. Internationale Beobachter sind sich einig, dass Nordkorea auf die abschreckende Wirkung von Atomwaffen und Langstreckenraketen setzt.

Die Schicksale der ehemaligen Diktatoren Saddam Hussein im Irak und Muammar Gaddafi in Libyen sind sicher nicht an Kim Jong-un vorbeigegangen. Beide Herrscher waren Widersacher der USA und haben nicht gezögert, internationale Normen zu verletzen. Beide wurden eliminiert, nachdem sie ihre Nuklearprogramme fortgeführt haben. Ihnen fehlte eine strategische Abschreckung.

Ein „Schurkenstaat“ wie Nordkorea kann davon ausgehen, dass seine nukleare Kraft ihm so etwas wie Straffreiheit zusichert. Letztendlich ist Russland mit der Annexion der Krim 2014 deshalb davongekommen, weil es ein massives Arsenal an Atomwaffen hat. Nach internationalem Recht ist die Krim Teil der Ukraine.

Für Nordkorea hat das Nuklearprogramm aber noch einen anderen Zweck: Das Land steht am Rand der internationalen Gemeinschaft, weil es einen abschottenden Kommunismus praktiziert und die Ideologie der Selbstversorgung glorifiziert. Es hat keine Verbündete und Freunde. Viele westliche Länder und ihre asiatischen Alliierten bezeichnen Pjöngjang als Schurkenstaat.

In diesem Kontext impliziert der Besitz schlagkräftiger Atomwaffen die Mitgliedschaft in einem Eliteclub von Nuklearstaaten, und das soll offenbar die aus Nordkoreas Isolation herrührenden Identitätsprobleme des Landes kompensieren. Die Führung Nordkoreas scheint zu glauben, dass ihr Atomwaffen die Anerkennung und den Status verleihen, die ihr sonst fehlen.

Das ist umso wichtiger, da Nordkorea einigen harten internationalen Sanktionen unterliegt, die der UN-Sicherheitsrat (United Nations Security Council – UNSC) dem Land auferlegt hat. Die jüngsten Sanktionen gegen Nordkorea wurden am 11. September verhängt. Sie schränken den Export von Rohöl und Textilien ein. UNSC-Resolution 2375, die sogar von traditionell freundlich gestimmten Staaten wie Russland und China befürwortet wurde, verbietet Nordkoreanern auch die Arbeit im Ausland.

In solch rauer internationaler Umgebung können Nuklearwaffen auch bei den Staats-Gesellschafts-Beziehungen eine Rolle spielen. Die Sanktionen tun Nordkoreas Wirtschaft und seinen Bürgern weh, aber es gibt wenig Zweifel daran, dass die Herrschaft über die Atomtechnik den Nationalismus befeuert hat. Wenn demokratische Institutionen und eine gerechte Verteilung von natürlichen Ressourcen fehlen, dient nuklearer Heldenmut der Legitimierung einer despotischen Herrschaft. Es ist paradox, dass die Waffenprogramme diese Dinge für das Regime erledigen, auch wenn das Land dafür einen unglaublich hohen Preis bezahlt.


Maysam Behravesh ist Politikwissenschaftler an der Universität Lund in Schweden und schreibt seine Dissertation über nukleare Aufrüstung.
maysam.behravesh@gmail.com

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