Multilaterale Politik

Einmalig, aber unterfinanziert

Mit einem Paradigmenwechsel beschloss die UN-Generalversammlung in September 2015 die Entwicklungsziele für Nachhaltigkeit (Sustainable Development Goals – SDGs). Ohne ausreichende Finanzierung können Länder mit geringem Einkommen diese aber nicht erreichen.
Die Grafik zeigt das Verhältnis der gesamten ODA der OECD-Geberländer zu ihrer Wirtschaftsleistung. Screenshot: https://data.oecd.org/oda/net-oda.htm Die Grafik zeigt das Verhältnis der gesamten ODA der OECD-Geberländer zu ihrer Wirtschaftsleistung.

Die SDG Agenda ist einmalig, denn sie geht weit über insprierende Schlagworte und moralische Apellen hinaus. Sie bennent klare Ziele, die dringendem Handlungsbedarf entsprehcen. Die Angenda taugt dazu:

  • Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung voranzubringen,
  • den Klimawandel zu bekämpfen und sich an bereits nicht mehr anwendbare Folgen anzupassen,
  • Ungleichheit – auch zwischen den Geschlechtern – zu reduzieren,
  • Frieden zu sichern und
  • internationale Zusammenarbeit zu koordinieren.

Grundsätzlich darf niemand zurückgelassen werden. Alle Staaten sollen die 17 SDGs mit ihren 169 Unterzielen erreichen – unabhängig vom Stand ihrer sozioökonomischen Entwicklung. Über die Hälfte der 54 Staaten Afrikas sind Länder mit niedrigen Einkommen, haben also ungünstige Voraussetzungen. Fragile Staatlichkeit schafft vielerorts zusätzliche Probleme. Dennoch gilt der Anspruch, dass die SDGs überall erreicht werden sollen.

Die Herausforderungen sind riesig. Sie reichen von grundlegenden Armutsproblemen über Beschäftigung und Ungleichheit bis hin zu globalen Gefahren wie Klimawandel und Schwund der Artenvielfalt. Offensichtlich sind viele Länder mit niedrigen Einkommen nicht in der Lage, alle Aufgaben aus eigener Kraft zu meistern. Viele tun sich schon mit grundlegenden innenpolitischen Aufgaben schwer. Vor diesem Hintergrund verabschiedete die UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im Juli 2015 die Addis Ababa Action Agenda (AAAA).

Sie war das Ergebnis eines langen diplomatischen Prozesses, der im  selben Jahr auch noch zum SDG-Beschluss führte. Die AAAA benennt die Quellen für die SDG-Finanzierung. Die wohl wichtigsten Optionen sind:

  • höhere Steuereinnahmen in Entwicklungsländern,
  • mehr Geld für Entwicklungshilfe (Official Development Assistance – ODA) und
  • Privatinvestitionen (ausländische und heimische).

Vor den SDGs gab es die Millenniums-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs). Sie zeigten, dass weltweit koordinierte Anstrengungen tatsächlich Fortschritt bringen können, dafür aber die Finanzierung nicht hinter dem Bedarf zurückbleiben darf. Die MDGs waren wirkungsvoll, aber die Geldmittel reichten nicht, um alle Erwartungen zu erfüllen.

Die SDGs sind deutlich anspruchsvoller als die MDGs. Die zügige Umsetzung der Agenda hängt nun von ausreichendem Mittelfluss aus verschiedenen Quellen ab. Das SDG Center for Africa (SDGC/A) schätzt, dass die Niedrigeinkommen-Länder südlich der Sahara jährlich zusätzliche 21 Milliarden Dollar für Bildung, zusätzliche 20 Milliarden Dollar für das Gesundheitswesen und zusätzliche 12 Milliarden Dollar für ökologisch gute Wasserversorgung brauchen. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass die fortgeschrittenen Volkswirtschaften ihre ODA-Ausgaben steigern müssen. Seit den 1970er Jahren erfüllen sie das Versprechen nicht, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung dieser Aufgabe zu widmen. Laut OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development), einem Verband von Ländern mit hohen und hohen mittleren Einkommen, belief sich die Gesamt-ODA von 29 Geberregierungen 2017 nur auf 147 Milliarden Dollar. Das waren 185 Milliarden Dollar weniger als grundsätzlich versprochen.

Erschwerend kommt hinzu, dass ODA-Zahlungen an afrikanische Länder in den vergangenen Jahren stark schwankten. Angesichts schnellen Bevölkerungswachstums sind sie pro-Kopf zudem rückläufig. In den vergangenen 20 Jahren entsprachen die Mittel, die Ländern mit niedrigen Einkommen zur Verfügung gestellt wurden, weder dem Umfang noch der Dringlichkeit der Probleme. Das muss anders werden – aber selbst dann wird das Geld nicht reichen.

Die Aussichten, das Steueraufkommen in Entwicklungsländern zu steigern, sind nicht ermutigend (siehe Essay von Dereje Alemayehu im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-Paper 2019/07). SDGC/A-Daten zeigen, dass in über einem Dutzend afrikanischer Länder das Steuereinkommen immer noch nicht die 15 Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt, die allgemein als Voraussetzung funktionstüchtiger Staatlichkeit gelten. Afrikaweit lag diese Quote 2012 im Schnitt zwar bei 17,5 %, 2017 war sie aber wieder auf etwa 16 % gesunken. Zu viele Länder haben aber nur unterdurchschnittliche Steueraufkommen. Leider haben die Staatseinnahmen auch nicht mit dem Wirtschaftsleistung mitgehalten.

Um die SDGs zu erreichen, müssen die Staatsausgaben in Niedrigeinkommen-Ländern indessen noch mal um 15 % ihrer Wirtschaftsleistung steigen. Zu diesem Ergebnis kam 2018 ein internes Papier des Internationalen Währungsfonds (IWF). Nötig sind beträchtliche Investitionen unter anderem in Bereichen wie Bildung, Gesundheitswesen, Wasser- und Sanitärversorgung, Straßen und Stromversorgung. Viele Länder der Niedrigeinkommen-Kategorie erzielen aber noch nicht einmal Staatseinnahmen von 15 Prozent der Wirtschaftsleistung. Offensichtlich gibt es riesige Finanzierungslücken.


Schwierige Rahmenbedingugen

Derweil bleiben Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung problematisch. Rohstoffpreise sind zuletzt gefallen, was die Volkswirtschaften, die entsprechende Güter exportieren, belastet. Deshalb wäre es naiv,  mit rasant steigenden Staatseinnahmen zu rechnen. In der Tat wächst die Staatsverschuldung, so dass Fachleute von IWF und Weltbank vor exzessiver Verschuldung warnen (siehe Jürgen Zattler im Schwerpunkt des E+Z/D+C e-paper 2018/09).

Die multilateralen Regeln zur Sicherung der makroökonomischen Stabilität sind zu strikt. Sie beachten nur die Verschuldungshöhe – ohne Rücksicht darauf, wofür Darlehen verwendet werden. Die Zinsen sind international zurzeit niedrig, und Klimaschutz ist sicherlich wichtiger als Inflationsvermeidung auf lange Sicht. Schnelle Preissteigerungen sind schmerzhaft, aber wenn sie denn stattfinden, kann die Geldpolitik sie in den Griff bekommen. Der Treibhauseffekt ist dagegen unumkehrbar. Den aktuell gültigen Regeln zufolge werden Staatsschulden ab einem bestimmten Niveau als nicht mehr nachhaltig bewertet, und dann können Länder nicht nur den Zugang zu Krediten, sondern sogar zu Zuschüssen verlieren. Die internationalen Finanzinstitutionen und die OECD-Mitglieder sollten ihnen mehr Spielraum lassen.

Wichtig sind auch die Entwicklungsbanken, die Ländern mit niedrigen Einkommen gehören. Es gibt in Afrika etwa 65 solcher nationalen und regionalen Institute. An manchen sind auch private Anteilseigner beteiligt. Diese Banken sind leider meist klein und unterfinanziert. Ihre Finanzkraft und ihre fachliche Kompetenz sollten so gestärkt werden, dass sie zur SDG-Erreichung beitragen können. Inklusion und Nachhaltigkeit müssen dabei Prioritäten sein.

Auch privates Kapital ist wichtig. Es ist aber nicht leicht, es wirklich in Richtung SDG-Erfolg zu lenken. Es kommt auf die richtigen Anreize an. Es wäre möglich, Investitionen in ökologisch oder sozial wertvolle Vorhaben mit negativen Zinsen zu belohnen. Für solche Subventionen wäre allerdings Staatsgeld nötig. Gebraucht werden sogenannte „impact investments“, die nicht nur auf Profit, sondern gleichermaßen auf ökologische und soziale Wirkung ausgerichtet sind. Solche Zusagen gibt es bereits, es muss aber noch deutlich mehr passieren.

Festzuhalten ist, dass vier Jahre nach der Verabschiedung der SDGs bezüglich ihrer Finanzierung noch viel zu wenig erreicht wurde. Nächstes Jahr wird ein Drittel der 15-jährigen Zeitspanne zu ihrer Erreichung vorüber sein. Im bisherigen Tempo wird die Vision 2030 nicht Wirklichkeit werden. Weitere Nachlässigkeit führt zum Scheitern, und das können wir uns  nicht leisten.


Links

International Monetary Fund (IMF), 2019: Fiscal policy and development: human, social, and physical investment for the SDGs.
https://www.imf.org/en/Publications/Staff-Discussion-Notes/Issues/2019/01/18/Fiscal-Policy-and-Development-Human-Social-and-Physical-Investments-for-the-SDGs-46444

SDG Center for Africa (SDGC/A), 2019: Sustaianble Development Goals three year reality check.
https://sdgcafrica.org/wp-content/uploads/2019/06/AFRICA-2030-SDGs-THREE-YEAR-REALITY-CHECK-REPORT.pdf

2019 Africa index and dashboard report:
https://sdgcafrica.org/wp-content/uploads/2019/06/SDGS_INDEX_REPORT_2019WEB.pdf


Belay Begashaw leitet das Sustainable Development Goals Center for Africa (SDGC/A) in Ruandas Hauptstadt Kigali.
bbegashaw@sdgcafrica.org

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