Netizens

Bloggen für Veränderung

Palästina hat eine mehrheitlich junge Bevölkerung. Diese bestimmt auch die Mediennutzung. Junge Palästinenser holen sich ihre Informationen vor allem aus dem Internet. Blogger spielen dabei eine wichtige Rolle. Von Mona Naggar
Sperranlage im  Westjordanland. Mysorekar Sperranlage im Westjordanland.

Saed Karzoun aus Ramallah ist voller Ideen. Sein Projekt „Blog Bus“ hat für viel Aufmerksamkeit in den palästinensischen Gebieten gesorgt. Dabei fahren junge Palästinenser, die als Blogger, Bürgerjournalisten oder auf Facebook aktiv sind, zusammen durchs Land in einem Bus, der mit einem Internetzugang ausgestattet ist. „In einer Facebook-Gruppe diskutieren wir vorher, mit welchem Thema wir uns beschäftigen“, erzählt Saed Karzoun. „Es sollte ein Thema sein, das das Leben der Menschen stark beeinflusst und das wir durch mediale Aufmerksamkeit verändern können. Unser Ziel ist, Dinge öffentlich zu machen.“ Die Aktivisten drehen Videos, führen Interviews, machen Fotos, schreiben Tweets oder Posts. Die beiden palästinensischen Nichtregierungsorganisationen Sharek Youth Forum und Taghyeer for Social Media sind an der Finanzierung des „Blog Bus“ beteiligt.

Die erste Reise des Busses Ende Januar 2014 führte ins Jordantal, wo normalerweise keine Medienvertreter hinkommen, sagt der 29-jährige Karzoun. Rund 50 Internetaktivisten besuchten Dörfer in den von Israel besetzten Gebieten der Westbank. In den vergangenen Jahren sind die Bewohner dieser fruchtbaren Region immer wieder Opfer von Vertreibung geworden. Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) stellt in einem Bericht 2013 fest, dass die Besatzung die Lebensgrundlage der Menschen in diesen Gebieten untergräbt. Sie verhindere den Zugang zum Land und zu Ressourcen, und Häuser würden zerstört, stellt UNDP fest. Muhammed Abu Allan war bei der Recherchereise des Blog Bus dabei. In seinem Blog „Bahrak YaYafa“ (auf Deutsch: Dein Meer, Jaffa!) berichtet er über die Lebensumstände der Bewohner von Dörfern in den besetzten Gebieten. Aber er und seine Blogkollegen üben auch Kritik an den palästinensischen Behörden. Das Versprechen, Elektrizitäts­leitungen bis ins Dorf zu verlegen, hätten die Behörden bis heute nicht erfüllt. Auch Unterstützung bei der Futterbeschaffung für die Tiere sei nie eingetroffen.

Eine weitere Reise unternahm der Blog Bus nach Tulkarem in der Westbank, zu Familien von in israelischen Gefängnissen inhaftierten Palästinensern. Blogger veröffentlichten Interviews mit den Angehörigen und zeichneten ihre Geschichten auf.

Nicht immer wird der Blog Bus mit offenen Armen empfangen. Saed Karzoun hatte geplant, dem staatlichen Krankenhaus in Ramallah einen Besuch abzustatten, um die Probleme des palästinensischen Gesundheitssektors zu recherchieren. Die Krankenhausleitung lehnte dies jedoch ab. Sie „fürchtet sich offenbar vor den Medien und vor den Bloggern, und möchte nicht, dass wir über bestimmte Themen schreiben“, vermutet Karzoun.

Soziale Medien sind in Palästina ein neues Phänomen. Karzoun begann 2008, nach dem Ende seines Studiums, zu bloggen. Dies war damals wenig verbreitet, erinnert er sich. In den letzten Jahren hat sich die Mediennutzung in den palästinensischen Gebieten stark verändert. Laut einer Studie des Sharek Youth Forum vom April 2014 benutzen mehr als ein Viertel der Palästinenser zwischen 15 und 29 Jahren mindestens sechs Stunden täglich soziale Medien. Ungefähr die Hälfte der jungen Bewohner sind zwischen drei und sechs Stunden pro Tag in sozialen Medien aktiv. In Palästina gibt es fast 2 Millionen Facebook-Accounts sowie rund 37 000 Twitter-User – und dies bei einer kleinen Bevölkerung: Im Westjordanland leben knapp 2 Millionen, im Gazastreifen etwa 1,8 Millionen Menschen; mehr als die Hälfe sind jünger als 25 Jahre.


Über die Besatzung schreiben

In dem politischen Spannungsfeld zwischen israelischer Besatzung und innenpolitischem Zwist der palästinensischen Parteien (siehe Kasten) werden soziale Medien für die junge Bevölkerung immer wichtiger: Sie geben ihnen die Möglichkeit, mit Freunden zu netzwerken und Kontakte zu pflegen, sie ermöglichen aber auch einen schnellen Zugang zu Informationen. Zudem geben Facebook, Twitter und Co. den jungen Leuten die Möglichkeiten, ihrer Stimme öffentlich Gehör zu verschaffen. Hier können sie das schreiben und veröffentlichen, was sie wollen.

Facebook sei für ihn wertvoller als das tägliche Fernsehprogramm, sagt der Teenager Ahmad Al-Khatib, der in der Nähe von Jerusalem lebt. Al-Khatib erklärt, dass er Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und der israelischen Armee eher über die Facebook-Seite seines Dorfes mitbekomme als übers Fernsehen. „Diese Informationen leite ich direkt weiter“, erklärt er.

Palästinensische Blogger schreiben über alle Themen, sagt Karzoun: „Wir können kein wirtschaftliches oder soziales Thema losgelöst von der Politik betrachten.“ Die steigenden Lebenshaltungskosten in Palästina seien ein Thema ebenso wie der innerpalästinensische Zwist zwischen Hamas und Fatah. Aber auch über die mangelnden Serviceleistungen der palästinensischen Gemeinden wird gebloggt. Die israelische Besatzung und der Alltag unter dieser Besatzung sei so etwas wie ein Dauerbrenner, der gemeinsame Nenner aller Aktivisten im Netz, ergänzt Karzoun.


Blogger und ­Aktivisten

Ein erfolgreicher Blogger ist Mohammed Abu Allan – er verzeichnet etwa 3000 Besucher täglich. Abu Allan veröffentlicht Auszüge aus israelischen Zeitungen, die er ins Arabische übersetzt. Außerdem führt er Buch über die Opfer der israelischen Besatzung in seiner Heimatstadt Tubas und Umgebung. Abu Allan schreibt aber ebenso über andere Dinge, wie etwa die Schwierigkeit, einen Festnetzanschluss zu bekommenn oder über eine überflutete Straße, um deren Instandsetzung die Behörden sich nicht kümmern.

„Ich blogge, weil ich meine Meinung frei sagen möchte. Ich bin davon überzeugt, dass hier kein Radio, Zeitung oder TV-Kanal wirklich frei ist, egal wie objektiv sie behaupten zu sein“, erklärt Abu Allen. Hinzu komme, dass er gern über Themen berichte, die das Leben der Menschen berühren und die bei Mainstream-Medien nicht auftauchen. Abu Allan ist es wichtig, seinen Lesern Kampagnen nahezubringen, die er gut findet, wie etwa ein Aufruf für die Freiheit von Omar Saad, einem drusischen Israeli, der den Militärdienst in der Westbank verweigert hat.

Feda Ataya ist eine junge palästinensische Netz­aktivistin. Seit 2011 führt Ataya einen Blog mit dem Namen Farasha (auf deutsch: Schmetterling). Dazu hat sie ein Gedicht des berühmten palästinensischen Dichters Mahmoud Darwish inspiriert: „Die Spur des Schmetterlings ist unsichtbar, die Spur des Schmetterlings vergeht nicht“. „Wenn mich etwas sehr wütend macht oder sehr berührt, dann blogge ich“, sagt Feda Ataya. Ein Beispiel ist Atayas Eintrag über die israelische Sperranlage in Abu Dis. Diese palästinensische Stadt wird von einer rund acht Meter hohen Betonmauer von Jerusalem getrennt. Die Bloggerin schreibt über eine Gruppe von jungen palästinensischen Graffiti-Künstlerinnen, die es ablehnen, Graffitis auf die Mauerseite von Abu Dis zu sprühen und sie somit zu „ästhetisieren“. „Diese Mauer ist von Grund auf falsch. Warum sollen wir sie schöner machen?“, zitiert Ataya die Frauen, die sie in Abu Dis getroffen hat.

Feda Atayas Texte sind komprimiert, voller Symbolik und regen den Leser zum Nachdenken an. Sie schreibt in der palästinensisch-arabischen Umgangssprache. „Ich bin keine Journalistin. Diese knappe Form bin ich, gibt mich am besten wieder. Wichtig ist, dass der Leser etwas spürt, wenn er meinen Blog liest“, sagt die junge Frau. Feda Ataya lebt in Kafar Nima, einem Dorf westlich von Ramallah. Die Sperranlage ist ungefähr zehn Kilometer entfernt; eine israelische Siedlung liegt in unmittelbarer Nähe des Dorfes.

Trotz der wachsenden Zahl aktiver junger Palästinenser im Netz sind die sozialen Medien nicht imstande, viele Leute für politische oder sozialen Belange auf die Straße zu bringen. Auch die Mobilisierung von ausländischen Unterstützern für die Rechte der Palästinenser könne sehr viel größer sein, sagt Saleem Al-Habash, Professor für Public Relations und Social Media an der Michigan State University. Al-Habash, der an der Birzeit-Universität in der Westbank studiert hat, ist der Meinung, dass die Palästinenser in den sozialen Medien nicht nur das veröffentlichen sollten, was die Aufmerksamkeit der Leser erregt, sondern die Inhalte sollten auch „dazu motivieren, aktiv zu werden.“

Die 24-jährige Iman Khawaja, die seit 2009 den Foto- und Video-Blog „Said Al-Kamera“ (deutsch: Die Beute der Kamera) betreibt, bestätigt die Beobachtung Al-Habashs. Sie erklärt das mangelnde Offline-Engagement damit, dass viele Menschen nicht genug Mut hätten, um auf die Straße zu gehen. Für Feda Ataya hingegen ist die große Kluft zwischen virtuellem und realem Engagement normal: „Menschen sind wie unsere fünf Finger: Alle sind verschieden.“ Einer regt sich auf und schreibt daraufhin etwas. Einer regt sich auf und schreit. Ein anderer zertrümmert alles, und ein anderer schweigt. Und dann gibt es einen, der sich aufregt und etwas unternimmt. „Alle Leute sind auf Facebook oder im Netz. Aber wir treffen nur wenige, die wirklich zur Tat schreiten. Das ist normal und gilt nicht nur für Palästina“, meint Ataya.

Um das Potenzial von sozialen Medien in Palästina besser zu nutzen, setzt Saed Karzoun auf Vernetzung von Bloggern. In seinem Blog Bus sind viele Blogger zusammengekommen; Iman Khawaja und Feda Ataya haben sich in diesem Bus kennengelernt. Außerdem will Karzoun mehr junge Palästinenser mit sozialen Medien vertraut machen, beispielsweise über konkrete Kampagnen. Karzouns jüngste Initiative, die er zusammen mit anderen Aktivisten auf die Beine gestellt hat, zielt auf den Kampf gegen Ehrenmorde in der Westbank. Er ruft die Menschen dazu auf, Druck auf den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas auszuüben, um ein Gesetz zu verabschieden, das Täter für diese Morde bestraft. Viele Blogger haben sich diesem Aufruf ange­schlossen.

 

Mona Naggar ist Journalistin und Medien­trainerin. Sie lebt in Beirut. mona.naggar@googlemail.com

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