Wandel fördern

Wohltätigkeit mit Wirkung

Unternehmerische Wohltätigkeit wird in Indien immer wichtiger. Da viele staatliche Stellen versagen, ist dieser Trend willkommen – er hat aber auch Schattenseiten.
Screenshot Azim Premji Foundation http://azimpremjifoundation.org/ Screenshot Azim Premji Foundation

Die sozialen Unterschiede in Indien sind enorm. Während einige hundert Millionen Menschen in tiefster Armut leben, gibt es auch unglaublich reiche Familien (siehe meinen Aufsatz in E+Z/D+C e-Paper 2017/05, Seite 29). Der internationalen Unternehmensberatung Bain (2017) zufolge steht Indien mit einer Zahl von 90 Milliardären weltweit auf Platz 7 im weltweiten Ländervergleich. Diese haben ein Gesamtvermögen von 206 Milliarden Dollar.

Alle großen Religionen sehen es als ihre Pflicht, Armen zu helfen. Auch wohlhabende Industrielle halten bereitwillig an dieser Tradition fest (siehe Kasten). Dabei geht es ihnen auch immer mehr um unternehmerische Ansätze im Sinne einer corporate social responsibility (CSR).

Laut dem kürzlich von Bain veröffentlichten India Philanthropy Report 2017 muss das Land in den kommenden Jahren im Staatshaushalt Löcher von 8,5 Billionen Dollar stopfen, da es sonst die UN Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (sustainable development goals – SDGs) nicht bis 2030 erreicht. Bain stellt klar: „Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es erheblicher zusätzlicher Mittel und systematischer Änderungen der Maßnahmen und staatlichen Leistungen. Die Regierung ist zwar weiterhin der größte Wegbereiter für Veränderungen, aber die private Wohltätigkeit ist entscheidend.“

Reiche Geschäftsfamilien waren schon immer wohltätig. Das gilt für bekannte Namen wie Tata, Birla, Bajaj, Godrej, Mahindra und viele andere. Gewiss hat dabei geholfen, dass der Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi von Unternehmen forderte, zum Wohle der Allgemeinheit in soziale Entwicklung zu investieren. Dazu gehören Bildung, Gesundheit, Entwicklung des ländlichen Raums, Wasserprojekte und die Abschaffung der Unberührbarkeit.

Auch jüngere Unternehmer beteiligen sich. So investierte etwa Azim Premji, der Vorsitzende des IT-Dienstleistungsunternehmens Wipro, Aktien im Wert von zwei Milliarden Dollar in seine wohltätige Azim Premji-Stiftung. Laut der in Shanghai ansässigen Datenfirma Hurun, die regelmäßig eine Wohltätigkeitsliste für Indien erstellt, waren Shiv Nadar (HCL Technologies), Kris Gopalakrishnan (Infosys) und seine Ehefrau Sudha sowie Mukesh Ambani (Reliance Industries) im vergangenen Jahr die großzügigsten Spender in Indien. Nadar gab mit umgerechnet 82 Millionen Euro die größte Summe – insbesondere für Bildung. Die Gopalakrishnans (41 Mio. €) und Ambani (39 Mio. €) förderten unter anderem Bildung, Gesundheitsversorgung, ländliche und soziale Entwicklung.

Indische Philanthropen orientieren sich zunehmend an internationalen Vorbildern – insbesondere aus den USA. Dabei gibt es aber kulturelle Unterschiede, denn früher sprachen indische Wirtschaftsbosse nicht über ihre Wohltaten. „Ich finde, über Philanthropie sollte man nicht groß sprechen“, sagt etwa der Vorsitzende von Infosys, Narayan Murthy. Der aus einer seit Jahren wohltätigen Unternehmerfamilie stammende Ajay Piramal sah das früher genauso. Aber die Beispiele Warren Buffett und Bill Gates hätten das verändert: „Ich beginne, über das, was wir tun, auch zu sprechen.“

Der Wandel zeigt sich auch andernorts. Dasra ist eine indische philanthropische Stiftung, die sich auf strategische Fragen spezialisiert. Sie fordert Förderer auf, nicht nur den unmittelbaren, individuellen Effekt im Blick zu haben, sondern kollektiv zu handeln. Dasra ist Sanskrit und bedeutet „erleuchtetes Geben“. Die Stiftung selbst verdankt ihre Existenz genau diesem Ansatz; zu ihren Sponsoren gehören indische und multinationale Konzerne. Ihre Aufgabe ist es, Daten zu sammeln, zu beraten und Strategien zu entwickeln.

Der Tata Trust teilt Dasras Sicht: „Indien muss wie andere Länder eine ausgefeiltere Form der Wohltätigkeit finden, die etwas bewirkt und etwas bewirken will.“ Der Fonds hat einen ausgezeichneten Ruf und eine lange Geschichte, die vor 125 Jahren als JN Tata Endowment Scheme begann (siehe meinen Aufsatz in E+Z/D+C 2015/12, S. 19 oder Printausgabe 2016/01-02, S. 32).

Inzwischen interessieren sich philanthropische Stiftungen und Fonds in Indien mehr für gesamtindische Lösungen und schaffen Plattformen für die Zusammenarbeit mit anderen Partnern – wie etwa Regierungsbehörden, privatwirtschaftlichen Unternehmen, zivilgesellschaftlichen und multilateralen Organisationen, Think Tanks und anderen. Je mehr die philanthropischen Institutionen professionalisiert werden, desto weniger sind die Familien direkt eingebunden.

Der Tata Trust hat sich mit dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie zusammengetan, um soziale Unternehmungen zu fördern. Er kooperiert mit der Landesregierung von Maharashtra, um ein auf 1000 Dörfer ausgerichtetes soziales Transformationsprojekt zu unterstützen. Zusammen mit der Khan Academy, einem Online-Bildungsanbieter, führt er in einem Dutzend indischer Bundesstaaten E-Learning-Programme an staatlichen Schulen ein.

Die zu Mahindra gehörende Naandi-Stiftung beschäftigt ein Team von mehr als 300 Vollzeit-Fachkräften und mehr als 3000 Entwicklungshelfer. Sie hat ihre Spuren in 16 indischen Staaten hinterlassen, auch in einigen der größten. Naandi verbessert bereits das Leben von mehr als fünf Millionen unterversorgten Menschen. Auf der Agenda stehen unter anderem die Förderung von sauberem Trinkwasser, die Unterstützung von Landwirtschaftsmarketing bis hin zu städtischen Grundschulen und Qualifizierungsprogrammen für arbeitslose Jugendliche.

Die Stiftung hat auch einen exklusiven Verkaufsladen in Paris eröffnet, in dem die luxuriöse Kaffeemarke „Araku“ verkauft wird. Dieser Arabica-Kaffee wird in biodynamischer Weise von den Völkern im Araku-Tal in Andhra Pradesh angebaut.


Kritikpunkte

Tatsächlich braucht Indien Philanthropie in großem Maßstab, um die Unzulänglichkeiten der Bürokratie zu kompensieren. Leider hat dieser Trend auch Nachteile. So wird den rund 120 Millionen kleinen und lokal verorteten Programmen in Indien zunehmend die Hilfe entzogen, weil das Geld eher großangelegten Projekten zugutekommt.

Hinzu kommt, dass die Zentralregierung hart gegen Nichtregierungsorganisationen vorgegangen ist – besonders gegen ausländisch finanzierte, weil diese angeblich den Antinationalismus schüren. In Wirklichkeit stellen viele von ihnen Basisversorgung bereit und geben legitimen Sorgen eine Stimme. Die Zentralregierung wünscht jedoch nur unterwürfige Philanthropen, und das ist schlecht für die Zukunft des Landes.

Auch engagieren sich nicht alle Unternehmen freiwillig. Die Regierung fordert, dass privatwirtschaftliche Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 120 Millionen Euro zwei Prozent ihres Nettogewinns für CSR vorsehen. Diese Maßnahmen werden wohl so gestaltet, dass sie dem Interesse der Unternehmen dienen.

Noch schlimmer ist, dass Eigentümer ihre wohltätigen Organisationen manchmal dazu missbrauchen, um Steuern zu hinterziehen. In einem Land, in dem Korruption an der Tagesordnung ist, überrascht es nicht, dass gemeinnütziges Handeln auch anderweitig pervertiert wird. 2015 wurde bei Bildungsfonds schwerer Betrug aufgedeckt. Dabei wurde Geld im zweistelligen Millionenbereich abgeschöpft.

Aditi Roy Ghatak ist freie Journalistin in Kalkutta.
aroyghatak1956@gmail.com


Links

Bain and Company, 2017: India Philanthropy Report 2017.
http://www.bain.com/publications/articles/india-philanthropy-report-2017.aspx

Naandi Foundation:
https://www.facebook.com/NaandiFoundation/

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