Fachliteratur

Wirtschaft schlägt Politik

Nach dem Fehlschlag des Klimagipfels in Kopenhagen 2009, von dem der Abschluss eines globalen Klimaabkommens erwartet worden war, hat die Politik am bisherigen multilateralen Ansatz weitgehend festgehalten. Akademische Beobachter haben aber begonnen, grundsätzlich darüber zu diskutieren, warum Kopenhagen gescheitert ist und was besser gemacht werden sollte. Unser Rezensionsaufsatz behandelt zwei Bücher, die zu dieser Diskussion beitragen, stellt aber zunächst zwei Werke vor, die den Kontext des Klimagipfels in Paris im Dezember ausleuchten.
Die chinesische Regierung hält Kohle nicht für den Energieträger der Zukunft: Luftverschmutzung in Changchun im Sommer 2014. AP Images/picture-alliance Die chinesische Regierung hält Kohle nicht für den Energieträger der Zukunft: Luftverschmutzung in Changchun im Sommer 2014.

Jeremy Leggett ist ein prominenter britischer Sozialentrepreneur, der sich auf Solartechnik konzentriert. Sein jüngstes Buch ist nicht sein erstes. Bisher hatte er untersucht, welche Chancen für welchen Ausgang des „Endspiels“ zwischen fossilen und erneuerbaren Energieträgern bestehen. Insbesondere setzte er sich mit der Vorstellung auseinander, die Politik sei wegen ihrer Zersplitterung weitgehend ohnmächtig und werde zudem von der Wirtschaft gegängelt. Solange fossile Interessen die Wirtschaft dominierten, sei – besonders in den USA – vom Staat nicht viel zu erwarten. Ohne Regierungshandeln sei das Klimaproblem aber nicht zu lösen. Leggetts frühere Bücher waren also nicht gerade von Optimismus geprägt. Nun sieht er aber das Interesse der Wirtschaft am Ausstieg aus der fossilen Energietechnik wachsen, wie er in seiner jüngsten, ungewöhnlichen Publikation ausführt. Formal handelt es sich um überarbeitete Tagebucheinträge. Das Werk ist auf seiner Website frei zugänglich und kann heruntergeladen werden.

Leggett entschied sich zum Jahreswechsel 2014/15 für die Publikation, weil er einen Stimmungsumschwung bei sich selbst bemerkte – hin zu einem „guten Mut“, dass das Endspiel zugunsten der Erneuerbaren ausgehen kann. Er schreibt, Paris könne für einen symbolischen Umschwung sorgen, der dann das Tempo eines selbsttragenden und nicht mehr politikgetriebenen Wandels erhöht. Seine Sicht ist typisch für viele Publikationen (einschließlich der unten besprochenen), weil er sich Wandel von neuen Perspektiven und nicht durch diplomatische Meisterleistungen auf globalem Parkett erhofft.

Leggett beginnt 2013: Er beschreibt und reflektiert Sitzungen, Konferenzen und andere Anlässe, zu denen er eingeladen war. Seine Ausführungen lassen Leser seinen Stimmungswandel nachvollziehen. Er bietet Zugang zu aktuellen Einschätzungen und Wahrnehmungen wichtiger Communities, insbesondere von Wirtschaftskreisen. Der Autor hat angekündigt, die Publikation in Monatsraten bis zum Jahresende weiterzuführen, wenn die Ergebnisse des Pariser Gipfels feststehen. Die kommenden Lieferungen sind jeweils für den ersten des Folgemonats angekündigt.

Nick Reimer ist ein Journalist, der alle entscheidenden Phasen der multilateralen Klimapolitik miterlebt hat. Wer sich auf den Gipfel in Paris einstimmen will, ist mit seinem neuen Buch bestens bedient.

Selbstverständlich stellt er sich auch strategische Fragen. Am Ende fragt er beispielsweise kurz, was wäre, wenn Paris scheitert? Er meint, dann werde die Klimapolitik in konkurrierenden, subglobalen Zusammenhängen weiterverfolgt werden. Das Modell dafür biete die Handelspolitik, die auseinanderbrach, nachdem beim WTO-Gipfel in Cancún 2003 deutlich geworden war, dass es keine multilaterale Lösung geben wird. Ob das gut oder schlecht für die Klimapolitik wäre, lässt Reimer indessen offen.

Auch Aaditya Mattoo und Arvind Subramanian gehen auf Handelspolitik ein. Die beiden Autoren stammen aus Indien und arbeiten in Washington: Mattoo bei der Weltbank und Subramanian beim regierungsunabhängigen Center for Global Development (CGD). Sie sehen als Haupthindernisse des alten multilateralen Ansatzes der Klimapolitik drei Probleme:

  • das „narrative problem“,
  • das „adding-up problem“ und
  • das „,new world‘ problem“.

Um Kooperation zu erreichen, müssen ihrem Urteil nach alle drei gelöst werden. Dabei sehen sie, ähnlich wie in der Sicherheitspolitik, Blöcke, die sich gegenüberstehen. Das Narrativ-Problem besteht dabei darin, dass jeweils anderen Staatengruppen unkonstruktives Verhalten vorgeworfen und so das eigene unkooperative Verhalten begründet wird.

Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, müsse ein Block in Führung gehen, schreiben Mattoo und Subramanian. Ein Bündnis von Schwellenländern wie etwa die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) könne das auch tun, denn deren Regierungen sind mittlerweile die immensen Klimagefahren, die ihnen bei Nicht­handeln drohen, klar. Obendrein, so Mattoo und Subramanian, wissen sie, dass die reichen Nationen mit ihrer habituellen „Schuldensucht“ (debt addictednes), die mit der Weltfinanzkrise ihre Quittung erhalten habe, zur Führung unfähig sind.

Was das „adding-up problem“ angeht, setzen Mattoo und Subrahmanian darauf, dass der technische Fortschritt hilft, das gewohnte Nullsummen-Denken zu überwinden, demzufolge weniger Emissionen weniger Entwicklung bedeuten. In Nullsummen-Konstellationen ist Kompromiss sehr schwer zu erzielen, weil Erfolg für eine Seite Misserfolg für eine andere bedeutet.

Die Autoren betonen aber, Wohlstand hänge heute nicht mehr von fossilen Energieträgern ab, sondern lasse sich auch mit alternativen Energiesystemen erreichen. Der alte Ansatz, CO2-Einsparungen mit Geld zu entschädigen, sei deshalb überholt.

Um den technischen Fortschritt voranzutreiben, fordern Mattoo und Subramanian die globalen Entscheidungsträger dazu auf, sich darauf zu konzentrieren, die „neue Welt“ zu gestalten, statt sich vor allem mit den Emissionen überkommener Technik zu beschäftigen. Die neue Technik müsse in den hochentwickelten Ländern, geschaffen werden und dann in anderen Weltgegenden für Aufschwung und Wohlstand sorgen.

Das Ziel dieser Art von global kooperativer Politik wäre also vor allem wirtschaftlicher Erfolg, wobei die Minderung der Treibhausgase eine erwünschte Nebenwirkung wäre. Um das möglich zu machen, halten die beiden Koautoren handelspolitische Regelungen für nötig, die einerseits Innovationen belohnen, andererseits aber breite Anwendung ermöglichen.

Dass die Klimapolitik wirtschaftspolitisch stimmig sein muss, ist auch die Botschaft eines Sammelbandes, den Carlo Jaeger et al. herausgegeben haben. In seinem zentralen eigenen Aufsatz beschäftigt sich Jaeger, der am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gearbeitet hat, mit dem aus der Volkswirtschaftslehre bekannten Problem der Gemeingüter.

Diese Gemeingüter sind allen zugänglich, und niemand kann von der Nutzung ausgeschlossen werden. Sie sind überlebenswichtig und doch gilt: Sie werden bei ungeregelten Marktkräften nachgefragt und dann auch übermäßig genutzt. Sie werden nämlich nicht in ausreichendem Maße bereitgestellt, weil privatwirtschaftliche Investitionen in sie sich nicht auszahlen. In der Praxis werden Gemeingüter deshalb typischerweise kollektiv verwaltet, wie die Ökonomin und Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom ausgeführt hat. Dafür sorgen dann Traditionen, aber auch staatliche Stellen oder formale Organisationen wie Vereine und Genossenschaften.

Wie andere Autoren vor ihm sieht Jaeger die Erdatmosphäre als Gemeingut, das viele verschiedene Parteien mit ihren Emissionen überlasten. Kollektives Handeln sei nötig, und es müsse auf kollektiver Wahrnehmung beruhen. International habe heute die Wissenschaft die Deutungshoheit, im speziellen Fall habe die volkswirtschaftliche Theorie politisch den größten Stellenwert. Wie diese Theorie mit Blick auf die Klimapolitik verstanden wird, bedarf laut Jaeger dringend der Korrektur, auch unter der großen Mehrzahl der Ökonomen.

Jaeger hält die verbreitete Auffassung, Klimaschutz erfordere eine Einschränkung des Wachstums, für unbegründet pessimistisch. Sie basiere auf einem veralteten und allzu einfachen ökonomischen Modell, in dem Marktkräfte immer nur zu einem einzigen optimalen Ergebnis führen können. Die Wirklichkeit sei aber vielschichtiger und komplizierter, was in der ökonomischen Theorie auch längst akzeptiert werde. Jaeger betont, Massen­armut könne nicht nur durch Umverteilung überwunden werden, sondern auch dadurch, dass neue Chancen geschaffen werden – etwa durch Bildung, Technik, Infrastruktur und breite Partizipation.

Jaeger schreibt, im bisher dominanten Modell des Denkens gelte der Klimaschutz als eine globale Last, welche die Staatengemeinschaft gemeinsam schultern müsse. Das laufe auf ein Nullsummen-Spiel hinaus, denn in dem Maße, wie eine Partei sich selbst belaste, entlaste sie alle anderen. Jaeger hält es für sehr unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass sich eine große Zahl von Nationalstaaten unter solchen mentalen Bedingungen wirksam auf etwas einigt, was dann eine „Lastenteilung“ darstellt, denn in derart wahrgenommenen Verhandlungssituationen fürchtet jeder Akteur ständig, übervorteilt zu werden.

Um künftig mehr zu erreichen als in Kopenhagen, muss aus Jaegers Sicht umgedacht werden. Die Begrenztheit der Atmosphäre habe bislang zu viel Aufmerksamkeit bekommen – und die Chancen der Kooperation zu wenig Aufmerksamkeit. Kooperation könne aber zu Konstellationen führen, von denen alle Akteure profitierten, so dass die Nullsummen-Logik überwunden werde.


Hans-Jochen Luhmann ist Wissenschaftler am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
jochen.luhmann@wupperinst.org

Literatur:
Jaeger, Carlo et al., Hg., 2012:
Reframing the Problem of Climate Change. From Zero Sum Game to Win-Win Solutions. Milton Park: Earthscan
Leggett, Jeremy, 2015: The Winning of The Carbon War. Free download at http://www.jeremyleggett.net/latestbook/
Reimer, Nick, 2015: Schlusskonferenz. Geschichte und Zukunft der Klimadiplomatie. München: Oekom-Verlag
Mattoo, Aaditya und Subramanian, Arvind: Greenprint, 2013: A New Approach to Cooperation on Climate Change. Baltimore: Brookings Institution Press

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