Rezensionsaufsatz

Gleichstellung lohnt sich

Gleichberechtigter Zugang von Frauen und Männern zu Ressourcen, Rechten und politischer Mitsprache ist nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen erstrebenswert. Wie verschiedene Studien zeigen, gibt es auch volkswirtschaftliche Vorteile.


Von Inga Müller

Der jüngst erschienene Gender GAP Report des World Economic Forum zeigt, dass sowohl die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes als auch sein Wohlstand (gemessen am BIP pro Kopf) mit dem Niveau der Geschlechtergleichstellung korreliert sind. Empirische Analysen von Klasen und Lamanna (2009) oder Knowles et al. (2002) zeigen zudem, dass genderspezifische Ungleichheit bei Bildung und Beschäftigung das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen kann.

Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Gleichstellung wirtschaftlich lohnen kann:
– Einer Gesellschaft, die Frauen und Mädchen weniger Bildungschancen gewährt, steht ein kleinerer Pool an qualifizierten Arbeitskräften zur Verfügung. Sie kann also ihr produktives Potenzial nicht voll ausschöpfen.
– Investitionen in die Ausbildung von Frauen führen zu niedriger Kinder- und Müttersterblichkeit sowie zu sinkender Fertilität und damit zu geringerem Bevölkerungswachstum. Es können mehr Erwachsene erwerbstätig sein und sie müssen weniger abhängige Kinder versorgen.
– Eigenes Einkommen stärkt oft die Verhandlungsmacht von Frauen im Haushalt. Sie setzen oft andere Prioritäten als ­Männer und sind eher bereit, in Nahrung, ­Gesundheit und Ausbildung der Kinder zu investieren.
– Wo Frauen ihrer Qualifikation entsprechend Zugang zu Arbeits- und Finanzmärkten haben, kann die gesamtgesellschaftliche Ersparnis steigen und der Spielraum für Investitionen wachsen.

Analysen von Seguino (2000) zeigen indessen auch, dass in Asien hohe Einkommensunterschiede verbunden mit niedrigen Löhnen für Frauen die Wettbewerbsfähigkeit exportorientierter Industriezweige (mit einem weiblichen Beschäftigungsanteil von bis zu 90 %) erhöht haben. Kurzfristig gab es dadurch Wachstumseffekte. Positiv war sicherlich, dass viele Frauen überhaupt eigenes Geld verdienten. Andererseits waren die Jobs von Frauen oft weniger sicher als die von Männern, und ihre Arbeitsbedingungen waren schlechter.

Frauen sind – wie kürzlich eine gemeinsame Publikation von Asiatischer Entwicklungsbank (ADB) und der International Labour Organisation (ILO) belegt hat – öfter als Männer prekär beschäftigt. Deshalb macht sich die ILO in der Genderdiskussion für „decent work“ stark. Der Begriff steht für sozial abgesicherte Arbeit zu fairem Lohn und das Recht, sich in Interessenvertretungen zu organisieren. Fortschritte in diese Richtung mögen kurzfristig manchmal das Wachstum begrenzen. Langfristig dient aber die effiziente Verteilung der vorhandenen Ressourcen durch Lohngleichheit der nachhaltigen Entwicklung.

Bildung, Beschäftigung und Einkommen

Genderspezifische Ungleichheiten in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Einkommen sind eng miteinander verknüpft. Dennoch bedeutet gleichberechtigter Zugang zu Bildung nicht automatisch, dass Frauen auch gleiche Zugangschancen zu Arbeitsplätzen genießen.

Zusätzliches Wachstumspotenzial durch die Förderung von Gleichberechtigung gibt es vor allem dort, wo Frauen bisher kaum am Arbeitsmarkt partizipieren (beispielsweise im Mittleren Osten und Nordafrika oder Süd­asien). Generell gilt, dass Diskriminierung in unterschiedlichen Bereichen nicht nur den betroffenen Frauen schadet, sondern – zumindest langfristig – auch gesellschaftliche Kosten verursacht.

Einen Überblick über den aktuellen Zugang von Frauen zu ökonomischen Chancen bietet der UN World Survey on the Role of Women in Development von 2009. Bezogen auf den asiatischen Raum ist die bereits genannte Publikation von ADB und ILO empfehlenswert. Die Weltbank hat mit der Agence Française de Développement (AFD) eine umfassende Analyse über geschlechtsspezifische Unterschiede auf afrikanischen Arbeitsmärkten heraus­gegeben (Arbache et al., 2010).

Einen guten Überblick bietet zudem der UN-Bericht zu den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs) von 2010. Besonders in Bezug auf Bildung gibt es deutliche Fortschritte. Viele Länder haben auf allen Bildungsebenen Geschlechterparität zumindest fast erreicht. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Regionen. So haben beispielsweise südlich der Sahara Frauen zur sekundären und tertiären Bildung noch deutlich seltener Zugang als Männer. Auch müssen sie in Krisenzeiten ihre Ausbildung eher abbrechen. Besonders groß ist die Kluft zwischen den Geschlechtern in armen Bevölkerungsgruppen und im ländlichen Raum. Das gilt ähnlich auch für Südasien. In Lateinamerika und der Karibik dagegen besuchen mehr Frauen als Männer weiterführende Schulen.

Auch der Frauenanteil an den unselbständig Erwerbstätigen außerhalb der Landwirtschaft ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen (auf weltweit heute rund 41 Prozent). Laut ILO lagen die durchschnittlichen Wachstumsraten der Beschäftigung von Frauen in den vergangenen Jahren über denen für Männer. Allerdings sind die regionalen Unterschiede wiederum groß. In Südasien, dem Mittleren Osten und Nordafrika liegt der Beschäftigungsanteil von Frauen nur bei rund 20 Prozent.

Trotz guter Bildung stoßen Frauen in manchen Regionen auf sozial, kulturell, religiös oder ideologisch begründete Barrieren, weshalb sie ihr produktives Potenzial nicht voll ausschöpfen können. Selbständig tätige Frauen wiederum haben oft schlechteren Zugang zu professionellen Finanzdienstleistungen als Männer, was ihre Erfolgschancen beeinträchtigt.

Wo Männer wie Frauen mit hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert sind, ist die Förderung von Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt besonders schwierig. ADB und ILO schlagen auf Basis ihrer aktuellen Analysen nach der Finanzkrise vor, in Asien stärker auf die Förderung des Kleinunternehmertums von Frauen (etwa in der Landwirtschaft) sowie gendersensibler sozialer Sicherungssysteme (auch im informellen Sektor) zu setzen, um die Gleichstellung voranzutreiben. Gleichzeitig müsse die Politik in Verwaltung, Recht und Haushalten Gendermainstreaming fördern.

Der Anteil von Frauen in nationalen Parlamenten ist ein Indikator für die Möglichkeit politischer Mitbestimmung. Diese Quote steigt in vielen Ländern, liegt aber weltweit bislang noch nicht einmal bei 20 Prozent.

Unbezahlte Haushaltspflichten

Obwohl sich die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren weltweit deutlich erhöht hat, hat sich die Aufteilung der unbezahlten Hausarbeit zwischen Männern und Frauen kaum geändert. Die „care economy“ (Pflege von Bedürftigen) obliegt zu großen Teilen unbezahlten, weiblichen Familienangehörigen sowie Dienstmädchen. Die Doppel­belastung ist oft hoch, Frauen haben deshalb generell weniger Zeit als Männer für Erwerbstätigkeit.

Über den Ausbau von Infrastruktur (etwa Wasser oder Transport) kann oft ein indirekter Beitrag zu Gleichberechtigung geleistet werden, sofern entsprechende Maßnahmen die Hausarbeit erleichtern.

Geschlechtsspezifische Benachteiligung beruht häufig auf tief verwurzelten gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen. Der lokale kulturelle Kontext ist sehr wichtig, oft können nur kleine Fortschritte erzielt werden. Wichtig ist, dass Reformpolitik beide Geschlechter einbezieht. Gendergerechte Politik bedeutet also nicht automatisch die spezifische Förderung von Frauen. In der Praxis sind Geschlechtsunterschiede ein Querschnittsthema, das oft nicht ausreichend bedacht wird.

Besonders wichtig bleiben weiterhin auch die Themen Müttergesundheit, reproduktive Gesundheit und HIV/Aids. Der MDG-Gipfel im vorigen Jahr hat gezeigt, dass auf diesem Gebiet trotz positiver Entwicklungen in vielen Ländern noch zu wenig erreicht wurde.

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