Ruanda

Friede vor Wahrheit

Eine ruandische Expertengruppe hat den Mord am ehemaligen Präsidenten Juvénal Habyarimana neu bewertet. Nun scheint eine neue Zeitrechnung zwischen Ruanda und Frankreich anzubrechen. Doch auf der Strecke bleibt die intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte.

Der Abschuss des Privatflugzeugs, durch den der ehemalige ruandische Präsident Juvénal Habyarimana 1994 ums Leben kam, war nicht der Auslöser für den Völkermord an den Tutsi, heißt es im Abschlussbericht einer ruandischen Expertengruppe. Der ehemalige Präsident sei vielmehr von Extremisten aus den eigenen Reihen ermordet worden, die mit seiner Politik nicht einverstanden waren.

Der Bericht stützt sich auf mehr als 500 Zeugenaussagen und ballistische Analysen. Dem Genozid, der direkt auf die Ermordung Habyarimanas am 6. April 1994 folgte und bis Juli dauerte, fielen mindestens 800 000 Tutsi und gemäßigte Hutu zum Opfer.

Zwar wird die Unabhängigkeit der Kommission betont. Der amtierende Präsident Paul Kagame, der sie 2007 eingesetzt hat, ist aber nicht neutral. Zum einen führte er 1994 die Tutsi-Rebellen an, zum anderen sah er sich selbst Vorwürfen aus Frankreich ausgesetzt, an dem Mordkomplott gegen Habyarimana beteiligt gewesen zu sein. Weil ein französischer Richter 2006 einen Haftbefehl gegen ihn ausstellte, brach Kagame die diplomatischen Beziehungen zu dem Land ab. Im August 2008 folgte dann die Revanche: Eine von Kagame eingesetzte Kommission, die sich auf Zeugenaussagen stützte, warf in einem Bericht ihrerseits Frankreich vor, an den massenhaften Tötungen mitschuldig zu sein.

Durch den aktuellen Bericht scheinen sich die diplomatischen Verstimmungen zu entspannen und die wechselseitigen Schuldzuweiseungen nachzulassen. Im Januar reiste der französische Außenminister Bernard Kouchner nach Ruanda und zu Redaktionschluss war ein Besuch von Präsident Nicolas Sarkozy in Vorbereitung. Manche Ruander zweifeln aber daran, dass die historische Wahrheit nun feststeht. Der Kommission sei es um Entspannung, nicht um Feststellung von Tatsachen gegangen, meint ein Ruander, der aus Sorge vor Repressionen nicht genannt werden will. (cir)

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