Wasser

Wirklich nötig

Ohne nachhaltige Sanitärsysteme sind menschliche Siedlungen ein Risiko für die Gesundheit. Schweizer Experten vertreten einen ­nutzerorientierten Ansatz für Planung und Bau passender Infrastrukturen in städtischen Slums und an der urbanen Peripherie. Ihr Kompendium beschreibt 51 relevante Technologien. Eines ihrer Pilotprojekte läuft in Tansanias Hauptstadt Dodoma.


[ Von Christoph Lüthi und Elizabeth Tilley ]

Household-Centred Environmental Sanitation (HCES) nennt die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) die innovative Methode, die sie für die Planung von Sanitärsystemen in armen Ländern entwickelt. HCES ist akteurszentriert und betont breite Partizipation. Die Schweizer Fachleute veröffentlichten 2005 ihre vorläufigen Richtlinien mit wichtigen Prinzipien, welche Behörden, Entscheidungsträger und Fachleute befolgen sollten.

Sichere Wasserversorgung, ökologische Abwasserentsorgung und Hygiene müssen gleichzeitig angegangen werden. Festmüll, Wasserabfluss und Fäkalienmanagement sind dabei zu berücksichtigen. HCES stellt private Haushalte und Wohnviertel in den Mittelpunkt von Planung und Implementierung. Alle Entscheidungen basieren also auf den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer und berücksichtigen die Mittel, die diesen zur Verfügung stehen.

Besonders wichtig ist, Frauen in Entscheidungen einzubeziehen. Denn sie sorgen in den Familien für Hygiene, holen Wasser und führen den Haushalt.

Der Erfolg jedes Sanitärsystems hängt immer von der Nutzerakzeptanz ab, und jede brauchbare Lösung muss zu den örtlichen Gegebenheiten passen. Ökologische Probleme müssen möglichst nah an ihrer Quelle gelöst werden. Ressourcenschonung und Abfallvermeidung sind sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll. Behörden aller Regierungsebenen müssen die Bedürfnisse der Menschen beachten.

Eawag empfiehlt denn auch keine bestimmte Sanitärlösung oder -technik. Vielmehr werden bei HCES in einem ganzheitlichen Planungsansatz so viele Optionen wie möglich erwogen. Um sinnvolle Entscheidungen zu ermöglichen, hat Eawag ein Kompendium mit 51 relevanten Sanitärsystemen und -techniken (Tilley et al, 2008) veröffentlicht. Aufgelistet sind vielfältige Methoden von anaeroben Filtern über Plumpsklos bis hin zu wasserlosen Systemen.

Seit zwei Jahren wird der HCES-Ansatz in sieben Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens erprobt (Costa Rica, Burkina Faso, Kenia, Tansania, Laos und Nepal). Die Ergebnisse sind vielversprechend, denn die Erfahrung lehrt, dass es möglich ist, von den Privathaushalten ausgehend, für ganze Viertel und sogar Kommunen zu planen.

Alle sieben Pilotvorhaben werden in zwei für Entwicklungsländer typischen Wohnsituationen durchgeführt:
– Ungeplante innerstädtische Slums. Normalerweise leben über die Hälfte der Einwohner afrikanischer und südasiatischer Städte in solchen überfüllten, ungeplanten, einkommensschwachen Vierteln. Die Einwohnerdichte kann leicht 500 Menschen pro Hektar betragen.
– Siedlungen am Stadtrand auf zuvor ödem oder landwirtschaftlich genutztem Land. Mit rund 200 Einwohnern pro Hektar ist die Siedlungsdichte meist relativ gering.

Beide Szenarien haben einiges gemein. Dazu zählen die häufig unsichere Rechts­situation der Bevölkerung, die schlechte Qualität der Behausungen und der in­adäquate Zugang zu sauberem Trink­wasser und Sanitärsystemen. Typisch sind zum Beispiel Plumpsklos sowie einfache Faulbehälter ohne Verbindung zur Kanalisation. Häufige Probleme sind die Verunreinigung der Brunnen und fehlendes Fäkalschlamm-Management.

HCES betont die Fähigkeiten und das ortsspezifische Wissen der Nutzer. Am Anfang steht ein eintägiger Community-Workshop. Interaktive Diskussionen beziehen die gesamte Gemeinschaft von Anfang an ein. Am Ende des ersten Workshops wird so etwas wie eine „Projektgruppe für ökologische Abwasserentsorgung“ oder ein „HCES-Entwicklungskomitee“ unter Beteiligung der betroffenen Bevölkerungsgruppen und zuständigen Behörden gegründet.

Der Erfolg hängt davon ab, dass das Wissen über finanzierbare und nachhaltige Optionen weit verbreitet wird. Besonders relevant ist, dass die Verantwortlichen für die Umweltdienstleistungen erreicht werden: Vertreter der Stadt und Städteplaner, aber auch Repräsentanten der örtlichen Gemeinschaften und traditionelle Autoritäten.

Am Stadtrand von Dodoma

Eawags Pilotprojekt in Tansania ist ein gutes Beispiel für den möglichen Verlauf partizipatorischer, haushaltszentrierter Planung. Chang’ombe ist eine einkommensschwache, ungeplante Siedlung am nördlichen Stadtrand von Dodoma, der Hauptstadt des Landes. Chang’ombe wurde erst kürzlich legalisiert, so dass rund 35 000 Einwohner jetzt einen ­sicheren Anspruch auf ihre Behausungen haben. Die Capital Development Authority (Hauptstadt-Entwicklungsbehörde, CDA) ist für die Stadtplanung zuständig.

Die Bevölkerungsdichte in Chang’ombe ist mit rund 210 Einwohnern pro Hektar noch verhältnismäßig gering. Eawag-Fachleute führten zusammen mit der örtlichen zivilgesellschaftlichen Organisation „Mamado“ – das Kürzel steht für „Maji na Maendeleo Dodoma“ (Wasser und Entwicklung für Dodoma) – den haushaltszentrierten Ansatz ein. Das Ergebnis ist ein praktikabler Plan für die ökologische Abwasserentsorgung in Chang’ombe, mit dem letztlich sogar die Infrastruktur der gesamten Siedlung verbessert werden kann. An dem Prozess nahmen zahlreiche Interessenvertreter teil, vom städtischen Versorgungsbetrieb über lokale Behörden und nichtstaatliche Organisationen bis hin zu Nachbarschaftskomitees, die sich mit Wasser und Abwasserentsorgung beschäftigen.

Der Einstiegsworkshop fand im Ok­tober 2007 statt. Alle Bevölkerungsgruppen waren vertreten, darunter Frauenorganisationen, Lehrer, religiöse Führer, Vereine von Jugendlichen und gewählte Mitglieder des Stadtbezirkskomitees. Im Workshop wurden die wesentlichen Grundlagen für den Planungsprozess gelegt. Zudem wurde ein HCES-Lenkungsausschuss gewählt und ergründet, wer in erster und zweiter Linie an dem Vorhaben Interesse hat.

Der Ausschuss präsentierte im vergangenen Jahr seinen Lagebericht, in dem die institutionellen Zuständigkeiten, das Verhalten und die Einstellungen der Menschen zu Hygienefragen sowie Infrastrukturmängel beschrieben werden. Auf dieser Basis wurden dann die Prioritäten der Nutzer erfragt. Das Ergebnis war, dass Chang’ombes Einwohner sich an der Qualität der Straßen, der ungeregelten Wasserversorgung und dem schlechten Zustand der Latrinen stoßen.

Solche Bewertungen sind wichtig. Sanitärversorgung hat für arme Menschen meist nicht die höchste Priorität, obwohl gerade auf diesem Gebiet Verbesserungen oft recht leicht möglich sind. Um breite Akzeptanz zu erreichen, ist es wichtig, das Thema im Kontext anderer Sorgen zu betrachten.

Der vermutlich wichtigste Schritt im HCES-Ansatz ist die Auswahl prakti­kabler und umweltverträglicher Optionen. Es kommt unter anderem auf Finanzierung, Technik und institutionelle Verantwortung an. Hier hat sich das oben erwähnte Kompendium von Eawag als wertvoll erwiesen, weil verschiedene Techniken und ihre Einsatzmöglichkeiten in verschiedenen Umfeldern leicht verständlich erläutert werden.

In Chang’ombe wurden die Optionen für das Abwassersystem in zwei Schritten ermittelt:
– Im Experten-Workshop waren Repräsentanten von Stadtrat, Gesundheitsbehörden, Stadtteilvertretern, Versorgungsunternehmen sowie lokale und internationale nichtstaatliche Organisationen vertreten.
– Der Community-Workshop war offen für alle Einwohner Chang’ombes und wurde von 70 Teilnehmern besucht.

Der Experten-Workshop schlug vier Sanitärsysteme mit technologischen Optionen vor, die für das wasserarme Dodoma geeignet sind. Diese Optionen wurden dann dem Community-Workshop vorgestellt, der die Alternativen analysierte. Als Nächstes wurden drei Pilotsanitäranlagen gebaut. So wird die Nutzerakzeptanz ge­testet, bevor Anlagen in großer Zahl für das ganze Viertel vervielfältigt werden. Die Pilotanlagen wurden an öffentlichen Orten wie dem Stadtbezirksamt oder an Schulen errichtet, so dass viele Nutzer sich selbst ein Urteil bilden können. Dank der Pilotanlagen ist es zudem möglich, die Kosten exakt zu bestimmen und die Leistung der lokalen Baufirmen zu prüfen. Obendrein werden Verbesserungsvorschläge gesammelt.

Zu Jahresbeginn wurde eine einjährige Sozialmarketing- und Hygienekampagne gestartet, sie richtet sich an alle Einwohner Chang’ombes und speziell an drei Grundschulen, die bisher ihre Sanitäreinrichtungen noch nicht verbessert haben. Gleichzeitig arbeiten die Hauptinteressen­vertreter – unabhängige Organisationen, ­örtliche Behörden und der HCES-Förderausschuss – an einem Mikrofinanzierungskonzept, damit die Menschen zu bezahlbaren Raten Kredite aufnehmen können, um in die Verbesserung ihrer Sanitärversorgung zu investieren.

Im Laufe des nächsten Jahres soll das neue System auf ganz Chang’ombe ausgedehnt werden. Der HCES-Ansatz hat sich als sinnvolle Methode der Planung und Umsetzung einer wichtigen Infrastruktur erwiesen, die nötig ist, um das siebte UN-Millenniumsziel zu erreichen: Sicheres Trinkwasser steht schließlich nur dort problemlos zur Verfügung, wo die Abwasserentsorgung geregelt ist, weshalb auch Sanitärversorgung im MDG7 ausdrücklich erwähnt wird.

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