Sozialpolitik

Wie soziale Sicherung in der Klimakrise hilft

Soziale Sicherungssysteme können Benachteiligte gegen Klimarisiken absichern und Klimaschutz sozial gerechter machen. Allerdings fehlen sie gerade dort, wo die Herausforderungen am größten sind.
Arbeiterinnen im indischen MGNREGA-Programm, einer Maßnahme zur sozialen Absicherung. picture alliance / Pacific Press / Sumit Saraswat Arbeiterinnen im indischen MGNREGA-Programm, einer Maßnahme zur sozialen Absicherung.

Für viele arme und benachteiligte Menschen weltweit ist die Klimakrise eine zweifache Bedrohung: Erstens sind sie besonders anfällig für Klimarisiken wie häufigere und intensivere Extremwetterereignisse. Zweitens können aber auch Maßnahmen zum Klimaschutz ihrerseits Nachteile und Ungerechtigkeiten mit sich bringen, unter denen diese Menschen besonders leiden. Beim Entschärfen beider Bedrohungen können soziale Sicherungssysteme eine zentrale Rolle spielen. Deshalb gilt es, sie flächendeckend zu etablieren.

Der Begriff „soziale Sicherung“ bezeichnet Maßnahmen wie Grundsicherung – etwa in Form von Geld, Sachleistungen, Schulspeisungen oder Beschäftigungsprogrammen – oder auch Sozialversicherungen. Sie zielen darauf ab, Menschen durch direkte Unterstützung aus der Armut zu befreien und in allen Lebensphasen vor Armut zu schützen.

Eine Kernaufgabe sozialer Sicherung ist es, die Widerstandsfähigkeit von Menschen gegen Schocks zu stärken (siehe Markus Loewe auf www.dandc.eu). Dazu zählen sowohl individuelle Schocks wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit als auch kollektive Schocks, die viele Menschen gleichzeitig treffen, wie Dürren oder Fluten. Soziale Sicherungssysteme sollten nicht nur auf individuelle, sondern auch auf kollektive Schocks reagieren können. Dafür müssen sie sich an die jeweilige Situation anpassen (adaptieren) können. Man spricht deshalb von „adaptiver sozialer Sicherung“.

In Situationen kollektiver Schocks geht es darum, jene, die bereits Leistungen empfangen, temporär stärker zu unterstützen beziehungsweise die Unterstützung auf zusätzliche Gruppen auszuweiten. Anpassungsfähigen Systemen gelingt das schnell, flexibel und weitreichend. Idealerweise können sie Schocks sogar antizipieren und so die zusätzliche Unterstützung schon vorab gewähren. Das stärkt die Widerstandskraft vulnerabler Gruppen und kann verhindern, dass Schocks zu Krisen werden. (Zur Rolle von sozialer Sicherung bei Fluchtursachen siehe Maren Suchta-Platzmann und Amédé Schmitz auf www.dandc.eu.)

Damit ein soziales System eine hohe Anpassungsfähigkeit erreicht, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Dazu zählen:

  • Daten- und Informationssysteme, um Risiken und gefährdete Personengruppen zu erfassen,
  • eine effektive und robuste Infrastruktur – etwa digitale Zahlungsmethoden –, um Menschen kostengünstig und verlässlich zu erreichen, und
  • finanzielle Reserven, um notwendige Gelder schnell bereitzustellen.

Ein Beispiel für adaptive soziale Sicherung ist das multilaterale „Sahel Adaptive Social Protection Program” (SASPP) der Weltbank, bei dem Deutschland der größte Geber ist. Es läuft in Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger, im Senegal und im Tschad. Ziel ist es, die Programme zur Grundsicherung dieser Länder weiterzuentwickeln zu umfassenden und anpassungsfähigen sozialen Sicherungssystemen. Der Fokus des SASPP liegt darin, Ernährungskrisen infolge von Dürren abzuwenden. Als anpassungsfähiges System konnte es aber auch auf die Pandemie reagieren, sodass bis September 2021 mehr als 4,6 Millionen Menschen in der Sahel-Region von zusätzlichen Geldtransfers profitierten.

Grundsicherung lässt sich zudem kombinieren mit Fördermaßnahmen, die es Menschen erlauben, sich an die Folgen der Klimaerwärmung anzupassen, etwa indem sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten diversifizieren. Solche Ansätze werden als „Economic Inclusion“ bezeichnet. Die Partnership for Economic Inclusion (PEI), ein von der Weltbank koordiniertes globales Netzwerk, fördert weltweit derartige Ansätze, beispielsweise im Niger im Kontext des SASPP.

Der Ausbau sozialer Sicherungssysteme kann auch die humanitäre Hilfe entlasten. Beispielsweise schließen immer mehr Entwicklungsländer Versicherungen gegen Klimarisiken ab (siehe Beitrag von Renate Bleich et al. auf www.dandc.eu), die ihnen im Schadensfall Anspruch auf Finanzhilfen garantieren – etwa bei schweren Dürren. Bislang wird der Großteil dieser Hilfen über die Strukturen der humanitären Hilfe an Bedürftige ausgezahlt. Es gibt aber Bestrebungen, dass dies zunehmend über bestehende soziale Sicherungssysteme geschieht.

Lehren aus der Pandemie

Fast alle Länder haben seit Januar 2020 soziale Sicherungsmaßnahmen ergriffen, um die Folgen der Covid-19-Pandemie abzufedern (Weltbank 2020). Dadurch konnten viele Menschen vor dem Abrutschen in extreme Armut gerettet werden (UNDP 2021). Die Pandemie zeigte somit, dass adaptive soziale Sicherungssysteme das Potenzial haben, kollektive Schocks wirksam abzufedern.

Allerdings offenbarte sie aber auch große Unterschiede. Staaten mit bereits bestehenden, leistungsfähigen Sozialsystemen konnten auf diese Krise recht gut reagieren. Dort, wo die Not am größten ist, fehlen solche Systeme allerdings oft, oder stecken noch in den Kinderschuhen. Weltweit haben 53 Prozent der Menschen keinerlei Zugang zu sozialer Sicherung, in Afrika sind es sogar 83 Prozent. Auch bei der Reaktionsgeschwindigkeit und der Finanzierung gibt es noch viel Verbesserungspotenzial.

Gleiches gilt im Hinblick auf die Klimakrise. Insbesondere in Ländern mit hohen Klimarisiken besteht großer Handlungsbedarf beim Ausbau sozialer Sicherung, wie der Weltrisikobericht 2021 illustriert, der jährlich vom zivilgesellschaftlichen „Bündnis Entwicklung Hilft“ herausgegeben wird, einem Zusammenschluss mehrerer Hilfswerke (siehe Monika Hellstern auf www.dandc.eu).

Soziale Sicherungssysteme aufzubauen, ist eine langfristige Aufgabe. Sie zahlt sich aber aus, wie das Beispiel Kambodscha zeigt. Deutsche Organisationen, darunter die GIZ, arbeiten dort seit mehr als zehn Jahren mit der Regierung an der Identifizierung armer Haushalte und am Armutsregister IDPoor. Während der Pandemie konnten im Mai 2020 binnen zehn Tagen 50 000 Menschen zusätzlich in das System aufgenommen werden. IDPoor ermöglichte bislang die schnelle Auszahlung von Geldsendungen an mehr als 2 Millionen Menschen.

Sozial gerechter Klimaschutz

Die Klimakrise erfordert, dass wir unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung transformieren – hin zur Klimaneutralität. Eines der Grundprinzipien der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs – Sustainable Development Goals) ist, dass auf diesem Weg niemand zurückgelassen wird („Leave No One Behind“). Gleichwohl können Klimaschutzmaßnahmen mit sozialen Härten einhergehen. Beispielsweise gehen Arbeitsplätze in fossilen Industrien verloren und Preise können steigen.

Das bedroht nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Maßnahmen selbst, weil es sie politisch schwerer durchsetzbar macht. Treffen sie breite Teile der Bevölkerung, können sie ohne sozialen Ausgleich an Protesten scheitern. Adaptive soziale Sicherungssysteme können hier stabilisierend wirken, indem sie soziale Härten gezielt abfedern. So helfen sie, die ökologische Transformation sozial gerecht zu gestalten und ermöglichen sie politisch. Bislang gibt es allerdings kaum Beispiele für eine solche gezielte Verschränkung von Klimaschutz und sozialer Sicherung. Meist beschränkt sich die Abfederung auf direkte Jobverluste, etwa im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg.

In einem anderen Kontext werden Instrumente der sozialen Sicherung dagegen bereits genutzt, um Klimaschutzziele zu verfolgen: Sogenannte Payments for Ecosystem Services (Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen) knüpfen Geldzahlungen an die Bedingung, dass bestimmte Schutzmaßnahmen ergriffen oder auch klimaschädliche Handlungen unterlassen werden, etwa exzessive Abholzung. Auch immer mehr öffentliche Beschäftigungsprogramme fokussieren sich auf „grüne“ Arbeitsmaßnahmen. Zwei bekannte Beispiele sind Indiens MGNREGA-Programm und Äthiopiens Productive Safety Net Programme.

Spätestens seit den Erfahrungen der Pandemie ist klar, wie wichtig anpassungsfähige soziale Sicherungssysteme sind, um auf kollektive Schocks reagieren und Folgeschäden minimieren zu können. Angesichts steigender Klimarisiken wird ihre Bedeutung weiter zunehmen. Daher ist es jetzt nötig, sektorübergreifend auf allen Ebenen zusammenzuarbeiten, um bestehende Sicherungssysteme zu stärken und Lücken in der Abdeckung zu schließen. Dafür braucht es insbesondere konzertierte Anstrengungen an den Verbindungsstellen zwischen sozialer Sicherung, humanitärer Hilfe, Klimawandelanpassung, Klimarisikofinanzierung und Katastrophenrisikomanagement.


Quellen

World Bank, 2020: Social protection and jobs responses to Covid-19: a real-time review of country measures. Washington, DC.
https://openknowledge.worldbank.org/handle/10986/33635

UNDP, 2021: Mitigating poverty: global estimates of the impact of income support during the pandemic.
https://www.undp.org/library/dfs-mitigating-poverty-global-estimates-impact-income-support-during-pandemic#modal-publication-download

Bündnis Entwicklung Hilft, 2021: WeltRisikoBericht 2021.
https://weltrisikobericht.de/download/2514/


Stefan Beierl arbeitet als Berater für soziale Sicherung für die GIZ.
stefan.beierl@giz.de

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