Kommunalpolitik

Ländlicher Stromversorger

Indien braucht eine Reform des Energiesektors, denn wegen des volkswirtschaftlichen Erfolgs wächst der Druck auf das überlas­tete Stromnetz – und angesichts des Klimawandels müssen ohnehin Alternativen zu fossilen Energieträgern gefunden werden. Eine kommunale Initiative in Südindien zeigt, wie erneuerbare Quellen dezentral genutzt werden können.


[ Von Sandip Chattopadhyay ]

Eine aktuelle Prognose besagt, dass Indien seine Energieerzeugungskapazität bis zum Jahr 2030 verdreifachen muss – von derzeit 130 000 MW auf 400 000 MW. Solch eine Steigerung in nur zwei Jahrzehnten ist in jedem Fall schwierig. Dabei könnte die tatsächlich benötigte Zuwachsrate noch höher liegen, da die genannte Prognose von erfolgreicher Energieeinsparung und breiter Einführung energieeffizienter Geräte ausgeht. Mindestens ebenso wichtig ist, dass Indiens Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen sowohl staatspolitisch also auch ökologisch betrachtet unhaltbar ist.

Kohle ist die wichtigste Energiequelle Indiens, doch die heimischen Vorräte schwinden dahin. Zudem sind die ökologischen Gefahren der Kohleausbeutung zur Genüge bekannt. Weil indische Kraftwerke meist veraltete Technik nutzen, sind sie besonders schädlich. Auch um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, muss sich Indien aus der Abhängigkeit vom Brennstoff Kohle befreien. Das ist Voraussetzung für die Vermeidung der schlimmsten Folgen des Klimawandels.

Öl und Erdgas sind die zweit- und drittwichtigsten Energieträger in Indien. Öl macht ein Drittel der Energieproduktion aus, und die Erdgasnutzung nimmt zu. Indien besitzt aber keine großen Öl- und Erdgasvorkommen. Import ist teuer und bedeutet Abhängigkeit vom Ausland.

Um die wachsende Wirtschaft mit Energie zu versorgen, muss Indien neue Wege gehen. Langfristig ist nachhaltige Unabhängigkeit im Energiesektor nur durch erneuerbare Quellen wie Sonne, Wind und Biotreibstoffe möglich.

Solarenergie muss ein Eckpfeiler der Reform sein. In jedem tropischen Land ist es sinnvoll, die Sonne zu nutzen. Wind und Biomasse sind ebenfalls wichtige Optionen.

Ein Vorteil der Solar- und Windenergie ist die gute Eignung für ländliche Erfordernisse. Odanthurai im südindischen Staat Tamil Nadu beweist das große Potential. Ein Besuch der Zwölf-Dörfer-Gemeinde ist ein Muss für alle Politiker und Beamte, die sich in Indien für erneuerbare Energien interessieren. In nur sechs Monaten haben 2000 Panchayat-Vorsitzende die Gemeinde besucht. Panchayats heißen die gewählten Gemeinderäte von Dörfern und kleinen Städten.

Den Besucherstrom verdankt Odanthurai einem kreativen, umweltbewussten Ansatz zur Verringerung seiner Abhängigkeit vom staatlichen Energieversorger Tamil Nadu Electricity Board (TNEB). Der örtliche Panchayat hat ein diversifiziertes Energie-Portfolio. Ihm gehören 65 solarbetriebene Straßenlampen, ein Biomassevergaser und ein Windpark mit einer Leis­tung von 350 kW.

TNEB ist kein zuverlässiger Energieversorger. Im Schnitt erlitt Odanthurai früher drei Stunden Stromausfall pro Tag. Dank der lokalen Stromerzeugung sind Odanthurais 6500 Einwohner heute sicher, dass ihre Straßenlampen und elektrischen Trinkwasserpumpen durchgehend funktionieren – sogar in den kleinen Weilern Vinobhaji Nagar und Kalarpudur.

Odanthurais Panchayat nutzt rund 50 Prozent des vom Windpark generierten Stroms selbst. Der Rest wird an TNEB verkauft. 2008 nahm der Gemeindehaushalt dadurch umgerechnet 38 000 Dollar zusätzlich ein.

R. Shanmugam, der von 1996 bis 2006 Panchayat-Präsident von Odanthurai war, sagt, früher habe der Ort 60 Prozent seines öffentlichen Haushalts für Energie aufgewendet. Für den Bau des Windparks nahm die Gemeinde einen Kredit im Wert von 230 000 Dollar auf, der in sieben Jahren zurückgezahlt werden muss. Shanmugam geht davon aus, dass nach der Rückzahlung des Kredits die Stromrechnung bei null liegen wird.

Hindernisse

Der Weg zu lokaler Selbstversorgung ist jedoch steinig. Jedes Projekt muss zu den örtlichen Bedingungen passen. Was in Odanthurai funktioniert hat, ist nicht unbedingt auf Nachbarorte übertragbar. Windräder sind nicht überall sinnvoll.

Es kommt vor allem auf die Kosten an. Jede Solarstraßenlampe hat umgerechnet 440 Dollar gekostet. Shanmugam weiß, dass viele Dörfer sich das nicht leisten können. Nur mit Unterstützung der Staats- oder Bundesregierung könnten deren Panchayats solche Lampen installieren, sagt er.

Höhere Feuerholzpreise haben auch die Betriebskosten des Biomassevergasers steigen lassen. In Odanthurai betragen die Kosten für die Stromgeneration auf diesem Weg heute 140 Prozent mehr als noch 2003. Shanmugam sagt, der gesamte Energiebedarf der Panchayats könne durch hocheffiziente Biomassevergaser gedeckt werden – aber nur, wenn der Rohstoffpreis auf einem günstigen Niveau stabilisiert werde.

In den meisten Dörfern gibt es Brachflächen, die für Energiepflanzen genutzt werden könnten. Es wäre sinnvoll, die Bauern zu ermutigen, dort zum Beispiel schnell wachsende Bäume zu pflanzen. Dennoch sind Rohstoffpreisschwankungen nicht zu vermeiden. K. Muthuchelian von der Madurai-Kamaraj-University betont die Notwendigkeit, vor der Planung von Biomassegeneratoren die regionalen Ressourcen und das Agrarpotenzial gründlich zu prüfen.

Die Kosten werden viele Panchayats davon abhalten, dem Beispiel Odanthurais zu folgen. Dennoch sei die Zeit reif für Taten, sagt G. Palanithurai von der Gandhigram-University-of-Tamil-Nadu. Die Regierung des Bundesstaates Tamil Nadu hat Strom- und Wasserschulden der Panchayats erlassen, so dass die für diesen Zweck bestimmten Gelder nun frei verfügbar sind. Im Prinzip weiß jeder Panchayat, wie viel Strom er verbraucht, und kann entsprechend planen.

Palanithurai lobt Odanthurai als beispielhaft: „Wir brauchen mehr solche Modelle. Energie kann zum Beispiel aus Abfall generiert werden. Kleine Vergaser können Wasserpumpen antreiben. Sie können den Panchayats helfen, autark zu werden.“ Wenn Indiens Wirtschaftsaufschwung anhalten soll, müssen Anstrengungen, das lokale Energiepotential zu nutzen, unterstützt werden. Odanthurais Erfolg kann eine Lehre sein – und zwar eine, die zu ignorieren Indien sich nicht leisten kann.

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