Editorial

Von Menschen gemacht

Eine Künstleraktion schaffte es im letzten Jahr in die europäischen Medien: In Kleidungsstücke des Herstellers Primark hatten Aktivisten Etiketten eingenäht, welche die schlechten Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern anklagten. Viele Kunden hielten die Nachrichten zunächst für echte Hilferufe der Näherinnen aus China und Bangladesch.
Mitarbeiterin eines Textilbetriebs in Tunesien, der Öko-Jeans herstellt. Kuyichi Mitarbeiterin eines Textilbetriebs in Tunesien, der Öko-Jeans herstellt.

Immer häufiger geriet die Textilindustrie in den letzten Jahren wegen der Arbeitsbedingungen in ihren Zulieferbetrieben in die Schlagzeilen. Denn dort herrschen Zustände, die bei Weitem nicht den internationalen Standards entsprechen: Zu den Kritikpunkten zählen niedrige Löhne, unbezahlte Überstunden, der Mangel an Schutzkleidung oder Toiletten.

Globalisierungsgegner führen die Textilindustrie daher oft als Beispiel für unfairen Welthandel an. Die Zulieferkette ist komplex, und viele Produktionsschritte werden von ungelernten Arbeitskräften erledigt. Angesichts sinkender Transportkosten und Handelsschranken gehen Firmen dorthin, wo diese Arbeitskraft besonders billig ist. Während die Textilwirtschaft einst das Industrialisierungszeitalter in Europa einleitete, liegen die Zentren der Garn-, Stoff- und Kleiderherstellung heute in Asien, Zentralamerika und Nordafrika. Vor allem junge Frauen finden hier Arbeit und ein – wenn auch geringes – eigenes Einkommen.

Dank Medienberichten und Aufklärungskampagnen vor allem von Seiten der internationalen Clean Clothes Campaign wächst in den reichen Ländern das Bewusstsein. Zwar können sich die meisten Modehäuser nicht über ausbleibende Kundschaft beklagen. Dass viele Kunden die gefälschten Primark-Etiketten zunächst für bare Münze hielten, zeigt aber, dass sie sich der Probleme durchaus bewusst sind. Viele Kunden möchten mit ihrem Kaufverhalten nicht Ausbeutung unterstützen, fühlen sich aber ohnmächtig angesichts der übermächtigen Wirtschaftsstrukturen.

Dabei kommt die Textilbranche bereits etwas in Bewegung. Obwohl die Zulieferkette  schwer zu kontrollieren ist, haben sich Bio- und Fairtrade-Siegel etabliert. In Bangladesch erstarken die Gewerkschaften und drängen den Staat, das eigene Arbeitsrecht endlich umzusetzen. Großen Unternehmen ist mittlerweile daran gelegen, sich zumindest einen sozialeren Anstrich zu geben. Und viele kleine Labels zeigen, wohin die Reise gehen sollte: Sie entwickeln ökologische Produktionsmethoden und achten auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

So wird gerade an der viel kritisierten Textilbranche deutlich, dass wir nicht hilflos sind, sondern Globalisierung gestaltet werden kann. Unternehmer müssen Verantwortung übernehmen, Regierungen Gesetze durchsetzen, Verbraucher bewusst entscheiden und Medien die Öffentlichkeit aufklären. Noch ist unendlich viel zu tun. Doch wenn bei einem der größten produktiven Gewerbe der Welt Veränderung möglich ist, so gilt dies auch für andere Branchen.

Wirtschaftssysteme sind menschengemacht. Wir haben die Pflicht, sie zu steuern – und sie so zu gestalten, dass weltweiter Handel nicht Ungleichheit verstärkt sondern Armut beendet.


Eva-Maria Verfürth ist Redakteurin von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs-medien.de

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