Grundbedürfnisse

Tabuthema Toilette

In Entwicklungsländern stirbt laut Schweizerischer Kampagne für sanitäre Grundversorgung alle 20 Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Durchfall – wegen Mängeln der Sanitärversorgung, unsauberem Trinkwasser und fehlender Hygiene. Das eigentliche Problem ist, dass Politik und Zivilgesellschaft nicht über das Thema reden.

Von Caroline Triml

Wie aus einem aktuellen Report von UNICEF (United Nations International Children’s Emergency Fund) und WHO (World Health Organisation) hervorgeht, wurde das Millenniumsziel für Trinkwasser – den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser von 1990 bis 2015 zu halbieren – bereits erreicht. Bei den sanitären Einrichtungen sieht es anders aus. Auch 2015 werden wohl nicht 75 Prozent der Weltbevölkerung ausreichend versorgt sein.

Jeder dritte Mensch auf der Welt muss derzeit ohne Latrinen und Abwasserentsorgung auskommen – von modernen Toiletten ganz zu schweigen. Viele Menschen benutzen zum Trinken, Kochen und Waschen mit Fäkalien verunreinigtes Wasser.

Millionen von Menschen leiden deshalb an vermeidbaren Krankheiten wie Durchfall, Cholera oder Würmern. Der Mangel an sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen tötet laut einer Erklärung der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle) mehr Kinder als Aids, Malaria und Masern zusammen.

Die Kluft in der Sanitärversorgung spiegelt die weltweite Ungleichheit wider. „Städte wachsen schneller als ihre Infrastruktur“, sagt die Grünen-Politikerin Uschi Eid. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende des Beraterkreises für Wasser und sanitäre Grundversorgung des UN General-Sekretärs (UNSGAB – Secretary General’s Advisory Board on Water and Sanitation). „Gerade in urbanen Slums ist die Sanitärversorgung völlig unzureichend, was zu großen hygienischen Problemen sowie zunehmender Umweltbelastung führt“, ergänzt sie. „Die Menschen behelfen sich mit Notlösungen wie zum Beispiel fliegenden Toiletten oder erleichtern sich im Freien.“

Künftig werden mehr Menschen in Städten leben, folglich steigt auch die Zahl der Slumbewohner. Da infor-melle Elendssiedlungen meist keinen legalen Status haben, verbieten Behörden, sie an die Kanalisation anzuschließen, wie UN-Gutachterin Catarina Albuquerque berichtet. Leider investierten Entwicklungsländer bisher lediglich 1,5 Prozent ihrer öffentlichen Ausgaben in Abwassersysteme, sagt Albuquerque.

Die WHO-Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 1,1 Milliarden von
2,5 Milliarden Menschen, die ohne sanitäre Einrichtungen leben, müssen ihren Stuhlgang im Freien verrichten. In Südasien gilt das für 41 Prozent der Bevölkerung, wobei der Anteil bereits deutlich zurück­gegangen ist. Südlich der Sahara sind weniger als zehn Prozent der städtischen Bevölkerung an die öffentliche Abwasserentsorgung angeschlossen. Nach bisherigen Trends wird das MDG-Sanitärziel weltweit frühestens 2026 erreicht.

Um die Hygiene zu verbessern, ist Kanalisation nötig. Sie hält Exkremente von Mensch und Trinkwasser fern. In Städten, die bereits solch ein System haben, können Haushalte relativ leicht daran angebunden werden. Dort, wo es solche Kanalisationsnetze nicht gibt und das Geld für die Errichtung nicht ausreicht, helfen gemeinsam genutzte Sanitäranlagen weiter, denn dann reicht ein einziger Kanal, um das Abwasser wegzuleiten. Schweizer Fachleute haben ein Kompendium sinnvoller Techniken zusammengestellt (EAWAG 2009).

In Lateinamerika weisen zwar viele Städte Kanalisationsnetze auf, doch meist reicht die Kapazität der Kläranlagen nicht. So werden in Brasilien und Mexiko laut UN-Daten weniger als ein Fünftel der Abwässer gereinigt.

In den südostasiatischen Städten Jakarta und Manila ist wiederum das Kanalisationsnetz schlecht. Eine hoch entwickelte In­frastruktur von Latrinen jedoch ermöglicht zumindest die häusliche Abwasserentsorgung. Werden die Latrinen nicht entleert, sickern Fäkalien aber ins Grundwasser.

Lösungsansätze

Zur Abwasserpolitik gehören viele Akteure, unter anderen Kommunalverwaltungen, Versorgungsbetriebe und die Bevölkerung selbst. Jeder muss beteiligt werden – und genau das macht die Herangehensweise so schwierig. Auch ob die Bevölkerung vor Ort mitarbeitet, entscheidet maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg.

Im letzten Jahrzehnt hat sich gezeigt, dass konzertiertes Vorgehen durchaus etwas bewirken kann. Dem Bericht über menschliche Entwicklung des UNDP (United Nations Development Program) von 2006 zufolge bezuschusst Kolumbien zum Beispiel arme Haushalte, damit sie sich den Anschluss an die Kanalisation leisten können. Zudem bot die Regierung kleinen Versorgungsfirmen Kredit und technische Unterstützung, damit sie ihren Service auf die einkommensschwache Bevölkerung ausweiten.

Ein anderes Erfolgsbeispiel stellt Thailand dar, wo es gelungen ist, die gesamte Bevölkerung mit Sanitäranlagen zu versorgen. 1990 betrug die Quote erst 80 Prozent. Die Regierung ließ technische Lösungen ent­wickeln, die auch Arme bezahlen können. Sie führte Schulungen zur Instandhaltung von Sanitäranlagen durch und half bei der Finanzierung. Gleichzeitig gab es Aufklärungsprogramme, die den gesundheitlichen Nutzen der Sanitärversorgung erhöhten, wie in dem UNDP-Dokument steht.

Grünen-Politikerin Eid lobt die Community Bio-Centers in Kibera, einem großen Slum Afrikas in Nairobi. Gegen geringe Gebühren kann man dort Toiletten und Duschen benutzen. Abwässer und Schlämme werden geklärt und im Anschluss als Düngemittel oder zur Biogaserzeugung genutzt. Eid betont, besonders wichtig sei immer die Verantwortlichkeit der jeweiligen Gemeindemitglieder.

Menschen müssen verstehen, ­warum das Thema wichtig ist. Sie sollten in Projekte mit eingebunden werden. Dass Verbesserungen für ganze Gemeinschaften erzielt werden, die Kindersterblichkeit gesenkt und die Lebensqualität erhöht wird, gehört klar erläutert. Folgende Probleme behindern laut UN die Errichtung ordentlicher Sanitäranlagen:
– Der Zeithorizont ist für die Entwicklungszusammenarbeit zu groß. Um Projektfortschritte zu erzielen, braucht es laut UN mindestens zehn bis 15 Jahre. Nationale Planungsstellen und Geberorganisa­tionen arbeiten jedoch zumeist in zwei- bis dreijährigen Zyklen.
– Nicht allen Menschen erscheint Sanitärversorgung gleich wichtig. Die Gleichstellung von Frauen und Männern wäre hilfreich, wie aus dem UN-Bericht ebenfalls hervorgeht. Denn Frauen legen mehr Wert auf private Toiletten. Sie erleben die Auswirkungen auf ihre Kinder näher mit und begeben sich nachts in Gefahr, wenn sie das Haus verlassen müssen.
– Größtes Hindernis auf dem Weg zu flächendeckender sanitärer Versorgung ist die mangelnde Bereitschaft politischer Amtsträger, die Entsorgung von Fäkalien auf die Agenda zu setzen, meinen die UN. Hier gebe es Parallelen zum Thema HIV/AIDS, das ebenfalls lange gemieden wurde. Erst als das Tabu überwunden war und Politik, Zivilgesellschaft und Medien offen darüber sprachen, konnte die Pandämie mit wirksamen Maßnahmen eingedämmt werden.

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