Rangin Spanta, afghanischer Außenminister

„Unsere Polizei ist zu schwach“

Seit dem Sturz der Taliban bemüht sich die internationale Gemeinschaft, in Afghanistan eine Polizei aufzubauen. Deutschland hat dabei die Federführung. Als sich im vergangenen Jahr die Sicherheitslage verschärfte, kam Kritik an der deutschen Polizeiausbildung auf: Sie sei zu langwierig und konzentriere sich zu stark auf höhere Dienstgrade, lautete der Vorwurf vor allem von US-amerikanischer Seite. Der afghanische Außenminister Rangin Spanta erläutert, welche Art Polizei sein Land braucht.


Was wurde in den vergangenen fünf Jahren Polizeiaufbau erreicht, was wurde versäumt?

Ursprüngliches Ziel waren 70 000 Polizisten, die der afghanischen Verfassung verpflichtet und dem Staat gegenüber loyal sind. Bislang haben wir etwa 48 000 Polizisten nach diesem Ansatz ausgebildet. Angesichts der schwierigen Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes geht der Polizeiaufbau insgesamt zu langsam. Sowohl die Zahl der Beamten als auch ihre technische Ausrüstung – Waffen und Kommunikationsmittel zum Beispiel – entsprechen nicht den Bedürfnissen Afghanistans. Die Polizei ist nicht in der Lage, Terroristen etwas entgegenzusetzen.

Welche Aufgaben sind vordringlich?

Wir sollten einerseits das langfristige Ziel nicht aus den Augen verlieren, eine professionelle, der Verfassung verpflichtete Polizei aufzubauen. Andererseits ist es dringend notwendig, freiwillige Rekruten kurzfristig zu schulen und zu bewaffnen, die als eine Art paramilitärische Polizeieinheiten im Süden des Landes eingesetzt werden können. Für die unsicheren Regionen entlang der pakistanischen Grenze muss ein alternatives Konzept für den Polizeiaufbau entwickelt werden. Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, in den Dörfern Freiwillige zur Verteidigung gegen Terroristen zu rekrutieren – natürlich unter Aufsicht des Innenministeriums.

Die US-Regierung investiert seit einiger Zeit verstärkt in mehrwöchige Schnellkurse, in denen Polizisten vor allem an der Waffe geschult werden. Entspricht das Ihren Vorstellungen?

Der US-Ansatz ist Teil des Gesamtkonzepts für eine langfristig gut ausgebildete afghanische Polizei. Er ist nicht als Alternative dazu gedacht. Der Polizeiaufbau hat mehrere Komponenten. Die von den USA trainierten Kräfte sind in einem paramilitärischen Umfeld kurzfristig einsetzbar, aber sie ersetzen nicht die professionellen Beamten, die wir für klassische polizeiliche Aufgaben brauchen.

Der US-amerikanische Sicherheitsfachmann Anthony Cordesman hat gesagt, Deutschland habe Jahre vergeudet, indem es die falsche Art Polizei trainiert habe . . .

Die Kritik geht in die falsche Richtung. Die Staatsbildung in Afghanistan ist ein langwieriges Vorhaben, und langfristig brauchen wir professionelle Polizisten, die im Rahmen der Menschenrechte und demokratischer Spielregeln agieren. Das Konzept der Vereinigten Staaten wiederum brauchen wir, um der Bedrohung durch Terroristen kurzfristig etwas entgegenzusetzen. Beide Ansätze gehören zusammen.

Die Europäische Union will sich künftig stärker in der Polizeiausbildung nach deutschem Muster engagieren. Die Zahl der Ausbilder in Afghanistan soll auf 160 vervierfacht werden. Zielt das in die richtige Richtung?

Ja, denn die Aufgabe kann nicht von einem Land allein geschultert werden. Die Mittel, die Deutschland in den letzten Jahren für die Polizeiausbildung bereitstellen konnte, reichen einfach nicht. Dass die EU das nun als gemeinsame Aufgabe ansieht, ist ein großer Fortschritt. Ich habe das auch während meines Besuchs im Februar in Brüssel gefordert.

Reichen die angekündigten Anstrengungen der EU?

Es müsste noch mehr kommen. Vergleichen Sie das europäische Engagement in Afghanistan mit dem im Kosovo – gemessen an der Bevölkerungszahl und der Bedrohung. Afghanistan war das Zentrum des internationalen Terrorismus von al Qaida und den Taliban, die jenseits der afghanischen Grenzen immer noch existieren. Angesichts dieser Situation brauchen wir viel mehr Engagement und Geld, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Wie gravierend ist die Korruption innerhalb der Polizei? Und was lässt sich dagegen unternehmen?

Korruption ist in Afghanistan allgegenwärtig, nicht nur in der Polizei, sondern auch in anderen Staatsorganen. Wir müssen eine wirksame Strategie zur Korruptionsbekämpfung entwickeln: Zum einen müssen wir die Kontrollen verschärfen, zum anderen müssen wir gleichzeitig die Einkommen von Staatsangestellten anheben. Wie soll ein Polizist, der einen risikoreichen Job hat, von 50 bis 60 Dollar im Monat seine Familie versorgen? Wir müssen eine Vielzahl von Maßnahmen gleichzeitig treffen.

Die Debatte über die Polizeiausbildung in Afghanistan kam auf, als letztes Jahr neue Rekorde beim Drogenanbau gemeldet wurden. Welche Rolle spielen die Sicherheitskräfte im Kampf gegen die afghanische Drogenökonomie?

Dieser Kampf ist nicht allein eine polizeiliche Aufgabe. Die afghanische Polizei ist noch zu schwach, um es mit den Drogen-Baronen und den Terror-Baronen, die ja teilweise zusammenarbeiten, aufzunehmen. Wir brauchen eine umfassende mittel- bis langfristig angelegte Anti-Drogen-Strategie, die alle nationalen Kräfte mobilisiert. Natürlich muss diese Strategie auch eine Sicherheitskomponente enthalten. Aber was soll die Polizei erreichen, wenn in manchen Distrikten, sogar im Süden des Landes, nur 40 Beamte zur Verfügung stehen, die zudem schlecht ausgerüstet, schlecht ausgebildet und schlecht bezahlt sind?

Wie stark ist die Polizei mit der Drogenökonomie verstrickt?

Bedauerlicherweise gibt es Verbindungen. Es gibt Polizeioffiziere und niedrigere Beamte, die mit der Drogenökonomie verwickelt sind. Das muss in einer Strategie gegen den Drogenanbau berücksichtigt werden. Aber es wäre übetrieben, zu behaupten, die Polizei sei von der Drogenmafia unterwandert.

Die Fragen stellte Tillmann Elliesen.

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