Gesundheit

Mehr als Geburtshilfe

In Lateinamerika ist Guatemala eines der Länder mit der höchsten Mütter- und Kindersterblichkeit. Ein Großteil der Geburten wird von traditionellen Hebammen betreut. Sie sind selten formal ausgebildet und es fehlt ihnen am Nötigsten: Handschuhen und Scheren.


[ Von Barbara Kühlen ]

Erschöpft schließt Doña Ángela ihre Haustür in Concepción Chiquirichapa im Department Quetzaltenango auf und klopft den Staub von ihrem Rock. Ein anstrengender Tag liegt hinter ihr: zwei Geburten, eine Vorsorgeuntersuchung und ein Beratungsgespräch, in dem sie Pedro und Inés endlich davon überzeugen konnte, es bei den sechs Kindern zu belassen. Nicht einfach, denn hier zeugt die Zahl der Kinder von Männlichkeit.

Doña Ángela ist seit 40 Jahren traditionelle Hebamme – in Guatemala Comadrona genannt. Sie ist eine der Frauen, die im ganzen Land mehr als 60 Prozent, in indigenen Gemeinden weit über 80 Prozent der Geburten betreuen. Ihre Rolle ist fundamental für die Gesundheitsversorgung – die Müttersterblichkeit liegt in Guatemala bei 153 pro 100 000 und einer Kindersterblichkeit von 45 pro 1000 Lebendgeburten.

Comadronas begleiten weit mehr Geburten als ausgebildete Helfer, doch es fehlt ihnen an allem: an finanzieller Unterstützung, an adäquater Ausbildung und an Ausstattung. Und vor allem an Anerkennung. Ins öffentliche Gesundheitssystem sind sie auch kaum integriert.

Die Comadronas fühlen sich wegen ihrer Herkunft und ihrer mangelnden formalen Bildung oft diskriminiert. Sprachbarrieren erschweren die Kommunikation mit dem staatlichen Gesundheitspersonal zusätzlich. Wenn Doña Ángela Patientinnen bei Komplikationen in die Klinik brachte, sagte man dort oft: „Warum müsst ihr euch einmischen und Dinge tun, von denen ihr keine Ahnung habt?!“

„Dabei“, sagt sie, „kommen die staatlichen Ärzte und Krankenschwestern fast nie in unsere Dörfer. Die Frauen können nur auf unsere Hilfe zurückgreifen.“ Unzählige Male lief Doña Ángela zu Fuß durch das Hochland, um Frauen in abgelegenen Dörfern zu besuchen. Nun gibt sie anderen Comadronas Fortbildungskurse in ihrer Muttersprache Mam, damit diese besser vorbereitet sind, als sie es war. Die guatemaltekische NRO PIES de Occidente fördert die Kurse.

Zur traditionellen Hebamme wird man nach dem Verständnis der Maya von Gott (Ajaw) berufen – im Traum oder durch Eingebung. Über Geburtsbegleitung wissen die Berufenen aber oft nichts. Diese Unkenntnis, schlechte Ausstattung und auch Unwissenheit der werdenden Mütter über sexuelle und reproduktive Gesundheit war in der Vergangenheit für viele Frauen tödlich.

70 Prozent der Mütter, die bei der Geburt sterben, gebären ihre Kinder zu Hause. Blutungen und Sepsis – die häufigste Todesursache – werden oft durch unsauberes medizinisches Gerät ausgelöst. Comadronas müssen daher adäquat ausgebildet werden und sie brauchen entsprechende Instrumente. Oft fehlt es ihnen bislang sogar an sterilen Handschuhen und Scheren. Materiell und finanziell werden sie kaum unterstützt und ihre Arbeit wird von staatlichen Stellen wenig wertgeschätzt. Es gibt eine Reihe von Anforderungen an die Comadronas, auf der anderen Seite aber wenig bis keine Unterstützung der staatlichen Gesundheitseinrichtungen für die Durchführung ihrer Aufgaben.

Umfassende Aufklärung

Solide ausgebildete Comadronas sind mehr als Geburtshelferinnen. Sie klären auch auf über Verhütung, Familienplanung, Krebsvorsorge, sexuell übertragbare Krankheiten und HIV/Aids, über Gewalt in der Familie auf. Sie genießen das Vertrauen der Frauen und Familien, kennen Kultur, Lebensbedingungen, Gewohnheiten und Strukturen. Und sie sprechen ihre Sprache. Doña Ángela ist daher in ihrer Gemeinde eine Autoritätsperson. Wenn sie spricht, hören auch Männer zu.

Mehr als 3000 Kinder habe sie auf die Welt gebracht, erzählt sie, und es sei nie jemand gestorben. Oft werden Mädchen zum Dank nach ihr benannt oder sie wird zur Großmutter der Neugeborenen erkoren. Bezahlt werden die Comadronas selten, die Patientinnen sind genauso arm wie sie. „Gelegentlich bekommen wir ein paar Eier, ein Säckchen Mais, auch mal ein Huhn. Oder die Familie lädt mich zum Essen ein.“

Menschlich fühlen sich die Frauen besser betreut als in staatlichen Einrichtungen. Thelma, eine junge Patientin Doña Angelas erzählt: „Ich habe nicht viel Geld und kann mir eine Entbindung im Krankenhaus nicht leisten, deshalb bin ich zu Doña Angela gegangen. Sie hat mich seit meiner Schwangerschaft begleitet, mir erklärt, was mit meinem Körper passiert, worauf ich achten und wie ich mich ernähren muss. Sie spricht Mam, hat viel Geduld und ich habe viel mehr Vertrauen in sie als in die Ärzte in den Krankenhäusern.“

Das guatemaltekische Gesundheitsministerium versucht mit einer lokal ansetzenden Strategie seit 2004 die Müttersterblichkeit zu verringern und Geburtsrisiken zu reduzieren – auch durch Einrichtung von Notfall-Komitees in den Gemeinden. Allerdings erreichen diese Bemühungen bisher nur einzelne Regionen. Die Comadronas blieben mehr oder weniger unberücksichtigt, Mittel gibt es auch kaum. Das Gesundheitsbudget des Staates ist mit knapp einem Prozent vom BIP ohnehin recht karg.

Die guatemaltekische Organisation PIES de Occidente mit Sitz in Quetzaltenango aber hat erkannt, wie wichtig die Comadronas sind. Seit 1994 unterstützt sie diese mit Fortbildungen. Doña Ángela ist eine ihrer ersten Partnerinnen.

Benachteiligte Maya-Mam

Die „Área Mam“ des Departaments Quetzaltenango im westlichen Hochland Guatemalas, wo Doña Angela zu Hause ist und wo PIES de Occidente die meisten ihrer Projekte durchführt, ist eine extrem unterentwickelte Region. Fast alle gehören zur Ethnie der Maya-Mam, mehr als 80 Prozent der Menschen leben von Subsistenz-Landwirtschaft. Strom-, Wasser- und Basisgesundheitsversorgung gibt es in den wenigsten Gemeinden.

Der Besuch eines Gesundheitszentrums ist für viele eine unerschwingliche Tagesreise. Die Gesundheitsversorgung ist daher Aufgabe von Comadronas, Gesundheitspromotoren, traditionellen Heilern und Maya-Therapeuten.

Das Bevölkerungswachstum liegt mit fünf Prozent deutlich über dem nationalen Durchschnitt, die Geburtenrate ist fast doppelt so hoch wie bei der nichtindigenen Bevölkerung – und auch die Müttersterblichkeit ist 50 Prozent höher als im nationalen Durchschnitt.

Viele Frauen werden früh Mutter – ihre reproduktive Phase beginnt häufig mit 15 Jahren und endet erst mit den Wechseljahren. In dieser Zeit bringen sie oft viele Kinder nacheinander zur Welt. Methoden zur Verhütung und Familienplanung sind oft unbekannt oder werden nicht genutzt.

Dies gefährdet nicht nur die Gesundheit der Frauen, sondern mindert zugleich ihre Chancen auf Ausbildung, Entwicklung und Lebensqualität. Selbst im lateinamerikanischen Vergleich bilden die Maya-Frauen das Schlusslicht in puncto Bildung: Die Analphabetenrate beträgt 72 Prozent – nur 15 Prozent der Maya-Mädchen gehen zur Grundschule. Auch die Neugeborenen- und Kindersterblichkeit liegt über dem nationalen Durchschnitt; viele Kinder sterben an Krankheiten, die durch minimale Gesundheitsvorsorge verhindert werden könnten.

Aus der wirtschaftlichen Not heraus emigrieren viele Männer zum Arbeiten in die USA oder nach Mexiko und lassen ihre Familien allein zurück. Sexualerziehung an den Schulen kommt zu kurz, für gynäkologische und Schwangerschafts-Vorsorgeuntersuchungen gibt es keine Einrichtungen. Auch Gewalt gehört in vielen Familien zum Alltag.

Nützliche Fortbildung

Das ist das Umfeld der Arbeit von PIES de Occidente. In einem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Kooperationsprojekt mit der deutschen Hilfsorganisation action medeor zur Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in sechs Gemeindebezirken wurden 175 Comadronas und 50 Gesundheitspromotoren fortgebildet. Ein Schwerpunkt lag vor allem in der Erkennung von Gefahrenzeichen während der Schwangerschaft und der Geburt – und eine Anleitung, welche Schritte dann notwendig werden.

Die Comadronas erstellten mit ihren Frauen so genannte „Notfallpläne“. Diese sollen im Falle von Komplikationen bei der Geburt für einen reibungslosen und schnellen Transport der Schwangeren in die Klinik sorgen.

Frauengruppen und Schulkinder wurden über sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie Verhütung und Gewalt in der Familie aufgeklärt. Radio-Spots, Broschüren, Poster, Theaterstücke und Informationskampagnen auf Märkten, Festen und an öffentlichen Waschstellen sollen die Bevölkerung sensibilisieren.

Zwei von der Partnerorganisation betriebene Gesundheitszentren weiteten Dienst- und Beratungsleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, etwa der Krebsvorsorge und Familienplanung, aus. Die Comadronas nutzen die Möglichkeit, die Einrichtungen mit ihren Patientinnen aufzusuchen und sie dort gemeinsam mit dem Gesundheitspersonal zu untersuchen, um ihre praktischen Fähigkeiten zu vertiefen.

Der Dialog mit dem staatlichen Gesundheitssystem wurde intensiviert, um ein verbessertes Referenzsystem für die Patientinnen zu ermöglichen und eine schnellere Behandlung in Notfällen zu sichern.

Die Erfolge sind spürbar. Die Comadronas fühlen sich besser vorbereitet und können im Kontakt mit dem Gesundheitspersonal in öffentlichen Einrichtungen selbstbewusster auftreten – und damit auch eine bessere Behandlung ihrer Patientinnen erreichen. Die Hemmschwelle, auch im Falle von Komplikationen den Rat eines Arztes zu suchen, ist gesunken. Besonders hilfreich ist ein illustriertes Handbuch. Die Bilder ermöglichen es auch den vielen Analphabetinnen, sich das Erlernte in Erinnerung zu rufen.

Nötiger Mentalitätswandel

Ähnlich zeigen die Informationskampagnen und die Beratungen der Comadronas Erfolg: „Früher waren die Leute oft verärgert, wenn wir sie hinsichtlich der Familienplanung beraten haben“, berichtet Doña Ángela. „Die Männer sind einfach weggegangen. Jetzt hören uns die Leute zu und verstehen, worum es geht – auch die Männer!“ Dies ist der Anfang eines notwendigen Mentalitätswandels.

Inzwischen kennen sich Jugendliche besser aus mit ihrem eigenen Körper und mit Verhütung. Auch die Eltern gehen offener mit diesen stark tabuisierten Themen um.

An den von PIES de Occidente betriebenen Gesundheitszentren hat die Nachfrage nach gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen zur Gebärmutter- und Brustkrebsprävention, Beratung zur Familienplanung und Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten deutlich zugenommen.

Doch trotz der Erfolge mahnt Doña Angela, dass es noch viel zu tun gibt: „Unsere Arbeit muss endlich ausreichend anerkannt werden. Wir brauchen weitere Fortbildungen und eine adäquate Ausstattung wie Handschuhe, Schere, eine Schüssel und saubere Handtücher. Die Arbeit der Comadronas geht nie zu Ende und ich glaube, wir werden nie aufhören zu lernen.“

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