Landwirtschaft

Rechtsrahmen für Investitionen

Der Internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV – International Union for the Protection of New Varieties of Plants) ist eine zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf. UPOV-Mitglieder stellen die Vermehrung und wirtschaftliche Nutzung geschützter Pflanzensorten unter einen Genehmigungsvorbehalt des Züchters. Zivilgesellschaftliche Kritiker monieren, das schränke die Entscheidungsfreiheit der Bauern ein. Der stellvertretende Generalsekretär der UPOV, Rolf Jördens, betont dagegen die Bedeutung des Sortenschutzes für die Welternährung und die ländliche Entwicklung.


[ Interview mit Rolf Jördens ]

Warum raten Sie Entwicklungsländern, UPOV beizutreten?
Die Entwicklungsländer benötigen dringend neue und bessere Pflanzensorten, um ihre Landwirtschaft produktiver zu machen, ihre schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren, und ihren Bauern aus der Armut herauszuhelfen. Für die Förderung der ländlichen Entwicklung sind neue Pflanzensorten außerordentlich wichtig. Die Bauern in Entwicklungsländern nutzen oft alte Sorten, die niedrige und instabile Erträge von geringer Qualität bringen. Neue Sorten sind ein entscheidender Erfolgsfaktor. Wir wissen, dass mehr als 50 Prozent des Ertragszuwachses auf der Leistung neuer Sorten beruhen. Das ist ein Schlüssel zu wirtschaftlicher Entwicklung und zur Leistungssteigerung des Agrarsektors. Sortenschutz nach dem UPOV-Übereinkommen und Mitgliedschaft in der UPOV sind wichtige Voraussetzungen für die Züchtung und Einführung besserer Sorten.

Das Modell läuft darauf hinaus, dass Hochertragssorten die Erträge einzelner Bauern steigern, damit ländliche Entwicklung und Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur in Schwung kommen und neue Arbeitsplätze und Einkommen entstehen. Das geht aber nicht nur über das Saatgut allein, dazu ist mehr nötig, beispielsweise ländlicher Wegebau.
Es geht nicht um Hochertragssorten. Ich denke an Sorten, die insgesamt eine höhere Produktivität haben. Das kann auch bedeuten, dass sie den gleichen Ertrag mit weniger Aufwand erzielen. Manche Sorten sind besser an Trockenheit angepasst, andere haben eine natürliche Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten. Es geht um bessere Qualität. Die Züchtungsziele gehen weit über bloße Ertragssteigerung hinaus. Andererseits bringen neue Sorten bei der Modernisierung der Landwirtschaft mehr als die Hälfte des Ertragszuwachses. Geeignete Sorten bedeuten also einen großen Schritt vorwärts. Oft kommen dann natürlich noch andere landwirtschaftliche Techniken dazu, aber ohne gute Sorten nützt Ihnen die beste Produktionstechnik nichts.

Nutzt besseres Saatgut denn etwas, wenn es an integrierter ländlicher Entwicklung mit Vertriebs- und Verarbeitungsmöglichkeiten, Zugang zu Dünger und Kredit fehlt?
Gestatten Sie mir einen Hinweis vorweg: UPOV unterscheidet zwischen den Begriffen „Sorte“ und „Saatgut“. Am Anfang steht das genetische Potential einer pflanzlichen Gruppierung, also der Sorte. Mit besserem Saatgut schwacher Sorten kommen Sie nicht weit. Sie müssen auf jeden Fall diese besseren Sorten zunächst einmal in einem Land verfügbar haben. Das ist das erste Problem. Wenn es in Entwick­lungsländern keine nachhaltigen Züchtungsprogramme gibt, weil der Privatsektor nicht investiert, dann sind die notwendigen Voraussetzungen für Fortschritt nicht gegeben. Nachhaltige Züchtung ist unverzichtbar, im Privatsektor wie in öffentlichen Einrichtungen. Aber schauen Sie sich öffentliche Züchtungseinrichtungen in Entwicklungsländern an: Sie haben wenig Geld, sie sind schlecht ausgestattet, sie sind – wie in den vergangenen Jahrzehnten deutlich wurde – kaum in der Lage, Bauern mit besseren Sorten zu versorgen. Privatwirtschaftliches Engagement muss schon hinzukommen – und das geschieht vom Züchter über die ganze Wertschöpfungskette der Saatgutwirtschaft hinweg nur, wenn es wirtschaftliche Anreize für Investitionen gibt. Deshalb ist Sortenschutz notwendig.

Im Grunde arbeiten doch die großen internationalen Agrarforschungszentren für die Entwick­lungsländer.
Das ist ein weit verbreiteter Eindruck – aber es reicht eben nicht, dass es die internationale Agrarforschung gibt. Auch in diesen Forschungszentren wird darüber nachgedacht, wie die Ergebnisse besser an den Mann gebracht werden können. Allzu oft kommen Innovationen gar nicht in den Dörfern an. Die Forschungsergebnisse liegen im Schrank, die neue Sorte wird nicht genutzt. Deshalb denken die internationalen Institute zunehmend darüber nach, wie der Schutz des geistigen Eigentums – darunter der Sortenschutz – dazu verwendet werden kann, Anreize für die Einführung von Forschungsergebnissen in die landwirtschaftliche Praxis zu geben.

Züchter stützen sich auf Genbanken, welche wiederum auf traditionellen Landsorten beruhen. Ein Einwand gegen den Einsatz von Hochertragssorten ist, dass sie die genetisch vielfältigeren Landsorten verdrängen.
Leider ist die Leistung der traditionellen Sorten sehr gering. Und weil ihre Erträge sehr niedrig sind, bleiben die Bauern arm. Familien von Subsistenzlandwirten können sich kaum ausreichend ernähren, sie leben in aller Regel im Elend. Allerdings sind pflanzengenetische Ressourcen in Form von Landsorten tatsächlich sehr wichtig. Wenn Sie diese im landwirtschaftlichen Anbau erhalten wollen, müssen Sie den Bauern einen Ausgleich zahlen. Landwirte, die traditionelle Sorten statt moderner Sorten verwenden, verzichten auf Einkommen – wenn sie denn überhaupt die Wahl haben. Bauern, die frei entscheiden können, welche Sorten sie anbauen, wählen immer die ertragreichere Alternative. Deshalb gibt es die Tendenz dahin, dass die traditionellen Sorten nicht mehr kultiviert werden. Dies hat im Übrigen mit Sortenschutz nur insofern zu tun, als er den Bauern Wahlmöglichkeiten zwischen Sorten eröffnen kann.

Aber die Landsorten sind langfristig doch für die Welternährung wichtig.
Richtig, beides ist wichtig: der Erhalt der pflanzengenetischen Vielfalt und Einkommens- und Ertragssteigerungen für die Bauern. Die Erhaltung traditioneller Sorten ist sicherlich eine öffentliche Aufgabe, die Förderung verdient. Aber es ist eben auch wichtig, den Landwirten bessere Sorten zu verschaffen, weil der ländliche Raum sonst aus Armut und Not nicht herausfindet. Mit den Landsorten lässt sich der Hunger in der Welt nicht beseitigen. Ihre Erträge reichen heute schon nicht aus, und die Weltbevölkerung wächst – und zwar besonders stark in den Entwicklungsländern.

Wenn nur noch neue Sorten angebaut werden, sterben die Landsorten doch aus.
Niemand bestreitet, dass das wertvolle genetische Ressourcen sind, die erhalten werden müssen. Dafür sind geeignete Instrumente nötig – aber es hilft nicht, den Bauern neue Sorten vorzuenthalten und zu sagen, Entwick­lungsländer brauchen keine Züchtung von leistungsfähigen Sorten. Die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung und Armutsbekämpfung vor dem Hintergrund des Klimawandels dulden keinen Aufschub!

Geht es Ihnen auch darum, gentechnisch veränderte Organismen in Umlauf zu bringen?
Für UPOV ist das keine entscheidende Frage. Für den Sortenschutz kommt es nicht darauf an, wie eine neue Sorte geschaffen wurde. Das kann durch klassische Züchtung oder durch Gentechnik geschehen. Entscheidend für die Schutzfähigkeit einer Sorte sind allein die Kriterien, die das UPOV-Übereinkommen nennt: Neuheit, Unterscheidbarkeit von allen anderen Sorten weltweit, ausreichende Homogenität und Stabilität über Sortengenerationen hinweg, um ihre Identität zu bestimmen. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, wird Sortenschutz erteilt – unabhängig von der Züchtungsmethode.

Sortenschutz ist aber nicht gleichbedeutend mit wirtschaftlicher Vermarktung.
Nein, die Zulassung zur Vermarktung ist etwas ganz anderes, das hat mit Sortenschutz nichts zu tun. Das wird auf einzelstaatlicher oder regionaler Ebene ganz unterschiedlich geregelt. Bei UPOV geht es nur ­dar­um, Anreize und Anregungen für die Züchtung zu geben, um neue, leistungsfähigere Sorten für die Bauern zu schaffen.

Warum reiben sich zivilgesellschaftliche Organisationen oft an UPOV?
Wir hören davon wenig. Unsere Gespräche mit den NROs sind eigentlich nicht besonders kompliziert, wir haben auf ihre Fragen überzeugende Antworten. Vor allem sehen wir, dass mehr und mehr Entwick­lungsländer das UPOV-System einführen wollen, nachdem sie eine Zeitlang vielleicht Mühe hatten, sich zu orientieren und ihren Kurs zu finden. In Afrika zum Beispiel sehen wir jetzt eine massive Bewegung in Richtung Sortenschutz, weil Regierungen dort erkannt haben, dass es auf den alten Wegen nicht vorwärtsgeht. Ihre Landwirtschaft fällt zurück, während Nachbarländer, die das UPOV-System eingeführt haben, Fortschritte verzeichnen. Dort entstehen Arbeitsplätze, die ländliche Entwicklung gewinnt an Schwung.

Welche afrikanischen Länder haben UPOV denn mit großem Erfolg eingeführt?
Kenia zum Beispiel oder auch Südafrika. In Kenia sind die Auswirkungen außerordentlich positiv. Die Schnittblumenindustrie, die dort für zwei Millionen Menschen Arbeitsplätze geschaffen hat, gäbe es ohne die UPOV-Mitgliedschaft gar nicht. Zwei Millionen kenianische Familien leben größtenteils von dieser Branche.

Aber Schnittblumen sind kein Grundnahrungsmittel.
Nein, natürlich nicht. Aber die Menschen verdienen Geld, sie können davon leben, und die ländliche Entwicklung kommt voran. Das ist wichtig. Offensichtlich wollen die Beschäftigten auf ihre Einkommen nicht verzichten, um stattdessen ihr Dasein als Subsistenzlandwirte zu fristen. Diese Wahl hätten sie ja. Außerdem sind es oft Frauen, die traditionell benachteiligt werden, die in der Schnittblumenwirtschaft neue Chancen bekommen. Selbstverständlich bietet Kenia Sortenschutz auch für Getreide und andere Nahrungspflanzenarten, aber es wäre vermessen, wenn UPOV anfangen würde, sich dahingehend einzumischen, welche Form von Agrarwirtschaft ein bestimmtes Land betreiben soll. Wir können nicht antizipieren, wo Züchtung läuft und welche Sektoren sich entwickeln. Wir liefern zunächst nur einen rechtlichen Rahmen, der dazu geeignet ist, Kreativität zu belohnen und Investitionen in Pflanzenzüchtung anzuregen.

Haben Sie auch ein afrikanisches Beispiel, wo die Getreideproduktion dank UPOV gestiegen ist?
Ja, Südafrika. Südafrika hat Getreideerträge, die sich mit denen der Industrieländer messen lassen. Südafrika ist übrigens schon sehr lange bei UPOV dabei.

Ihre Kritiker sagen, UPOV sei unfair, weil für einige der alten Mitglieder immer noch die Regeln von 1978 gelten, wohingegen neue Mitglieder die strengeren Standards von 1991 einhalten müssen.
Derzeit sind 44 der 68 UPOV-Mitglieder durch die Akte von 1991 gebunden, während die übrigen diese Akte noch nicht ratifiziert haben. Ich bestreite aber, dass die 91er Akte strenger ist. Sie hat aufgenommen, was an Fortschritten in den Züchtungsmethoden zu verzeichnen war. Die UPOV hat auf Grund jahrzehntelanger Erfahrungen das Übereinkommen aktualisiert. Die Akte von 1991 ist wegen einiger spezifischer Elemente für Entwicklungsländer sogar viel attraktiver als die alte. Sie enthält zum Beispiel das Konzept der im Wesentlichen abgeleiteten Sorte.

Was heißt das?
Lassen Sie mich das am Beispiel Baumwollanbau in Mali erläutern: Dort gibt es Sorten, die öffentliche Einrichtungen gezüchtet haben und die sich in der Praxis recht gut bewähren. Die Entwicklung geht aber weiter: Es kann sein, dass es jemandem gelingt, in solch eine Sorte mit Hilfe der Gentechnik eine Schädlingsresis­tenz einzubauen, ohne die Sorte im Übrigen zu verändern. Das Konzept der im Wesentlichen abgeleiteten Sorte besagt nun, dass Vermehrung und Vermarktung der neuen Sorte nur mit Genehmigung des Züchters der Ursprungssorte erlaubt sind. Der Züchter der Ursprungssorte kann seine Genehmigung von einer Beteiligung an den wirtschaftlichen Erträgen der neuen Sorte abhängig machen. Das ist ein großer Vorteil der 91er Akte.

Trotzdem gelten aber nicht für alle UPOV-Länder dieselben Regeln.
Das ist nicht so dramatisch, wie manche Leute glauben. Fast alle UPOV-Mitglieder, die durch die 78er Akte gebunden sind, sind dabei, ihre Regelungen zu überarbeiten – mit dem Ziel, der 91er Akte beizutreten. Viele lateinamerikanische Länder haben bereits Regelungen, die den Prinzipien von 1991 entsprechen, obwohl diese Länder durch die 78er Akte gebunden sind. Das gilt entsprechend auch für Südafrika. Es bedeutet wirklich kein Opfer, der 91er Akte beizutreten, es ist auch keine wie auch immer geartete Strafe. Im Gegenteil, die aktuelle Fassung ist zeitgemäß. Sie ist präzise und arbeitet mit klaren Definitionen.

Aber wenn das Thema die Gemüter beunruhigt, könnten Sie doch auch armen Ländern erlauben, zunächst zu den alten Bedingungen beizutreten.
Es handelt sich hier um einen absolut normalen Vorgang: Internationale Übereinkommen werden von Zeit zu Zeit in diplomatischen Konferenzen überarbeitet. Nach einer Übergangsfrist wird die alte Akte für Beitritte geschlossen. Bei der UPOV gibt es eine wichtige Besonderheit: Neue Mitglieder können nur beitreten, nachdem der UPOV-Rat ihre Gesetze mit positivem Ergebnis auf Vereinbarkeit mit dem UPOV-Übereinkommen geprüft hat. Hier liegt eine der Stärken des Verbandes: Attraktivität und Effizienz der UPOV beruhen auf dem gemeinsamen Verständnis aller Mitglieder – Entwicklungsländer wie Industrieländer – der Ziele, Grundsätze und Verfahren des Sortenschutzes.

Ist Indien inzwischen UPOV-Mitglied?
Indien möchte der UPOV beitreten, das ist aber noch nicht geschehen. Die Gespräche laufen. Wir wissen, dass in Indien ein großer Bedarf herrscht, die Landwirtschaft mit leistungsfähigeren Sorten auszurüsten. Das weiß die indische Regierung selbst am besten. Ländliche Armut und Mangelernährung sind in Indien nach wie vor ein großes Problem, und zugleich müssen schnell wachsende Städte mit Lebensmitteln versorgt werden.

Das indische Gesetz schützt unter anderem die „Farmers’ Rights“. Dabei geht es darum, dass Bauern mit ihren Ernten machen dürfen was sie wollen, also auch Samen als Saatgut weiterverkaufen. Das passt nicht zum UPOV-Modell.
Ich weiß nicht genau, was mit „Farmers’ Rights“ gemeint ist, das liegt außerhalb unserer Zuständigkeit. Der Begriff kommt zum Beispiel im Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft der FAO vor. Soweit ich das verstehe, bezieht sich der Terminus dort auf die Landsorten – also einen Bereich, den das UPOV-Übereinkommen überhaupt nicht berührt. Wir befassen uns nur mit geschützten Sorten, und deren Nachbau muss selbstverständlich beschränkt werden, weil es sonst keine ökonomischen Anreize für die Züchtung gibt. Insoweit kann es keinen Konflikt geben.

Noch einmal zurück nach Indien: Linsen und andere Hülsenfrüchte spielen dort eine große Rolle, denn viele Inder sind Vegetarier, und Linsen liefern Proteine. Derzeit steigen die Preise für diese Produkte, weil sie zunehmend knapp werden.
Das ist kein Wunder, denn in Indien gibt es praktisch keine nennenswerte privatwirtschaftliche Züchtung offen abblühender Sorten. Es gibt zwar eine Züchtungsindustrie in Indien, aber sie konzentriert sich fast ausschließlich auf Hybridsorten, bei denen Nachbau aus biologisch-technischen Gründen nicht oder nur sehr beschränkt möglich ist. Andere Bereiche der Züchtung werden zumindest von privaten Firmen nicht bearbeitet. Das ist genau was ich meine: Wenn es keinen wirtschaftlichen Anreiz zur Züchtung neuer, leistungsfähiger Sorten gibt, stagnieren ländliche Entwicklung und Nahrungsmittelproduktion. Ohne die Bedeutung der Landsorten als pflanzengenetische Ressourcen zu bestreiten, betont die UPOV deshalb, dass wir neue Sorten brauchen, um die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu meistern.

Die Fragen stellte Hans Dembowski.

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