Rechtswesen

Folgen vorab prüfen

Es gibt Verfahren, um sicherzustellen, dass neue Gesetze kompetent formuliert werden. Wichtig ist, dass sich die Verantwortlichen frühzeitig klar machen, was eine neue Regulierung leisten soll und in welchem Rechtskontext sie stehen wird, anstatt aus einem Impuls heraus neue Regeln zu erlassen. Ein konsequentes Regulation Impact Assessment verbessert den Gesetzgebungsprozess und sein Ergebnis. Was dies im Einzelnen bedeutet, zeigt ein Beispiel aus Kambodscha.
Police officer regulating traffic in Phnom Penh: the government is preparing new rules to define how state and citizens interact Police officer regulating traffic in Phnom Penh: the government is preparing new rules to define how state and citizens interact

Undurchdachte Gesetze schaden der Volkswirtschaft, der sozialen Entwicklung, der Umwelt und der Glaubwürdigkeit eines Staates. Oft stehen sie auch im Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung. Regulation Impact Assessment (RIA – Regulierungsfolgenabschätzung) ist in Instrument, das hilft sinnvolle Gesetzgebung sicherzustellen. Fast alle OECD-Mitgliedsstaaten nutzen es in verschiedenen Varianten. Auch viele Entwicklungs- und Schwellenländer haben solche Initiativen ergriffen. Grundidee dieser Initiativen ist, dass Gesetze nur dann erlassen werden sollen, wenn sie erforderlich sind und unter dem Strich mehr Vor- als Nachteile bringen.

RIA bedeutet, dass Fachleute und Betroffene alternative Regelungsmöglichkeiten frühzeitig prüfen, um so die Qualität staatlicher Regelungen weiter zu verbessern und sie zugleich auf das erforderliche Maß zu beschränken. Das dient einerseits der demokratischen Beteiligung von Bürgern und ihren Interessengruppen; andererseits erhält der Gesetzgeber eine bessere Entscheidungsgrundlage.

Eine RIA dient nicht nur der Verbesserung neuer Gesetzesvorhaben. Die Methode kann auch zur Überarbeitung bestehender Gesetze und der Korrektur überholter Rechtsnormen beitragen.

Das ist auch entwicklungspolitisch relevant. Es laufen bereits viele Projekte – meist im Bereich Privatsektorentwicklung –, die prüfen, welche bestehende Gesetze Unternehmen auf welche Weise behindern. In Kambodscha führt beispielsweise die multilaterale Asiatische Entwicklungsbank derzeit ein Projekt durch, das die Regierung bei der Institutionalisierung von RIA sowie bei der Überprüfung bestehender Gesetze unterstützen soll. Ähnliche Projekte laufen in Malaysia, auf den Philippinen und in Vietnam. Hierbei geht es, kurz gesagt, um die Beseitigung von unnützer Bürokratie („Red Tape“).

 

Keine Überprüfung neuer Gesetze 

Während es also für bestehende Gesetze einige entwicklungspolitische RIA-Vorhaben gibt, wird die Regulierungsfolgenabschätzung bei der Einführung neuer Gesetze kaum angewendet. Dies kann ich aus meiner Erfahrung in Kambodscha und Indonesien bestätigen. Als Experte des Centrums für internationale Migration und Entwicklung (CIM) unterstütze ich die kambodschanische Regierung bei der Umsetzung ihrer Rechts- und Justizreform. Ein neues Verwaltungsverfahrensgesetzes soll das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern regeln, indem es unter anderem Entscheidungsprozesse standardisiert und allgemeine Handlungsmaximen einführt.

Neben dem Verwaltungsverfahrensgesetz enthält die Rechts- und Justizreform 22 weitere Gesetzesvorhaben. Davon unterstützten oder unterstützen Geberinstitutionen insgesamt acht Gesetze. Kein Geber hat jedoch im Vorfeld eine RIA durchgeführt, um zu klären, ob das von ihnen geförderte Gesetz Sinn macht.

Hierbei möchte ich nicht unterstellen, dass die Gesetze oder ihre Unterstützung unsinnig sind. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Gesetzesvorhaben naturgemäß positive und negative Konsequenzen für die Betroffenen haben und deshalb vorab auf ihre Folgen hin untersucht werden sollten, und dass dabei auf den Kontext des Landes abgestimmte Alternativen berücksichtigt werden sollten.

RIA ist ein recht allgemeines Konzept. Es muss immer auf den Landeskontext und die konkrete Gesetzesinitiative angepasst werden. Mit der Unterstützung von CIM ist eine Rechtsexpertengruppe bei der Entwicklung des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Kambodscha in den folgenden Schritten  vorgegangen:

  • Untersuchung der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingen für die Entwicklung von Gesetzesvorhaben,
  • Formulierung des politischen Willens als Grundlage für das Gesetz,
  • Untersuchung des Regelungsgegenstands und Vergleich mit  international gebräuchlichen Alternativen,
  • Formulierung von Regelungsalternativen (einschließlich der Option, die Situation so zu belassen wie sie ist),
  • Prüfung und Bewertung der Handlungsalternativen mittels einer einfachen Kosten-Nutzen-Analyse,
  • Diskussion und Definition von Prüfungsschritten mit Interessengruppen und entsprechender Dokumentation, präzise Formulierung des politischen Ziels,
  • Entwicklung einer Lobbying- und Kommunikationsstrategie gegenüber politischen Entscheidungsträgern,
  • Anpassung der Policy und
  • Formulierung eines Regulierungsvorschlags.

Bei dieser Vorgehensweise ist insbesondere hervorzuheben, dass die präzise Artikulation des politischen Willens  von der Formulierung  des entsprechenden Gesetzes zu trennen ist. Das Ziel muss klar sein, um stimmige Regeln zu definieren. Zu beachten ist zudem, dass die RIA bereits ganz am Anfang ansetzt, damit  sowohl die Regierung als auch die Geberinstitutionen kompetent beurteilen können, ob die Regulierungsinitiative überhaupt weiterverfolgt werden soll oder nicht.

In Kambodscha besagt eine Richtlinie, dass zu jeder Gesetzesinitiative eine Begründung vorliegen muss, warum die Regelung erforderlich ist, und dass hierbei Interessengruppen anzuhören sind. Leider hat diese Richtlinie nur theoretische Bedeutung, denn ein Verstoß dagegen wird nicht geahndet. Außerdem sind die staatlichen Institutionen nicht gut genug ausgestattet, um die Richtlinie anzuwenden.

Wenn eine RIA konsequent angewendet wird, kann die  Diskrepanz von „Sollen“ und „Können“ behoben werden.  Denn RIA hilft zu entscheiden, ob ein Gesetz erforderlich ist oder nicht.

Für unsere Arbeit relevant war das Programm der kambodschanischen Rechts- und Justizreform, das die Regierung im Jahre 2003 erlassen hat. Damals wurde festgelegt, dass ein Verwaltungsverfahrensgesetz eingeführt werden soll. Da es zu dieser Entscheidung aber keine detaillierte Begründung gab, war es nun erforderlich, die Formulierung einer politischen Zielsetzung nachzuholen. Dabei musste die intendierte Wirkung weit gefasst werden, um die Analyse nicht auf ein bestimmtes Gesetz hin zu verengen. Es geht bei einer RIA schließlich auch darum, Alternativen zu prüfen.

Da es in Kambodscha kein vereinheitlichtes Verwaltungsrecht gibt, haben wir uns zuerst die Grundzüge des bestehenden Verwaltungsrechts und -verfahrens angesehen und einem internationalen Vergleich unterzogen. Weiterhin mussten wir begründen, warum eine Reform erforderlich ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchung, insbesondere die Problemanalyse, diskutierten wir mit betroffen Interessengruppen. Einbezogen wurden die Verwaltung, Nichtregierungsorganisationen, Geberinstitutionen und Rechtsgelehrten.

Die involvierten Interessengruppen kamen zum Ergebnis, dass die Verwaltung das diskutierte Gesetz nicht anwenden würde, weil dieses der Verwaltung zu viele Pflichten auferlegen sowie unerwünschte Transparenz einfordern würde. Dies sei im derzeitigen, ungeregelten Stadium, in dem die Verwaltung unbegrenzte Rechte habe und Beamte unkontrollierte Einkommensmöglichkeiten hätten, noch nicht durchzusetzen.

Alternativ schlugen die beteiligten Interessengruppen die graduelle Einführung eines Verwaltungsgesetzes vor. Dieses sollte den Beamten zunächst durch Informationsveranstaltungen und informelle Regelungen ein Grundverständnis für verwaltungsrechtliche Grundkonzepte und Prinzipien vermitteln.

Bei einer RIA ist die Entwicklung alternativer Optionen wichtig. Vielleicht ist es möglich, das Ziel auch mit nichtregulativen Mitteln zu erreichen. Gerade in Entwicklungsländern ist es relevant, Alternativen zu prüfen. All zu oft werden Gesetze erlassen,  die dann gar nicht angewendet werden. Dies ist nicht nur kostspielig, sondern untergräbt auch die Glaubwürdigkeit der Regierung und des Staates.

Der Schwerpunkt der Regulierungsfolgenabschätzung ist meist die Kosten-Nutzen-Analyse. Diese ist am schwierigsten und sollte sich auf eine grobe Abwägung von Vor- und Nachteilen beschränken. Insbesondere sollte bedacht werden, inwieweit jeweilige Optionen umgesetzt und beachtet werden. In Kambodscha einigten sich die Beteiligten darauf, als ersten Schritt einen informellen Code zum besseren Verwaltungshandeln zu entwickeln. Das Vorbild dazu liefert die Europäische Union: Seit 2001 ist der „European Code of Good Administrative Behaviour“ das wichtigste Instrument, um allgemeine Verwaltungsrechtsprinzipien in die europäische Praxis umzusetzen. Diese Prinzipien enthalten allgemeine Grundsätze wie zum Beispiel den der Rechtmäßigkeit oder der Verhältnismäßigkeit. Die Beteiligten fassten alle genannten Vorschläge in einem Policy-Entwurf zusammen und kommunizierten ihn gegenüber den politischen Entscheidungsträgern.

Nach der Wahl im Juli 2013 und der darauf folgenden Umstrukturierung des Rates für Rechts- und Justizreform, steht die Entscheidung über die Gesetzesinitiative in Kambodscha noch aus. Die RIA hat aber dafür gesorgt, dass das Thema von allen relevanten Stakeholdern gründlich durchdacht wurde, was sich vermutlich als nützlich erweisen wird.

Grundsätzlich lässt sich festhalten: Die Entwicklungspolitik sollte die Unterstützung von Gesetzesvorhaben von dem Ergebnis einer Regulierungsfolgenabschätzung abhängig machen. Erst wenn auf politischer Ebene eine informierte, positive Entscheidung getroffen wurde, sollten Geber mit der eigentlichen Unterstützung beginnen.

 

Kai Hauerstein ist Rechtsanwalt und unterstützt derzeit als Integrierter Experte des Centrums für internationale Migration und Entwicklung (CIM) den Entwicklungsprozess eines Verwaltungsverfahrensgesetzes in Kambodscha. Er ist Herausgeber eines Buches zur Entwicklung des Kambodschanischen Verwaltungsrechts, das unter http://www.kas.de/kambodscha/en/publications/37386/ heruntergeladen werden kann.
khauerstein@web.de

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