Geberharmonisierung

Unbehagen des Südens

Während die Regierungen reicher Länder ihre weltweiten Entwicklungsanstrengungen im OECD-Kontext bündeln wollen, zeigen sich viele Entwicklungsländer weniger begeistert. Einige Experten sehen in der Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit sogar ein Dokument neuer kolonialer Ambitionen und bezweifeln, dass das High-Level Forum der OECD im September in der ghanaischen Hauptstadt Accra viel Positives erreichen wird.


[ Von Yash Tandon ]

Auf den ersten Blick ist an der Erklärung von Paris nichts auszusetzen. Sie erkennt die Schwächen des gegenwärtigen Systems an und stellt sinnvolle Leitlinien auf. Warum sind die Entwicklungsländer trotzdem nicht zufrieden? Viele haben die Erklärung zwar unterschrieben, aber deren Auswirkungen offenbar nicht gründlich analysiert. Sowohl zivilgesellschaftlichen als auch Regierungsakteuren ist inzwischen bewusst, dass nicht alles Gold ist, was an der Erklärung glänzt. Außerdem könnte der Paris-Deklaration eine andere Absicht zugrunde liegen, als auf den ersten Blick erkennbar ist.

Die Frage der Wirksamkeit von Ent­wick­lungshilfe ist ursprünglich vor allem aus drei Gründen auf die internationale Tagesordnung gesetzt worden:
– Das komplexe System der Entwicklungshilfeverwaltung sollte rationalisiert, Trans­aktionskosten sollten verringert werden.
– Die Bevölkerungen der Geberländer wollen wissen, warum ihre Regierungen „so viel Geld“ an Entwicklungsländer geben – trotz Korruption, Menschenrechtsverletzungen und wenigen Fortschritten bei der Armutsbekämpfung.
– Die gegenwärtige Entwicklungshilfearchitektur wird von den reichen OECD-Ländern dominiert und krankt an einem Demokratie- und Legitimationsdefizit.

Bei der Reform der Entwicklungshilfearchitektur übernahm die OECD dann die Führung. Im März 2005 verabschiedete ein intergouvernementales High-Level Forum, das vom OECD-Direktorat für Entwicklungszusammenarbeit (DCD-DAC) einberufen worden war, die Erklärung von Paris. Diese setzt sich zum Ziel, „weitreichende“ und durch „Monitoring überprüfbare“ Maßnahmen zu ergreifen, um die Modalitäten der Abwicklung von Entwicklungszusammenarbeit und Verwaltung zu reformieren. Nach Angaben der OECD unterstützten bis Ende vergangenen Jahres 115 Länder die Erklärung von Paris.

Die Paris-Deklaration erkennt an, dass die Rechenschaftspflichten für die Partnerländer zum jetzigen Zeitpunkt oftmals „strenger sind als für die Geber“. Außerdem sei Entwicklungshilfe wirksamer, wenn Partnerländer eine stärkere Führungsrolle bei ihren Entwicklungspolitiken und -strategien übernähmen. Laut DAC gibt es drei Gründe, warum die Erklärung von Paris eine große Veränderung bedeuten soll:
– Sie geht weiter als frühere gemeinsame Absichtserklärungen und stellt einen „praktischen, handlungsorientierten Fahrplan zur Verbesserung der Qualität und Wirksamkeit von Entwicklungshilfe“ dar. 56 Verpflichtungen sind um die fünf Kernprinzipien – Eigenverantwortung, Partnerausrichtung, Harmonisierung, Ergebnisorientierung und gegenseitige Rechenschaftspflicht – organisiert.
– Die Paris-Deklaration stellt zwölf Indikatoren zur Überprüfung der Fortschritte auf. Für elf Indikatoren sind Ziele bis zum Jahr 2010 vorgegeben.
– Die Erklärung fördert ein „Partnerschaftsmodell“, das die Transparenz und Rechenschaftspflicht auf verschiedenen Ebenen verbessern soll. Auf internationaler Ebene stellt die Erklärung von Paris einen Mechanismus zur Verfügung, durch den Geber und Empfänger von Entwick­lungshilfe „gegenseitig rechenschaftspflichtig“ gemacht und öffentlich kontrolliert werden. Auf Staatenebene ermutigt sie Geber und Partner, gemeinsame Fortschritte bei der Umsetzung der vereinbarten Verpflichtungen festzustellen.


Anlass zum Zweifeln

Dennoch ist die Paris-Deklaration kein harm­loses Dokument. Die bislang kritischste Bewertung hat Roberto Bissio von „Social Watch“ verfasst – und zwar im Auftrag des UN-Menschenrechtsrats und seiner „High Level Task Force“ für die Umsetzung des Rechts auf Entwicklung. Bissio (2007) erkennt zwar einige geringe Zugewinne in Bezug auf die Wirksamkeit und niedrigeren Transaktionskosten durch die Paris-Deklaration an. Diese würden aber durch die asymmetrischen Verhandlungsbedingungen zwischen Gebern und „Empfängern“ mehr als wettgemacht. Bissios Meinung nach führt die Paris-Deklaration „eine neue supranationale, wirtschaftliche Regierungs­ebene oberhalb von Weltbank und den regionalen Entwicklungsbanken“ ein.

Es ist wichtig, sowohl den Kontext als auch den Text der Paris-Deklaration zu verstehen, um ihre Bedeutung zu würdigen. Und da ist das Fehlen einer adäquaten UN-Beteiligung nur ein ernsthaftes Problem (siehe Kasten unten). Ein anderes sind zum Beispiel zweifelhafte Kriterien für die Messung von Leistung und Regierungsführung.

Die Leistungskriterien der Erklärung von Paris sind von den Gebern in Zusammenarbeit mit der Weltbank definiert worden. So gibt es für Tansania eine zwölfseitige Matrix plus 49 Seiten mit Buchhaltungsregeln, um die Fortschritte zu bewerten. Empfängerländer – die vermeintlichen „Eigner“ – redeten dabei nicht mit. Also gibt es keine wirkliche gegenseitige Rechenschaftspflicht.

Normalerweise gehen bei einem Geschäft beide Seiten Risiken ein. Das zeigt die gegenwärtige Immobilienmarkt-Krise in den USA und Europa: Sowohl Banken als auch Kreditnehmer bezahlen den Preis. In der Entwicklungshilfearchitektur des DAC ist das anders: Hier tragen nur die Empfänger Risiken. Wenn sie Pflichten nicht nachkommen, drohen ihnen Strafen. Für Geber gilt das nicht.

Entsprechend führt die Weltbank „compliance tests“ durch – beispielsweise zur öffentlichen Auftragsvergabe. Auch die „Bewertungsverfahren“, mit denen die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe im Verhältnis zum öffentlichen Finanzmanagement gemessen werden soll, werden von außen auferlegt. Das System beruht auf Methoden von DAC und Weltbank und wird immer dann benutzt, wenn Geber mit der Rechenschaftslegung der Empfänger nach deren eigenen Verfahren nicht zufrieden sind.

Reden wir also Klartext: Hier geht es nicht um bürokratische Feinheiten, es geht um Macht – auch bei Aspekten der Regierungsführung. Sollten Geber mit der Beschaffungspolitik eines Empfängers nicht einverstanden sein, werden sie eine offene, internationale Ausschreibung erzwingen wollen. Genau das aber haben die Entwick­lungsländer schon im WTO-Kontext abgelehnt.

Kaum überraschend bestimmen die Geber in Sachen „Governance“ auch die Harmonisierungsmethoden – ohne Beitrag der betroffenen Länder und ohne Verständnis ihrer Realität. Die Paris-Deklaration betont zwar „Eigenverantwortung“, doch ihre Wucht geht in die andere Richtung. So wollen die Geber eben entscheiden, ob ein bestimmtes Vergabeobjekt international, national oder lokal ausgeschrieben werden soll und ob es für den privaten oder den staatlichen Sektor oder doch vielleicht für beide offen stehen soll. Sollten die Geber untereinander uneins sein, dann bringen sie die Angelegenheit untereinander „in Ordnung“ und zwingen dem „Eigner“ ihre Sicht auf.


Haushaltsunterstützung mit Vorbehalt

Ein weiteres Thema, das für Beunruhigung sorgt, ist der Wechsel der Paris-Deklaration von projektgebundener zu programmbasierter Geldvergabe. Hierbei geht es um drei miteinander verknüpfte Fragestellungen:
– die Bündelung von Geberressourcen,
– die direkte Haushaltsunterstützung eines Empfängerlandes nach Vorgaben, die von den Gebern in einer „Joint Assistance Strategy“ (JAS) für jedes einzelne Land definiert wurden, und
– die Anhebung der Hilfsgelder, abhängig von der kollektiven Bewertung der Geber über gute oder schlechte Politik.

Die Bewertungen hängen dann davon ab, ob die Empfängerländer Politik im Sinne der Geber machen – zum Beispiel in Bezug auf das Gesundheitswesen oder die Millenniums-Entwicklungsziele. Sollte das nicht der Fall sein, könnten die Geber in einer kollektiven Sanktion die Haushaltsunterstützung kürzen oder gar aussetzen.

Die Weltbank prüft die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe (Comprehensive Development Strategies and Aid Effectiveness Reviews – AERs). Jüngste Daten der Bank zeigen, dass nur wenige Armutsbekämpfungsstrategien, die von Entwicklungsländern verabschiedet wurden, einen „Ausarbeitungsgrad aufweisen, der zeigt, wie die Ziele durch politisches Handeln erreicht werden sollen“. Das Wachstum ist offenbar viel niedriger, als die Geber erwartet hatten. Das legt nahe, dass die Geberländer ihre Entwicklungshilfe einstellen, wenn das von ihnen erwartete Ergebnis nicht eintritt.

Dies sind nur einige der beunruhigenden Folgen des Projektes zur „Wirksamkeit von Entwicklungshilfe“. Daher ist die Schlussfolgerung unvermeidbar: Unter der Vorgabe, die Wirk­samkeit von Entwick­lungs­hilfe zu erhöhen, stellt die Erklärung von Paris tatsächlich eine Form des kollektiven Kolonialismus dar. Die Geber aus dem Norden unterwerfen dabei die Länder des Südens, die sich aufgrund ihrer Schwäche und gefühlten Abhängigkeit auf der September-Konferenz in Accra kolonisieren lassen.

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