Journalismus

Über Desaster schreiben

Natur- und Industriekatastrophen sind in der Regel Gegenstand der aktuellen Medienberichterstattung. Redaktionen können aber mehr tun, als nur über das Schicksal der Betroffenen zu berichten. Sie sollten für drohende Gefahren sensibilisieren, vor Risiken warnen und über Technologien berichten, die Katastrophen vorbeugen helfen.

[ Von Christina Kamlage und Dirk Asendorpf ]

Ein Dutzend bunter Fischerboote liegen am Strand, die Netze sind zum Trocknen und Flicken ausgebreitet, im Schatten eines Strohdachs döst eine Kuh. Doch die Idylle täuscht. „Seit drei Tagen können wir nicht rausfahren. Die Dünung ist zu gefährlich und es gibt eine Unwetterwarnung“, erläutert der Dorfvorsteher von Mayurkuppam. „Das haben sie im Radio gesagt und wir haben auch eine Warnmeldung aufs Handy bekommen.“

Für die Fischer im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu bedeutet das ­einen weiteren Tag ohne Einkommen. Trotzdem sind sie froh über das funktionierende Frühwarnsystem. In kleinen Gruppen stehen sie mit Journalisten aus der Hauptstadt Chennai zusammen und erklären, wie moderne Informationstechnik ihren Beruf etwas we­niger gefährlich macht. Die Besucher fotografieren und füllen ihre Blöcke mit Zitaten. Es sind die 21 Teilnehmer eines Workshops zur Rolle der Medien im Katas­trophenrisikomanagement.

Seit über fünf Jahren bezieht InWEnt auch Journalisten in die Programme ein, die in Afrika und Asien zum Aufbau eines funktionierenden Katastrophenschutzes beitragen. Nicht die Berichterstattung über Erdbeben, Tropenstürme, Überschwemmungen oder Industrieunfälle steht dabei im Vordergrund. Vor allem geht es um die Rolle der Medien vor und nach einer Katastrophe. Wie informieren Journa­listen die Bevölkerung über drohende Gefahren und Abwehrmöglichkeiten am besten? Wie können sie die Präventionsmaßnahmen von Behörden und NGOs darstellen und gleichzeitig kritisch hinterfragen? Wie tragen sie dazu bei, dass wichtige Lehren aus vergangenen Katastrophen nicht wieder in Vergessenheit geraten? Um diese Fragen möglichst praxisnah zu klären, sind die tamilischen Journalisten an einem Vormittag ihres zweitägigen Workshops nach Mayurkuppam gekommen.

Vielfache Risiken

Das Dorf Mayurkuppam ist von verschiedenen Katastrophen bedroht. Am zweiten Weihnachtstag 2004 hatte es der Tsunami überflutet, zwölf Menschen ertranken, die strohgedeckten Holzhäuser und viele Boote wurden zerstört. Gute fünf Jahre später haben nun alle Familien wieder ein Dach über dem Kopf. Der indische Staat und Hilfsorganisationen haben Häuser aus Stein und Beton gebaut, die Wege befestigt und besonders gesicherte Schutzräume geschaffen.

Doch das neue Dorf steht genau am alten Platz, keine 100 Meter von der Brandung entfernt. Schon ein Zyklon würde es wieder unter Wasser setzen, von einem Tsunami ganz zu schweigen. „Eine Umsiedlung kam für uns nicht in Frage“, erklärt der Dorfvorsteher, „wir müssen in der Nähe unserer Boote sein.“ Immerhin gibt es inzwischen die Frühwarnungen aus dem Äther.

Katastrophengefahren können auch von Industrieanlagen ausgehen. Das machte jüngst der BP-Unfall im Golf von Mexiko deutlich. Historisch stehen Ortsnamen wie Tschernobyl oder Bhopal für massenhaftes Leid. Die Medien sollten, auch was solche Gefahren angeht, eine prophylaktische Rolle spielen – indem sie auf Risiken hinweisen oder über Notfallpläne berichten.

Derlei ist auch in Tamil Nadu relevant. In diesem Bundesstaat fehlt sogar die durch nationale Gesetze längst vorgeschriebene Katastrophenschutzbehörde – das erfährt der Journalistenworkshop von Naghma Firdaus. Die UN-Expertin ist mit den technischen und administrativen Zusammenhängen des Katastrophenrisikomanagements in Indien bestens vertraut.

Zusammen mit der Reportage aus dem Fischerdorf gibt das eine prima Feature-Story – das meinen gleich mehrere Journalisten in der simulierten Redaktionskonferenz nach der Rückkehr aus dem Dorf. So könnten ihre Zeitungen die Rolle eines Frühwarnsystems erfüllen und als Wachhunde vor Katastrophen warnen, die sich gerade erst anbahnen.

Genau das hatte Sashi Kumar in seiner kurzen Begrüßungsrede gefordert. Der ehemalige Journalist leitet das Asian College of Journalism (ACJ) in Chennai, das den Workshop zusammen mit InWEnts Internationalem Institut für Journalismus und der Abteilung für Umwelt, Energie und Wasser vorbereitet und auch einige Studenten als Teilnehmer mitgebracht hat.

„Klingt gut, findet aber bisher kaum statt“, dämpft der Umweltjournalist
Nitjanand Jayaram zu große Erwartungen. „Unsere Medien sind gut, wenn es um Ereignisse geht, aber sie versagen bei der Berichterstattung über Prozesse, die sich langsam entwickeln.“ Das gelte insbesondere für Probleme im ländlichen Raum. „Journalisten kommen aus höheren Kasten und haben wenig Verständnis für Menschen niederer Kasten.“

Raus aus der Stadt

Gerade deshalb schickt Professor Nagaraj vom ACJ seine Studenten, die oft aus reichen Familien stammen, für zwei Wochen auf Reportage in ein entlegenes Dorf. „Dort können sie hautnah erleben, dass Armut besonders schutzlos macht und arme Bevölkerungsgruppen deshalb von Katastrophen besonders hart getroffen werden“, erläutert Nagaraj. Wie Journalisten diesen Teufelskreis nicht nur beschreiben, sondern mit guter Berichterstattung langfristig sogar mithelfen können, ihn aufzubrechen, soll Thema der Nachwuchsausbildung an Universitäten und privaten Instituten werden. In Zusammenarbeit mit InWEnt entwickelt das ACJ dafür aus den Erfahrungen der Medienworkshops in verschiedenen indischen Regionen ein Trainingsmodul.

Dazu gehört auch das Handbuch, dessen erste Fassung die Teilnehmer in Tamil Nadu diskutieren und ergänzen. Darin finden sich Hintergrundinformationen und praktische Tipps für eine an Fakten orientierte Katastrophenberichterstattung, die Sensationsjournalismus vermeidet. Darüber hinaus stehen in dem Handbuch alle wichtigen Ansprechpartner und Kontaktinformationen, die bei der Berichterstattung vor, während und nach einer Katastrophe gebraucht werden. Eine auf wasserfestem Papier gedruckte Kurzversion können sich Reporter im Fall der Fälle in die Hosen­tasche stecken.

„Damals sind wir völlig planlos in die Katastrophe gestolpert“, erinnert sich Papri Sriman auf dem Medienworkshop. Im Dezember 2004 hatte sie für die Agentur Reuters über den Tsunami berichtet. „Dass etwas Schlimmes passiert sein muss, habe ich erst gemerkt, als in der Warteschlange an einem Fahrkartenschalter plötzlich alle Handys fast gleichzeitig anfingen zu klingeln.“ Ihrem Kollegen Sanjay Ghosh vom staatlichen All India Radio steckt der „Schmerz, den es macht, über die Schmerzen der Betroffenen zu berichten“, bis heute in den Knochen. Eine Beratung für traumatisierte Journalisten gab es damals nicht.

Die jüngeren Workshopteilnehmer hören mit großem Interesse zu. Der intensive Austausch unter Kollegen wird von vielen Teilnehmern in der Auswertung des Work­shops besonders positiv hervorgehoben – übertroffen nur noch von der Chance, die praktischen Probleme des Katastrophen­risikomanagements am konkreten Beispiel des vom Tsunami zerstörten Fischerdorfs Mayurkuppam kennen zu lernen. „Im Alltag kommen wir praktisch nie aus der Stadt heraus“, beklagt der Tageszeitungsredakteur Noorullah vom „Tamil Sudar“ stellvertretend für alle Teilnehmer des Journa­listenworkshops.

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