Editorial

Ehrgeiz ist nötig

Paul Romer ist der neue Chefökonom der Weltbank. Eine seiner Lieblings­ideen ist, wirtschaftsfreundliche Megastädte in Asien, Afrika und Lateinamerika neu zu bauen. Das Konzept ist ebenso faszinierend wie problematisch.
Küste in Lagos. Bjones/picture-alliance/AP Photo Küste in Lagos.

Romers Vorbild ist Shenzhen in China. Die Stadt liegt zwischen Guangdong und Hongkong und war vor wenigen Jahrzehnten noch ein kleines Fischerkaff. Die Regierung erklärte den Ort 1979 zur Sonderwirtschaftszone, und heute leben dort mehr als 10 Millionen Einwohner mit einem Pro-Kopf-Einkommen von mehr als über 22 000 Dollar im Jahr. Mit dem Bau vieler solcher Ballungsräume ließe sich Armut wirkungsvoll bekämpfen, findet Romer (siehe Interview in E+Z/D+C 2010/06, S. 260).

Leider ist es aber nicht leicht, so etwas wie Shenzhen zu schaffen. Chinas autoritäres Regime war nicht nur fest entschlossen, den Versuch zum Erfolg zu führen, sie praktizierte auch ungewöhnliche Selbstdisziplin. In den meisten Diktaturen bereichern sich die Spitzenleute nur. Dem Gemeinwohl und der Rechtssicherheit dienen gewählte Regierungen meist besser. In der Tat ist in den glitzernden Innenstädten Chinas heute kaum zu erkennen, wie viele Menschen der Staat aus Altstädten, die für das 21. Jahrhundert herausgeputzt wurden, verjagte. In einer Demokratie lösen großangelegte Pläne dagegen immer Opposition aus. Ob unter autoritärer Herrschaft oder gewählter Regierung – meist wachsen Megastädte auf inkrementale und weitgehend ungeplante Weise.

Viele Deutsche assoziieren mit Urbanität heute einen Spaziergang Unter den Linden in Berlin, auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles oder vielleicht auch dem Bund in Shanghai. Ein Viertel der weltweiten Stadtbevölkerung lebt heute aber in Slums, und für sie hat Stadtleben eine ganz andere Bedeutung: die ständige Angst vor Räumung, die Aussicht auf tiefen Schlamm in der Regenzeit und das erhöhte Risiko von Infektionskrankheiten, weil Wasser- und Sanitärversorgung keinerlei Mindeststandard entsprechen. Vielen Deutschen ist auch gar nicht klar, wie gefährlich das Leben ohne Straßenbeleuchtung ist.

Städtische Armut ist ein Riesenproblem. Abermillionen kennen keine Rechtssicherheit und haben weder Zugang zu Strom noch zu Krankenhäusern oder Schulen. Stadtplaner halten Slums oft für ein Problem, das sie räumen lassen wollen, wenn sie es denn nicht ignorieren können. Die betroffenen Menschen brauchen aber eine Bleibe, und sie haben keine Alternative. Versuche, sie zu vertreiben, vertiefen soziale Ungerechtigkeit und verletzen Menschenrechte. Je mehr Menschen in Städte ziehen, weil sie auf dem Land kein Auskommen finden, umso wichtiger wird soziale Inklusion.

Heute leben rund 3,5 Milliarden Menschen in Städten, und ihre Zahl wird sich in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln. Folglich müssen wir innerhalb einer Generation auch die bestehende urbane Infrastruktur verdoppeln. Das ist eine gewaltige Aufgabe, und aus simplen Umweltgründen sind innovative Konzepte nötig. Wenn das Klima geschützt werden soll, können energieintensive Baustoffe wie Stahl, Aluminium und Beton nicht mehr im gewohnten Maß verwendet werden.

Im Oktober hat die UN-Konferenz Habitat III in Ecuador eine neue „Urban Agenda“ für die Weltgemeinschaft beschlossen. Sie enthält unter anderem ein "Recht auf Stadt", das zu Inklusion verpflichtet. Nationalstaaten und Kommunen müssen nun Ehrgeiz bei der Implementierung zeigen - damit die unvemeidliche weitere Urbanisierung intelligent erfolgt.


Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit / D+C Development and Cooperation.
euz.editor@fs-medien.de

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