Wirksamkeit der Entwicklungshilfe

Gut gemeint, aber schädlich

Ein bekannter Grundsatz besagt: „Gib einem Mann einen Fisch, und du ernährst ihn für einen Tag. Lehre ihn das Fischen, und du ernährst ihn für sein ganzes Leben.“ Aber was, wenn der Mann nicht überzeugt ist, dass er fischen muss? Oder wenn er nicht an Angelutensilien heran kommt? Man kann einem Menschen alles beibringen – aber das heißt nicht, dass er diese Fähigkeit dann auch nutzen will oder kann. Eine Betrachtung zur Wirksamkeit von Entwicklungsprojekten.


[ Von Jeffrey Matuella ]

Das Projektteam der Universität Virginia (UVA) machte 2010 eine überraschende Entdeckung, als es mit der Stadt Bluefields in Nikaragua und der lokalen Universität zusammenarbeitete: Beim Versuch ein Unternehmen für Keramik-Wasserfilter aufzubauen, um das Problem des verdreckten Trinkwassers zu bekämpfen, musste das UVA-Team feststellen, dass die lokalen Institutionen in Bluefields keine führende Rolle bei dieser Initiative übernehmen wollten – obwohl sie ihr aufrichtiges Interesse mehrmals bestätigten. Das Team erkannte, dass der Grund für ihr Unvermögen, die lokalen Kräfte einzubeziehen, im gegenwärtigen System der internationalen Wirtschafts- und Entwicklungshilfe liegt.

Die Geschichte beginnt in Nicaragua mit einem Projekt des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF). Auf Anfrage des nikaraguanischen Gesundheitsministeriums begann UNICEF kostenlose Keramik-Wasserfilter an Kleingruppen in Bluefields zu verteilen, obwohl sehr effektive Wasserfilter im Westen Nicaraguas produziert werden. Und anstatt ein selbsterhaltendes Filtergeschäft in Bluefields aufzubauen, entschied man sich dafür, die Filter aus den USA zu importieren (UNICEF hat diese und andere Angaben im Artikel in einem Leserbrief im Februar 2011 dementiert, bitte Box unter diesem Artikel beachten).

Die Hälfte der Filter ging während des Transports kaputt (Siu, 2010). Trotzdem kann sich UNICEF damit schmücken, 100 Leuten in Bluefields den Zugang zu sauberem Wasser ermöglicht zu haben. Und zwar ohne jegliche Verantwortung oder Verpflichtung – einfach nur, indem sie die Filter verschenkten. UNICEF gab den Beschenkten jedoch keinen Anreiz, die Filter zu benutzen. Menschen wertschätzen Dinge, je nachdem welche Opfer sie für sie bringen mussten. Den Filtern wurde genau der Wert zugestanden, den die Empfänger an Bemühungen und Geld hineingesteckt hatten: nichts.

UNICEF hat zudem die Verteilung der Filter nicht mit einer intensiven Gesundheitsaufklärung begleitet (Fedrick, 2010). Aber Menschen davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich ein Problem haben, ist der erste Schritt, um das Problem zu lösen. Im Marketing nennt man das Bedarfsschaffung: Solange die Begünstigten das Problem nicht wahrnehmen, fordert niemand nach einer Lösung. Demnach muss Nachfrage durch intensive Informationsbemühungen erzeugt werden.

Das Projekt hat die Leute nicht in der erforderlichen Weise einbezogen. Traurigerweise sind Projekte wie dieses gut gemeint und scheinen die Probleme kurzfristig erfolgreich zu lösen. Nichtsdestotrotz sind sie schädlich.

Dem UVA-Team in Bluefields zufolge sind solche Projekte ein Hindernis für ehrgeizigere Programme. Das geringe Interesse der Gemeinde, bei dem Keramikfilter-Projekt eine führende Rolle für sauberes Trinkwasser zu übernehmen, als „Faulheit“ abzutun, ist einfach. Das Verhalten der Führungskräfte in Bluefields entsprach jedoch ganz rational ihrer bisherigen Erfahrung.

Wann immer es in der Vergangenheit einen Entwicklungsbedarf in Bluefields gab, fanden sich fähige internationale NROs oder Agenturen, die freiwillig halfen und eine Lösung fanden. Welchen Anreiz sollten die lokalen Institutionen mit ihren geringen Ressourcen haben, einen Vorschlag zu akzeptieren, bei dem sie selbst Ressourcen beisteuern müssen – wenn es doch Entwicklungsagenturen gibt, die eine günstige oder kostenlose Lösung anbieten?

Was auf den ersten Blick als Faulheit der Führungskräfte in Bluefields aussieht, ist in Wirklichkeit das, was Soziologen als „Min-Max-Prinzip“ bezeichnen: Sie verschwenden weder Zeit noch Anstrengung für eine Aktion, die sich nicht auszahlt, sondern konzentrieren sich stattdessen darauf, den größten Gewinn mit der kleinsten Anstrengung zu erreichen. Sie suchen nach Projekten, die keinerlei Input von ihrer Seite fordern. Ihre Erfahrungen bestätigen das.

Dieses Verhalten jedoch vereitelt ernsthafte Entwicklungsbemühungen. Bluefields beispielweise wäre ein viel versprechender Markt für „Potters for Peace“ gewesen, eine US-Initiative, die Töpfer darin ausbildet, Keramikfilter herzustellen (siehe Balthas Seibold und Phillip Winter in E+Z/D+C 2010/4, S. 170 f.).

Ärger mit Brennöfen

Bluefields ist kein Einzelfall. Im nikaraguanischen La Paz Centro führte USAID das Projekt „Cuenta Reto de Milenia“ durch, bei dem mehr als 30 Töpferbrennöfen gebaut wurden. Die Projektleiter versäumten die Menschen zu fragen, ob sie die Brennöfen wollen oder brauchen. Sie haben nicht ermittelt, welche Brennmethode die Leute nutzen und welches Brennwissen sie darüber hinaus haben. Sie haben nicht bedacht, dass die Handwerker der Gemeinde traditionell allein oder mit Familienmitgliedern arbeiten.

Das Projekt führte große Brennöfen ein, in der Hoffnung, die Leute würden kooperieren und ihre Ressourcen mit den Nachbarn teilen. Wenn die Leute Einspruch gegen Größe und Design der Öfen erhoben, wurde ihnen freundlich mitgeteilt, dass wenn sie das Angebot nicht akzeptieren würden, es andere Gemeindemitglieder gäbe, die dies täten. Da der Ofen Teil einer ganzen „Geschenktüte“ war, würden alle, die den Ofen nicht akzeptierten, auch die anderen versprochenen Geschenke nicht erhalten.

Die Brennöfen waren für viele eine bedeutende technologische Verbesserung. Aber nachdem sie gebaut waren, kam niemand und erklärte, wie man sie benutzt. Eine Familie musste während des Brennvorgangs einen zweiten Ochsenkarren voll Holz kaufen, da der Ofen viel mehr Holz verbrauchte, als erwartet. Ein Mann hat seinen Ofen nie genutzt, da ein anderer Mann ihm erzählt hatte, dass er 24 Stunden für den Brennvorgang gebraucht habe. Ein weiterer Mann sagte, dass seine ganze Familie zwei Monate brauche, um genug Material für riesigen Ofen zu sammeln. Einer nach dem anderen aus dem Projekt wand sich hilfesuchend an „Potters for Peace“.

Einmal mehr zeigt das Projekt, dass lokale Kräfte ein Angebot annehmen, das maximale Ergebnisse für minimale Anstrengung zu liefern scheint. Zu wenige Agenturen achten auf den sozioökonomischen Kontext, in dem sie arbeiten. Zweifelsohne sollte eine Strategie zusammen mit lokalen Institutionen erarbeitet werden, bevor ein Entwicklungsplan beschlossen wird. Das ist notwendig, um einen Sinn von Eigentümerschaft („Ownership“) unter den Begünstigten zu wecken. Hilfsagenturen und NROs sollten immer
- die Menschen vor Ort nach ihren Herausforderungen und Problemen befragen,
- die Ideen und Pläne dieser Menschen bei der Überwindung der von ihnen identifizierten Schwierigkeiten aktiv einbeziehen,
- so viele ihrer Ideen wie möglich in den Gesamtplan integrieren,
- ihnen Anreize liefern, selbst aktiv zu werden und sich zu engagieren.

Internationale Organisationen sollten nie zu Beginn eines Projekts die volle finanzielle Unterstützung zusagen. Die Menschen vor Ort sind wesentlich motivierter eine Führungsrolle zu übernehmen, wenn die Gelder erst später zugesprochen werden – unter der Bedingung Maßstäbe einzuhalten, um Engagement, Kompetenz, Verantwortung und die Nachhaltigkeit der Initiative zu überprüfen.

Ausländische Regierungen und NROs sollten die Praxis der Gratis-Hilfe – auch als „Charity“ bekannt – erschweren, indem sie spezifische Bedingungen aufstellen, unter denen Hilfe akzeptabel ist. Vor Projektbeginn sollte bewertet werden, inwiefern die Entwicklungsregion selbst einen Beitrag zur eigenen Entwicklung leisten kann – um sicherzugehen, dass angemessene Selbsthilfe-Maßstäbe nach Lebensstandard, Wohlstand und Gesundheit gesetzt werden. Das wird helfen, finanzielle und personelle Ressourcen auf Gebiete zu lenken, in denen sie am produktivsten, hilfreichsten und nachhaltigsten sind.

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