Migration

Unbekannte Menschen

Die politische Diskussion über Einwanderung prägen negative, fremdenfeindliche und vorurteilsbeladene Stimmen. Dennoch wird vielen Regierungen klar, dass Immigranten auf Dauer kommen – und dass sie wichtige Fähigkeiten mitbringen.
Siawah Ebadi aus Afghanistan ist heute Polizeibeamter in Sachsen-Anhalt. Hendrik Schmidt/picture-alliance/dpa Siawah Ebadi aus Afghanistan ist heute Polizeibeamter in Sachsen-Anhalt.

In der Vergangenheit zogen Migranten vor allem von südlichen Ländern in nördliche, aber heute gibt es Wanderungsbewegung in jede Weltrichtung. Das sagt Laura Thompson, die stellvertretende Leiterin der International Organisation for ­Migration (IOM). Sie nennt Marokko als Beispiel. Früher war es ein Transitland für Menschen, die nach Europa wollten, wie Thompson ausführt, aber mittlerweile entscheiden sich immer mehr Leute, dort zu bleiben. Deshalb brauche Marokko nun eine Einwanderungspolitik.

Aus Thompsons Sicht gehen die meis­ten Staaten nicht kompetent mit Migra­tion um. Typischerweise mangele es sogar an wichtigen Informationen. Thompson fordert, Regierungen sollten in Erfahrung bringen, welche Fähigkeiten Migranten mitbringen und wie sie im Alltag zurechtkommen. Ohne solches Wissen lasse sich keine stimmige Politik formulieren. Sie warnt: „Der Informationsmangel ist ein transnationales Phänomen." Es mangele zudem an internationalen Standards, obwohl ein globales Regelwerk für Migration sinnvoll wäre.

Internationale Organisationen haben umfangreiche Daten gesammelt, diese aber nicht auf einheitliche Weise erhoben. Zudem arbeiten sie nicht gut zusammen. Deshalb gibt es laut Thompson nicht nur „Datenlücken", sondern sogar „Datenkonfusion". Sie weiß, dass schon vor einem Jahrhundert über mangelnde Kooperation geklagt wurde, meint aber, dass sich die Dinge nun zum Besseren wendeten. Die IOM beziehe weltweit viele Regierungen in die Debatte ein.

Um bessere Daten zu bekommen, wäre es sinnvoll, sich auf private Meinungsforschungsfirmen zu stützen, weil diese un­ideo­­logisch arbeiteten und sich nicht von Partikularinteressen leiten ließen, sagt Frank Laczko, der die Forschungsabteilung der IOM leitet. Gallup habe beispielsweise Daten über Bevölkerungsgruppen in fast
allen Weltgegenden. Auf dieser Basis, so Laczko, ließen sich leicht einheitliche Statis­tiken zu relevanten Fragen erstellen – etwa darüber, was die Öffentlichkeit von Migra­tion hält, welche Vorteile die Migration einer Gesellschaft bringt oder wie es den Migranten selbst ergeht. Laczko schwebt ein „interna­tionales Migrationsbarometer" vor.

Früher galten Länder entweder als Ein- oder als Abwanderungsländer. Heute geht es dagegen mehr darum, wie Integration besser gelingen kann. Das wurde beispielsweise beim zweiten UN High Level Dialogue on International Migration and Development in New York 2013 deutlich. Thompson wertet es zudem als gutes Zeichen, dass die Zivilgesellschaft in der Diskussion eine größere Rolle spielt. Zudem sei das Verständnis dafür gewachsen, dass Migration entwicklungspolitisch wertvoll ist.

Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagt, die Bundesregierung habe neue Strategien formulieren müssen und eingesehen, dass Deutschland nicht weniger, sondern mehr Zuwanderer braucht. Er gab sich im März bei einer SWP-Veranstaltung in Berlin sicher, dass „wir bald eine Debatte darüber haben werden", wie Flüchtlinge als Arbeitskräfte eingesetzt werden können. Europas alternde Gesellschaften könnten ihre Systeme zur sozialen Sicherung nicht ohne qualifizierte Ausländer aufrechterhalten.

Auch aus Sicht von Markus Richter vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden Asylbewerber, die bislang vor allem als Last für den Sozialstaat gesehen wurden, zunehmend als potenzielle Arbeitnehmer wertgeschätzt. Deutschland ist in Europa ein beliebtes Migrationziel – wobei etwa 58 Prozent der Zuwanderer aus der EU stammen. Richter stellt fest, dass die Zahl junger, hochqualifizierter Migranten zugenommen habe, dass aber leider nur wenig über diese Menschen bekannt sei. Er fordert ein bundesweites Politikkonzept mit Beteiligung aller Interessengruppen.

In vielen Ländern fühlen sich Einheimische von Migration bedroht. Das ist auch in Deutschland so. Die politische Diskussion der etablierten Parteien hat sich aber verändert. Früher wurde darüber gestritten, ob Deutschland ein Einwanderungsland sein soll oder nicht. Heute ist dagegen unter Spitzenpolitikern weitgehend akzeptiert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und die Zuwanderung möglichst gut geregelt werden muss.

Ellen Thalman

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