Anpassung an den Klimawandel

Die Sicht von unten

Ein originelles internationales Forschungsprojekt untersucht die Lebensgrundlagen armer Menschen in Bangladesch. Die Wissenschaftler wollen gesellschaftliche Realität nicht nur verstehen, sondern auch verändern.
Eine Sidr-Überlebende erinnert sich an den Zyklon. Sonja Ayeb-Karlsson Eine Sidr-Überlebende erinnert sich an den Zyklon.

Bangladesch hat ein Zyklon-Frühwarnsystem. Dennoch forderte Sidr, der Wirbelsturm, der 2007 die Küste verwüstete, laut Schätzung des Roten Halbmondes bis zu 10 000 Menschenleben. Sonja Ayeb-Karlsson weiß, warum viele Menschen nicht in die vorgesehenen Schutzbauten geflohen sind. In einigen Dörfern seien die Warnungen nicht rechtzeitig angekommen, sagt sie. Wichtiger sei aber vermutlich, dass viele Menschen gar nicht versucht hätten, in die Bunker zu kommen, weil sie bei ihrem Vieh oder ihren Booten bleiben wollten, von denen ihr Einkommen abhing. In der Hoffnung, ihre Erwerbsgrundlage zu schützen, setzten sie ihr Leben aufs Spiel.

Ayeb-Karlsson gehört zu einem Forscherteam, das untersucht, wie der Klimawandel Wirtschaftsweisen in Bangladesch verändert. Die Wissenschaftler wollen arme Gemeinschaften stärken. Sie haben in sechs Dörfern und einem städtischen Slum mit Feldforschung untersucht, wie sich Erwerbssituationen und -strategien ändern. Ihr Projekt heißt Gibika, was auf Bengali „Lebensgrundlage“ bedeutet. Durchgeführt wird es vom International Centre for Climate Change and Development (ICCCD) an der privaten Independent University in Dhaka in Zusammenarbeit mit der Münchener Rück Stiftung und dem in Bonn beheimateten Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der UN Universität.

Saleemul Huq vom ICCCD betont, es gebe in Bangladesch wirksame Schutzvorkehrungen gegen Zyklone. In der Tat forderten Stürme von der Stärke Sidrs 1991 noch bis zu 130 000 Leben und 1970 sogar mehr als 500 000 Leben. Dass 2007 aber immer noch an die 10 000 starben, zeigt, dass noch mehr zur Vorbeugung getan werden muss. Forschungsergebnissen von Gibika zufolge wäre es sinnvoll, statt großer Schutzbunker mehrere kleine zu bauen, damit die Leute in Notfällen näher bei ihren Dörfern bleiben können. Auch angemessene Bezahlung für alle Arbeiter, die das Frühwarnsystem aufrecht erhalten, wäre nützlich.

Die Wissenschaftler können den Wandel von Erwerbsstrategien belegen. Ein wachsender Anteil der Landbevölkerung sucht in den Jahreszeiten, in denen Landwirtschaft und Fischfang nicht viel bringen, Arbeit in der Stadt. Das verbessert ihre finanzielle Situation. Allerdings gibt es auch Schattenseiten. Die sanitäre Lage in urbanen Elendssiedlungen ist schlechter als in den Dörfern, so dass Infektionen drohen. Außerdem leisten viele Binnenmigranten körperliche Schwerarbeit, bei der Unfälle häufig sind. Wie Ayeb-Karlsson berichtet, können solche Schocks das zusätzliche Einkommen schnell wieder aufzehren. 

Bangladeschs Volkswirtschaft muss sich weiter ausdifferenzieren, damit Einkommenschancen außerhalb von Landwirtschaft und Fischfang entstehen. Klar ist auch, dass neues Gewerbe vor allem in Städten mit geeigneter Infrastruktur entsteht. Bislang konzentriert sich Urbanisierung aber auf die schnell wachsende Hauptstadt Dhaka, in deren Ballungsraum heute rund 18 Millionen Menschen leben. Aus Sicht des ICCCD-Wissenschaftlers Huq muss das Wachstum in kleine und mittlere Städte umgeleitet werden, damit das Land mit dem Klimawandel fertig wird.

Der Regierung und internationalen Geberorganisationen ist klar, worum es geht. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kooperieren denn auch Institutionen wie die GIZ und die KfW Entwicklungsbank mit staatlichen Stellen in Bangladesch, um zum Beispiel die Infrastruktur auszubauen und Kommunalverwaltungen zu stärken.

Solche Vorhaben sind wertvoll, sie dürfen aber die arme Bevölkerung nicht außen vor lassen. Der Einschätzung Huqs zufolge können die Betroffenen ihre Lage meist gut beurteilen und wissen, was ihnen helfen würde. Das Gibika-Projekt soll deshalb Menschen an der Basis in Planung und Entscheidungsfindung einbeziehen, damit örtliche Gemeinschaften einfordern können, was ihnen zusteht. Huq meint, die Kooperation von Wissenschaftlern und Dorfbevölkerung könne dazu führen (siehe auch Interview http://www.dandc.eu/en/article/climate-diplomacy-veteran-bangladesh-explains-why-paris-summit-will-not-solve-all-problems  in E+Z/D+C 2015/06, S. 16 f.).

Hans Dembowski


Links:
http://ehs.unu.edu/research/gibika.html#outline
http://www.munichre-foundation.org/home/­DisasterPrevention/Gibika-Bangladesh.html

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