Medizinische Versorgung

Wunsch nach Veränderung

Das Gesundheitssystem vieler afrikanischer Länder ist im Umbruch. Oft fehlen den Verantwortlichen Kenntnisse im Management – besonders, was das Durchsetzen von Veränderungen angeht. InWEnt schult deshalb Schlüsselpersonen.


[ Von Claudia Isabel Rittel ]

Salome Ngata will in Kenia etwas bewegen. Die 38-jährige Ärztin plant, mittels neuer Lehrpläne Krankenschwestern und Pfleger besser zu schulen. Weil es in ihrer Heimat zu wenig akademisch ausgebildete Mediziner gibt, müssen vielfach andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens einspringen. Bislang sterben beispielsweise viele Frauen während Schwangerschaften oder Geburten, weil sie nicht ausreichend betreut werden. „Ärzte auszubilden dauert aber viel zu lange“, sagt Ngata. So sei der Bedarf nicht zu decken. „Wir müssen also andere Methoden entwickeln, um die Versorgung zu verbessern.“

Eine Möglichkeit sieht die Spezialistin, die in Sachen reproduktive Gesundheit ihre Regierung berät, in der Fortbildung des medizinischen Personals. In Kenia leisten auch Krankenschwestern und Pfleger Geburtshilfe. „Das ist gut so“, urteilt Ngata. „Ein sensibler Punkt ist aber, dass sie oft problematische Geburtsverläufe zu spät erkennen.“ Nur wenn die Verantwortlichen mögliche Komplikationen früh bemerken, können sie schwierige Fälle rechtzeitig an einen Arzt überweisen. Fehler haben oft fatale Folgen. „Deshalb will ich Lehrpläne entwickeln, wie Pflegekräfte, die Schwangere und Gebärende betreuen, geschult werden sollen“, erläutert Doktor Ngata.

Ngata ist eine von 20 Fachkräften, die in Deutschland an einem ganzjährigen Training über Managementaufgaben im Gesundheitswesen teilnehmen. Ein mehrmonatiges Praktikum absolviert sie im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, einem der größten Klinikkomplexe der Bundesrepublik. Wenn sie in Kenia ankommt, wird sie ihr Konzept mit dem Gesundheitsministerium und der Krankenversicherung abstimmen und dann die entsprechenden Curricula entwerfen.

Der Wunsch, in den Heimatländern etwas zu verbessern, verbindet alle Teilnehmer des Trainingsprogramms. Nachhaltige Veränderungen erfordern aber kleine Schritte. Deswegen entwickelt jeder von ihnen ein sogenanntes „Transferprojekt“: Ziel ist, für ein Problem aus dem Arbeitsalltag machbare Lösungen zu konzipieren und diese im ersten halben Jahr nach der Rückkehr im Heimatland umzusetzen. „Diese Projekte sind individuell ganz unterschiedlich“, erläutert Johannes Kleinschmidt von InWEnt. Manche Teilnehmer wollen das Materialmanagement verbessern, andere überlegen, wie die Einnahmeseite der Gesundheitsfinanzierung verändert werden könnte, und wieder andere studieren die Steuerung von Patientenströmen. Ein wichtiges Thema sind auch Wartezeiten. Vielerorts geht es nicht um ein paar Stunden – sondern gleich um mehrere Tage.

Ngatas Vorhaben knüpft an die bisherige Politik Kenias an. Erfahrungen damit, wie die Qualität im Gesundheitswesen gesteigert werden kann, wurden dort schon gesammelt. Im Jahr 2002 formulierte das Gesundheitsministerium einen Leitfaden, in einzelnen Bereichen fand auch schon gezieltes Mitarbeitertraining statt. „Das bleibt aber alles noch sehr allgemein“, bedauert die Gynäkologin. „Mit meinem Transferprojekt werde ich spezielle Lehrpläne für die reproduktive Gesundheit entwickeln.“ Ngata ist ehrgeizig: Ihr Vorhaben soll alle Krankenstationen Kenias erreichen. Wenn sie Erfolg hat, könnte ihre Idee in Zukunft auch in anderen Bereichen umgesetzt werden.


Politische Basisarbeit

Höhere Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens kann aber auch durch stärkeres Empowerment der Bedürftigen erreicht werden. Das ist der Wunsch von Salome Saria. Denn sobald sie wieder zu Hause ist, möchte sie eine Umfrage unter Querschnittsgelähmten machen. Sie hofft, mit den Ergebnissen die Regierung auf die Problematik Behinderter aufmerksam zu machen. In ihrer Heimat arbeitet sie beim Tanzanian Training Centre for Orthopaedic Technologists (TATCOT). Das ist das größte Ausbildungsinstitut für Orthopädietechnik in Afrika. Saria zählt schon die Tage bis zu ihrer Rückkehr nach Tansania. Wenn sie Ende Juli dorthin zurückfliegt, warten ihre Familie, ihr 15-jähriger Sohn Denis und eine Menge Arbeit auf sie.

„In Tansania wird viel zu wenig für behinderte Menschen getan“, sagt Saria. Wer sich nicht von der Stelle bewegen könne, habe aber keine Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Rollstühle, wie sie TATCOT seit 2002 im Rahmen der Technikerausbildung herstellt, geben solchen Menschen ein Stück Mobilität zurück.

Frau Sarias Studie soll auch Anhaltspunkte liefern, um die Qualität der Rollstühle zu verbessern. Bislang gibt es keine serienmäßige Produktion. Bei TATCOT werden jährlich etwa 30 Rollstühle maßgeschneidert. Die Empfänger müssen dafür nicht bezahlen, denn die Geräte werden im Rahmen der Ausbildung von Orthopädietechnikern hergestellt. Einen Rollstuhl könnte sich in Tansania auch kaum jemand leisten. Denn er kostet mit rund 3000 Euro ein ganzes Vermögen. „Die Regierung steuert fast nichts bei.“ Saria will nun systematisch die Erfahrungen der bisherigen Rollstuhlkunden erkunden, um künftig bessere Angebote machen zu können.
Besonders begeistert hat die Tansanierin in Deutschland, dass sogar S-Bahnen oder Busse so eingerichtet sind, dass Rollstuhlfahrer problemlos hinein und heraus können. Auch dass für Behinderte Plätze reserviert sind, gefällt ihr gut: „Wir brauchen auch in Tansania so eine Gesetzgebung.“ Ein großes Problem behinderter Menschen sei, dass sie sich schnell stigmatisiert fühlten. Deshalb müsse jede Gesellschaft alles tun, um sie ihre Andersartigkeit nicht negativ spüren zu lassen. „Davon sind wir in Tansania noch weit entfernt. Manchmal werden behinderte Kinder sogar jahrelang eingesperrt.“ Hoffnung macht Frau Saria, dass ein Mitarbeiter von TATCOT, der selbst seit einem Unfall querschnittsgelähmt ist, kürzlich ins Parlament gewählt wurde.


Unterschiedliche Voraussetzungen

Selbstverständlich lässt sich die Lage in Deutschland nicht ohne weiteres mit der in afrikanischen Ländern vergleichen. Der kenianischen Ärztin Ngata ist klar, dass das Gesundheitswesen in Deutschland viel besser ausgestattet ist. Im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf komme es beispielsweise vor, dass an einem Tag nur zwei Kinder geboren würden – in einer Abteilung mit sechs Ärzten. „Bei uns werden an manchen Tagen 20 bis 30 Kinder in einem Krankenhaus geboren – bei zwei Ärzten und etwa sechs Hebammen.“

Besonders beeindruckt sind die beiden Fortbildungsteilnehmerinnen von der Organisation, der Abrechnung von Krankenleistungen und dem Beschaffungswesen. Dass aber vieles digital gesteuert wird, birgt auch Probleme. „Will man zum Beispiel wissen, wie der Medikamentenbestand kontrolliert wird, erfährt man nur, dass das über ein Computerprogramm läuft. Die Menschen, die damit beauftragt sind, wissen zwar, was sie eingeben müssen, kennen aber oftmals nicht das System dahinter“, sagt die Kenianerin. Aus ihrer Sicht ist das unerfreulich. Sie will ihren Aufenthalt nutzen, um die Hintergründe zu verstehen – und es ist nicht leicht, für jede Frage den kompetenten Ansprechpartner in der Uniklinik zu finden.

Nachgegangen ist sie unter anderem der Frage, wie Krankenhäuser mit den Kassen abrechnen. Erfahren hat sie, dass das seit 2004 vollständig über Fallpauschalen läuft. Das heißt, dass Krankenhäuser nicht jede einzelne Leistung in Rechnung stellen, sondern nur alle anfallenden Kosten eines Behandlungsfalls, also pro Patient, einschließlich Unterkunft, Verpflegung und Vor- und Nachbehandlung. „Wenn man wissen will, aus welchen Kriterien sich die einzelnen Kategorien zusammensetzen, bekommt man auch keine Antwort. Denn die Ärzte müssen nur die Diagnose in ihren Rechner eingeben. Ein Programm errechnet dann die Kategorie, in die die Leistung fällt.“

Mit nach Hause nehmen wird sie aber dennoch viele Ideen. Besonders nützlich fanden die beiden ostafrikanischen Teilnehmerinnen den Theorieteil. In viereinhalb Monaten haben sie Fachkenntnisse in strategischem Management, Prozessmanagement, Buchhaltung, Personalwesen und Qualitätsmanagement erlangt.

Wichtig sind aber auch die Praktika. Die tansanische Orthopädie-Fachfrau Saria hat im beschaulichen Bonner Stadtteil Bad Godesberg bereits in die Krankenhausabteilungen Verwaltung, Dokumentation und Materialbeschaffung hineingeschaut. Davon profitiert durchaus auch die deutsche Belegschaft: „Man bekommt einen ganz neuen Blick auf die Dinge“, sagt eine Kollegin. „Da steckt schon eine ganze Menge Menschenliebe dahinter, wenn jemand so weit reist, um sich weiterzubilden.“

InWENt führt dieses Trainingsprogramm zum zweiten Mal durch. Der dritte Kurs beginnt in diesem Jahr. Saria gibt sich überzeugt, dass sich die Situation in ihrem Land verbessern lässt. „Jeder, der etwas Neues lernt, muss seine Erfahrung weitergeben und selbst etwas umsetzen. Ich persönlich werde mich jetzt zuerst für Querschnittsgelähmte einsetzen.“ Sie weiß aber auch, dass mehr als persönliches Engagement nötig ist. Die Ausgaben für Gesundheit müssen steigen: 2004 wurden in Kenia pro Kopf nur umgerechnet 86 Dollar für Gesundheitsausgaben aufgewendet, in Tansania sogar nur 29 Dollar – und zwar inklusive der privaten Zahlungen.

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