Sudan

Sudans ungewisse Reise in Richtung Demokratie

Nach einem versuchten Militärputsch ist Sudans ziviler Premierminister Abdalla Hamdok wieder im Amt. Zivilgesellschaftlichen Akteuren behagt der Pakt nicht, den er mit den Generälen geschlossen hat.
Demonstration gegen den Militärputsch in Khartoum Mitte November. Demonstration gegen den Militärputsch in Khartoum Mitte November.

Ende Oktober stürzte General Abdel Fattah al-Burhan die Regierung, rief den Notstand aus und ließ Premierminister und andere Kabinettsmitglieder verhaften. Das schien das Ende des Abkommens zu sein, dem zufolge sich Militär und zivile Akteure die Macht teilten, um in einer langen Übergangszeit freie Wahlen zu organisieren.

Burhan wollte offensichtlich zurück in die Vergangenheit. 31 Jahre lang hatte der Militärdiktator Omar al Bashir das Land bis Frühjahr 2019 regiert, bis ein friedlicher Volksaufstand seine Herrschaft beendete. Angesichts der Demonstrationen stürzten ihn seine eigenen Generäle. Nach einiger Taktiererei vereinbarten sie mit zivilen Kräften eine gemeinsame Übergangsregierung.

Im Oktober brachte die Nachricht vom Coup sofort wieder Tausende auf die Straßen. Abermals konnte das Militär Proteste nicht verhindern. Mehr als 40 Menschen starben, aber selbst gewaltsame Repression schüchterte die Opposition nicht ein. Ende November wurde Hamdok freigelassen. Burhan schloss einen neuen Machtteilungspakt mit ihm.

Mehrere Kabinettsmitglieder weigerten sich jedoch, diesen Weg mitzugehen, und einige hätten wohl auch kaum ins Amt zurückkehren dürfen. Wie Kritiker monieren, müssen Minister nun Technokraten, aber nicht Politiker sein. Obendrein führt entgegen dem ursprünglichen Abkommen noch immer ein Soldat die Oberaufsicht. Folglich lehnen viele zivilgesellschaftliche Akteure Hamdoks Politik jetzt ab.

Traumatische Erfahrungen

Ob es weiter Richtung Demokratie geht, ist offen. In der Vergangenheit scheiterten alle Versuche, gewählte Regierungen zu etablieren. Erst nach der Unabhängigkeit vom britischen Königreich 1956 und abermals 1964 und 1986. Jedes Mal ergriffen Generäle die Macht. Nach 1989 gehörten zur Schreckensherrschaft des Bashir-Regimes:

  • ein blutiger Bürgerkrieg gegen die Unabhängigkeitsbewegung im Südsudan,
  • Unterstützung für Osama bin Ladens Al-Kaida-Terrorismus und
  • genozidale Gewalt in der Region Darfur.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) erließ Haftbefehl gegen Bashir, nachdem er 2008 wegen Mord, Vernichtung und Vergewaltigung angeklagt wurde. Außer ihm wurde bislang noch kein amtierender Staats- oder Regierungschef so an den Pranger gestellt.

Trotz brutaler Gewalt wurde der Südsudan 2011 unabhängig und hat nun wichtige Ölvorkommen auf seinem Territorium. Bashir war nie beliebt, aber Rohstoff­einnahmen halfen ihm, trotz westlicher Sanktionen Netzwerke im Militär und darüber hinaus zu knüpfen sowie in gewissem Maß städtische Mittelschichten ruhig zu halten.

Das Ende der Diktatur

2018 lag die Wirtschaft dann am Boden. Treibstoff, Lebensmittel und sogar Banknoten wurden knapp. Die Inflation löste friedliche Proteste aus, wobei Jugendliche, Frauen und akademisch gebildete junge Leute sich besonders stark engagierten.

Die Generäle sahen, dass Bashirs Tage gezählt waren, und sie stürzten ihn ohne Blutvergießen im April 2019. Nach einigem Hin und Her wurde Burhan zum Interimspräsidenten ernannt und versprach, die diktatorische Kultur zu beenden, Straftaten des Regimes zu ahnden und die Macht an Zivilisten zu übergeben.

Bashir kam in das berüchtigte Kobar-Gefängnis. Mehrere seiner wichtigsten Unterstützer wurden verhaftet. Allerdings war die gesamte Militärspitze mit dem Regime irgendwie verbandelt, und manche von ihnen verblieben in Machtpositionen. Der prominenteste von ihnen ist vermutlich der als „Hemeti” bekannte Mohamed Hamdan Dagalo, der die berüchtigte paramilitärische RSF (Rapid Support Force – Schnelle Eingreiftruppe) befehligt. Viele meinen, er ziehe trotz seines vergleichsweise niedrigen Ranges die Strippen.

Die Proteste klangen 2019 nicht ab, und Anfang Juni töteten Sicherheitskräfte mehr als 100 Demonstranten, darunter 19 Kinder. Hemetis RSF fiel durch besonders skrupellose Gewalttätigkeit auf. Auch nach dem Massaker wurde weiter demonstriert. Anfang Juli 2019 schlossen die Generäle dann das Abkommen über Machtteilung mit einem neu gegründeten zivilgesellschaftlichem Bündnis für Freiheit und Wandel.

Eine gemeinsame Verfassungserklärung hielt fest, das Abkommen solle innerhalb von 39 Monaten zu freien und fairen Wahlen führen. Ein Souveräner Rat aus fünf Militärs und sechs Zivilisten wurde gebildet. 21 Monate lang sollte ein Soldat den Vorsitz haben und ihn dann für die nächsten 18 Monate an eine zivile Person abgeben. Gewählt werden sollte im November 2022.

Als Vorsitzender des Souveränen Rates wurde Burhan de facto Staatsoberhaupt. Premier wurde Hamdok, ein Ökonom, der zuvor für multilaterale Institutionen wie die ILO und die Afrikanische Entwicklungsbank gearbeitet hatte. Das Alltagsleben blieb angesichts großer wirtschaftlicher Probleme jedoch schwierig. Bürgerliche Freiheiten wurden jedoch üblich, und die Kleiderregeln für Frauen wurden liberaler.

Bashir wurde vor Gericht gestellt und 2019 wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt. Seine Gegner empörte allerdings, dass Gewalttaten nicht geahndet wurden. Über Anklagen bezüglich des Staatsstreichs von 1989 wurde noch nicht entschieden. An den IStGH wurde er nicht ausgeliefert, was aus Sicht vieler Beobachter daran liegt, dass Spitzenmilitärs fürchten, der frühere Diktator werde dem Gericht Material liefern, das sie belasten würde.

Familien, deren Angehörige im Massaker von Khartoum starben, haben bislang keine Gerechtigkeit erfahren. Einige RSF-Mitglieder wurden zwar zum Tode verurteilt, aber ihr Oberbefehlshaber Hemeti bleibt unbestraft. Er ist vermutlich der mächtigste Kriegsherr im Land.

Ökonomisches Leid

Was Sudanesen heute vermutlich am meisten zu schaffen macht, ist die Wirtschaftskrise. Die Hamdok-Regierung hat harte Reformen ergriffen, Subventionen gestrichen und den Internationalen Währungsfonds zu Schuldenerlass bewegt. Die Inflation bleibt aber hoch, und viele Menschen sind verzweifelt.

Als im Sommer gegen die Wirtschaftspolitik protestiert wurde, witterten die Militärs ihre Chance. Es lässt sich weder beurteilen, welche Rolle Hemeti dabei spielte, noch welche er jetzt spielt.

Der Oktober-Putsch scheiterte. Klar ist aber auch, dass Hamdoks Ansehen erheblich gelitten hat. Solange es ökonomisch nicht wieder bergauf geht, wird die Lage instabil bleiben. Dass Tausende aber ihr Leben riskierten, um gegen den Coup zu protestieren, zeigt indessen, dass die Menschen die Militärherrschaft wirklich leid sind.


Roli Mahajan ist eine indische Journalistin und hat vor einiger Zeit ihren Master in Entwicklungsstudien an der Universität Uppsala gemacht. Afrika spielt in diesem Studienprogramm eine große Rolle.
roli.mahajan@gmail.com

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