Minderheiten

Das Für und Wider der Ol-chiki-Schrift

Jahrzehntelang war das in den 1920er Jahren erfundene Ol-chiki-Alphabet weitgehend bedeutungslos. In den späten siebziger Jahren wurde das anders.
Santali-Wikipedia mit Ol-chiki-Schrift. https://sat.wikipedia.org/wiki/%E1%B1%A5%E1%B1%9F%E1%B1%B1%E1%B1%9B%E1%B1%9F%E1%B1%B2%E1%B1%A4_%E1%B1%AF%E1%B1%9F%E1%B1%B9%E1%B1%A8%E1%B1%A5%E1%B1%A4 Santali-Wikipedia mit Ol-chiki-Schrift.

Der Hintergrund war, dass eine kommunistisch geführte Volksfront im indischen Bundesstaat Westbengalen die Wahlen gewonnen hatte und Unterstützung im ländlichen Raum suchte. Die neue Landesregierung erwartete, dass die offizielle Anerkennung von Ol-chiki als Schrift für die Adivasi-Sprache Santali diesem Ziel dienen würde. Also versprach sie das.

Der Santal-Intellektuelle Raghunath Murmu hatte die Schrift 1925 entwickelt. Er wollte, dass sie der Aussprache möglichst genau entspricht (siehe Hauptartikel).

Die Leitidee war jedenfalls, Santal-Kinder in ihrer eigenen Sprache zu unterrichten. Die Landesregierung entschied, Ol-chiki sei dafür richtig. Santals wählen und stellen etwa die Hälfte der Adivasi-Bevölkerung Westbengalens, was den Politikern klar ist.

Santal-Kinder sollten eine moderne Bildung bekommen, aber zugleich in Geschichte, Tradition und Sprache ihrer Volksgruppe unterwiesen werden. Die Befürworter von Ol-chiki hofften zudem, Santals in anderen Bundesstaaten sowie Indiens Nachbarländern würden die neue Schrift übernehmen.

Die Volksfront setzte ihr Versprechen indessen nicht sofort um. Folglich entstand eine Basisbewegung, die zeitweilig recht offensiv agierte, wenn beispielsweise Bahnstrecken, Straßen oder die Eingänge von Behörden blockiert wurden. Unter solchem Druck akzeptierte Westbengalen 2001 Ol-chiki für amtliche Zwecke inklusive Schulunterricht.

Die Landesregierung hat seither mehrere Ol-chiki-Schulen eingerichtet. Diese Schrift wird auch auf andere Weise gefördert, und zwar auch auf nationaler Ebene. Seit 2004 ist Santali eine von Indiens 22 Amtssprachen. Keine andere Adivasi-Sprache hat bisher diesen Rang. Es gibt mittlerweile sogar eine Wikipedia-Ausgabe auf Santali mit Ol-chiki-Buchstaben.

Den Durchmarsch von Ol-chiki finden aber nicht alle gut. Leider sind Santal-Schulen nicht so erfolgreich, wie erhofft wurde, was nicht zuletzt am Mangel an kompetenten Lehrern und brauchbaren Schulbüchern liegt. Es gibt viele weitere Probleme. Es mangelt staatlichen Schulen in Indien generell an Geld und Ausstattung. Die meisten Santali-Schulbücher sind schlichte Übersetzungen von bengalischen Büchern. Santals kommen darin praktisch nicht vor.

Zudem ist es erfahrungsgemäß sehr schwer, von einer Santal-Schule auf eine weiterführende Schule oder eine Hochschule zu wechseln. Santals sind eine kleine Minderheit und müssen die jeweilige Regionalsprache gut beherrschen. In Indien ist zudem oft Englisch unabdingbar.

Folglich finden es manche Santals nicht gut, wie Ol-chiki staatlich gefördert wird. Mehrere verschiedene Alphabete werden seit vielen Jahrzehnten für Santali benutzt, und das halten viele weiterhin für gerechtfertigt. Allerdings werden Werke von Autoren, die nicht Ol-chiki verwenden, beim wichtigen nationalen Literaturpreis Santali Sahitya Akademi Award gar nicht berücksichtigt.

Völlig düster ist das Szenario aber nicht. Wenn mehr Lehrkräfte ausgebildet werden und mehr Schulbücher in der neuen Schrift erscheinen, dürften auch die Bildungserfolge besser werden. Es ist obendrein möglich, denselben Text in verschiedenen Schriften zu veröffentlichen. Fest steht jedoch, dass eine Schrift, die nicht von allen Mitgliedern der betroffenen Gemeinschaft akzeptiert wird, nicht viel für deren Zusammenhalt bewirken kann. 

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