Editorial

Ahnungslos ausbeuterisch

Streng genommen ist interkontinentaler Ökotourismus unmöglich, denn Fliegen belastet die Atmosphäre. Es ist besser als nichts, wenn manche Leute in Aufforstung investieren, um die CO2-Emissionen ihrer Flugreisen auszugleichen, aber im Kern bleibt das Transportmittel klimaschädlich. Zudem ist klar, dass die Emissionen Europas oder Nordamerikas so immens sind, dass sehr viel mehr kompensiert werden muss als Flugsünden.
Begegnung in Äthiopien. Ton Koene/Lineair Begegnung in Äthiopien.

Dennoch ist klar, dass Ferntourismus eine Zukunft hat. Menschen reisen gerne. Ein Ende des Fremdenverkehres würde viele Entwicklungs- und Schwellenländer auch hart treffen. Die Branche trägt etwa neun Prozent zur weltweiten Wirtschaftsleistung bei und stützt viele Volkswirtschaften.

In Tunesien hängt der Erfolg der jungen Demokratie von ökonomischem Erfolg ab – und dafür ist Tourismus wichtig. Wird damit kein Geld verdient, ist die Zukunft düster. Terroristen haben nun im März Reisende in einem Museum ermordet, um mit einer wichtigen Branche zugleich auch die erste Demokratie in einem arabischen Land zu treffen.

Tunesien ist ein Beispiel dafür, dass manche Länder Touristen brauchen. Der Fremdenverkehr kann auf mehrfache Weise nützlich sein. Naturschutzgebiete etwa sind wichtige Habitate für seltene Arten. Die örtliche Bevölkerung lehnt sie oft ab, weil sie von den natürlichen Ressourcen leben will, zu denen ihnen der Zugang untersagt wird. Tourismus kann hier helfen: Wenn ein Nationalpark Hotelpersonal, Souvenirverkäufern und Fremdenführern Erwerbsarbeit ermög­licht, wird Naturschutz für die arme Landbevölkerung wirtschaftlich attraktiv.

In Entwicklungsdinge soll die örtliche Bevölkerung immer einbezogen werden. Darauf können auch verantwortungsvoll Reisende achten, indem sie Güter und Dienstleistungen möglichst von kleinen, örtlichen Anbietern kaufen, anstatt die Umsätze von Großunternehmen zu beleben. Kleine Akteure auf der Graswurzelebene verdienen Unterstützung, auch wenn sie schwerer zu finden sind als die Branchenriesen.

Europäer, die sich im Urlaub vor allem erholen wollen, sollten auf Fernreisen verzichten und näher am Heimatort bleiben. Dort können sie davon ausgehen, dass Arbeitnehmerrechte und Umweltgesetze einigermaßen eingehalten werden. Wer zu den fernen Ufern benachteiligter Kontinente aufbricht, läuft dagegen Gefahr, arme Menschen auszubeuten, ohne es überhaupt zu merken. Naive Touristen wissen oft nicht, dass Hotelbedienstete so schlecht bezahlt werden, dass sie auf Trinkgeld angewiesen sind. Sie können auch an einem tropischen Strand nicht beurteilen, ob sie vielleicht nur deshalb ungestört in der Sonne braten können, weil örtlichen Fischern der Zugang zum Meer versperrt worden ist.

Es erfordert einen gewissen Einsatz, eine fremde Kultur zu verstehen. Wenn Touristen sich dafür nicht ausreichend Mühe geben, können sie ahnungslos ausbeuterische Strukturen fördern, obwohl sie es eigentlich gut meinen. Was aussieht wie ein spendenwürdiges Waisenhaus, kann in Wirklichkeit eine Inszenierung sein, die Kinder ausnutzt, um an Touristengeld heranzukommen. Es ist gut, wenn Reisende sich für die soziale Realität um sie herum interessieren, aber sie müssen sorgfältig geeignete Ortskundige suchen, um sie sich zeigen zu lassen. Die Wahrheit lässt sich nicht an einem trägen Nachmittag erkennen. Verbraucherverantwortung ist im Tourismus ebenso wichtig wie in vielen
anderen Lebensbereichen.

 

Hans Dembowski ist Chefredakteur von E+Z/D+C.
euz.editor@fs-medien.de

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