Soziale Medien

Schwere Diskriminierung

Ein aktueller Streit über Twitter in Indien zeigt, dass große Internetkonzerne globalen Regulierungen unterliegen müssen. Sonst droht Demokratien die Unterhöhlung durch Lügen, Desinformation und Diskriminierung.
Blauer Haken trotz geringer Followerzahl und keinem Tweet: Jay Shahs Account Anfang November. Screenshot: https://twitter.com/jayshah Blauer Haken trotz geringer Followerzahl und keinem Tweet: Jay Shahs Account Anfang November.

In Indien sind soziale Medien sehr wichtig und werden von hunderten Millionen genutzt. Die meisten herkömmlichen Medien haben sich der hindu-chauvinistischen Regierung unterworfen. Es schockiert deshalb, dass Twitter weniger pluralistisch ist, als das Unternehmen zugibt. Dalits – die Angehörigen der untersten Kasten – werfen Twitter zu Recht Diskriminierung vor.

Das indische Kastensystem ist uralt und mit Ausgrenzung und Gewalt verbunden. In der Vergangenheit hießen Dalits „Unberührbare“ und später „Harijans“. Die indische Verfassung hat nach der Unabhängigkeit 1947 diesen sozialen Status offiziell abgeschafft. Später wurden dann Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Dalits beschlossen. Dass sie bis heute nötig sind, zeigt, wie tief Kastendiskriminierung in der Gesellschaft verwurzelt ist.

Das Internet weckte zunächst Hoffnungen auf größere Implosion. Plattformen wie Facebook oder Twitter galten als offener Raum, in dem auch Marginalisierte Stimmen haben. Wie wir seit Kurzem wissen, hat Twitter aber Kastendifferenzen verstärkt und nicht nivelliert. Wie Dalit-Aktivisten behaupten, stoppte der Konzern nämlich die Verifizierung von Dalit-Accounts. Verifizierung bedeutet, dass Twitter Accounts von öffentlicher Relevanz mit einem blauen Haken kennzeichnet und so garantiert, dass dahinter eine echte Person steht. Der blaue Haken bedeutet größere Glaubwürdigkeit. Sollte er Dalits vorenthalten werden, wäre das schwere Diskriminierung.

Nun läuft eine Kampagne gegen Twitters indischen Spitzenmanager, Manish Maheshwari. Sein Rauswurf wird gefordert – bislang ergebnislos. Zu dem Ärger trägt bei, dass manche Angehörige hoher Kasten allem Anschein nach die Verifizierung leicht bekommen. Aktivisten verweisen zum Beispiel auf Jay Shah, den Sohn von Innenminister Amit Shah. Mit wenigen Followern und ohne einen einzigen Tweet erhielt er den blauen Haken.

Regierungskritische Akteure mit großem Publikum und vielen Tweets bekamen diese Auszeichnung dagegen nicht. Twitter neigt vielmehr dazu, ihre Accounts aus fadenscheinigen Gründen zu blockieren oder sogar zu löschen. Derweil tut der Konzern wenig, um populistische Hetzer zu bremsen, die der Regierung nahestehen (siehe mein Aufsatz im Schwerpunkt von E+Z/D+C e-Paper 2018/05). Solche Leute agitieren gegen Dalits, Moslems und andere Minderheiten. Twitter hat versucht, seine Haltung klarzustellen, aber Kritiker halten die Parteilichkeit der Plattform für offensichtlich.

Irritiert hat zudem, dass im November bekannt wurde, dass mehr als ein Dutzend indischer Politiker, Aktivisten, Rechtsanwälte und Wissenschaftler digital ausspioniert wurden. Dafür wurde das hochentwickelte Softwareprogramm Pegasus genutzt, das die israelische Firma NSO herstellt. Sie wurde kürzlich von WhatsApp wegen Verletzung von Privatsphären angeklagt und argumentierte dann, sie unterstütze den Pegasus-Einsatz gegen Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger nicht. Sie verkaufe das Programm nur an staatliche Geheimdienste und Sicherheitsorgane für den Kampf gegen Terrorismus und schwere Kriminalität. Nutzt die indische Regierung das Programm, um Bürger auszuspionieren, die sie nicht mag?

In den USA kreist die öffentliche Debatte darum, ob Social-Media-Plattformen Politikern erlauben dürfen, in Anzeigen zu lügen. Facebook tut das und argumentiert, es gehe letztlich um die Redefreiheit. Twitter dagegen hat politische Anzeigen abgeschafft. Eine wichtigere und grundlegende Frage bleibt aber unbeantwortet: Wer ist befugt, solche weitreichenden Entscheidungen zu treffen – die multinationalen Konzerne selbst, die Regierung oder eine dritte, unabhängige Instanz?

In Entwicklungsländern sind Desinformation und Hasspropaganda wegen schwächerer Institutionen noch problematischer als in reichen Nationen. Über politische Anzeigen hinaus gibt es weitere große Probleme. In Indien neigen die großen Plattformen offensichtlich immer stärker der Regierung zu. Wir brauchen globale Regulierungen, um sicherzustellen, dass Demokratien weltweit nicht von Internetkonzernen unterminiert werden, die sich letztlich für nichts anderes interessieren als ihren Profit.


ArFa Khanum Sherwani ist leitende Redakteurin der unabhängigen indischen Nachrichten-Website The Wire.
Twitter: @khanumarfa
https://thewire.in/

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