Globaler Führungsanspruch

Informelles Machtzentrum

Die G20 ist das wichtigste Diskussionsforum, das Industrie- und Schwellenländer verbindet. Im Zuge der globalen Finanzkrise ist seine Bedeutung schnell gewachsen. Ein gemeinsames Konzept für die krisensichere Gestaltung der Weltwirtschaft fehlt nach wie vor – aber der Einfluss der G20 schlägt sich auf viele Politikfelder nieder.


[ Von Kathrin Berensmann, Thomas Fues und Ulrich Volz ]

Auf Anregung der Finanzminister der G7-Länder wurde die G20 im Dezember 1999 ins Leben gerufen. Zunächst handelte es sich um ein regelmäßiges Forum für Finanzminister und Zentralbankgouverneure. Vor dem Hintergrund der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise wurde es nach dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 aufgewertet. Seither nehmen die Staats- und Regierungschefs an den G20-Treffen teil.

Die G20 hat somit die G8 als das wichtigste informelle Diskussionsforum für weltwirtschaftliche Fragestellungen abgelöst. Die G20 soll nicht nur Beiträge zur Stabilität der internationalen Finanzarchitektur und der Kapitalmärkte leisten, sondern auch zur internationalen Kooperation, zum globalen Wachstum und zu Entwicklung.

Unklar bleibt bislang, welche Rolle die G20 in der multilateralen Architektur einnimmt und in welchem Verhältnis sie zu anderen informellen oder formellen internationalen Institutionen steht. Die bloße Existenz der G20 bedeutet die Umgehung legitimierter internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen. Manche sprechen von einer „Zementierung des Rechts des Stärkeren“.

Andererseits wird aber auch die Tatsache, dass die Beschlüsse der G20 nicht rechtlich binden, bemängelt. Das neue Steuerungsgremium versteht sich tatsächlich nicht als beschlussfassendes Organ, sondern als Dialogplattform. Es soll helfen, Kompromisspakete zu unterschiedlichen Feldern der Globalpolitik auszuhandeln – als Vorbereitung formaler Beschlüsse in legitimierten universalen Organisationen wie den UN. Die Reform der Aufsichtsgremien des Internationalen Währungsfonds ist dafür ein Beispiel. Die Entscheidung fiel beim Treffen der G20-Finanzminister und -Zentralbankgouverneure in Gyeongju wenige Wochen vor dem ­Gipfel in Seoul und wurde kurze Zeit später vom IWF-Exekutivrat angenommen.

Globalpolitische Beiträge

Auf solche Weise kann die G20 hilfreiche globalpolitische Beiträge bei der Bereitstellung und Wahrung von globalen öffentlichen Gütern leisten. Auf der Tagesordnung stehen dabei auch entwicklungspolitische Themen wie die Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung (siehe Seite 20). Angesichts der nach wie vor akuten globalen Finanzkrise bleibt die Koordinierung der internationalen Wirtschaftspolitik aber bis auf weiteres die wichtigste Herausforderung für die G20.

Der Anfang war vielversprechend. Bei den ersten Gipfeln der Staats- und Regierungschefs im November 2008 in Washington und im April 2009 in London zeigte sich die G20 geschlossen. Die Spitzenpolitiker formulierten gemeinsame Positionen zur Krisenbewältigung. Sie befürworteten Konjunkturprogramme zum Ausgleich des krisenbedingten Nachfragerückgangs und versprachen, auf protektionistische Schritte zu verzichten.

Danach wurde es schwieriger. Bei den Gipfeln in Pittsburgh im September 2009 und in Toronto im Juni 2010 wurden Differenzen deutlich. Der ungleiche Grad, in dem die G20-Länder von der Krise betroffen waren, die unterschiedlich schnelle wirtschaftliche Belebung und unterschiedliche wirtschaftspolitische Doktrinen und Modelle erschwerten die Einigung auf gemeinsame Positionen. Das galt für die Finanzmarktregulierung ebenso wie für die Haushalts- und Geldpolitik. Entsprechend spiegelten G20-Kommuniqués nur noch den kleinsten gemeinsamen Nenner wider. Über den Umgang mit globalen makroökonomischen Ungleichgewichten herrscht mittlerweile offener Dissens zwischen Defizit- und Überschussländern.

Anhaltende Differenzen

Angeführt von den USA, forderten die G20-Länder mit defizitären Leistungsbilanzen in Seoul Anpassungsmaßnahmen von den Überschussländern und forderten diese auf, die heimische Nachfrage anzukurbeln. Doch die angesprochenen Regierungen waren nur bedingt bereit, die Problematik zu diskutieren. Auf bindende Verpflichtungen wie die vom amerikanischen Finanzminister vorgeschlagenen Grenzwerte für Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite ließen sie sich nicht ein.

Dieser Disput wurde in Seoul nicht gelöst. Als Ausweg wurde der IWF beauftragt, sich der Sache anzunehmen. Ein ähnlicher Weg war bei einem früheren Gipfel schon beschritten worden, als das bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel angesiedelte Financial Stability Board beauftragt wurde, Vorschläge für die Regulierung von Banken auszuarbeiten.

Ebenfalls kontrovers wurde in Seoul über das Thema Wechselkurse diskutiert. Schon seit Jahren versuchen die USA und andere Länder, China dazu zu bewegen, seine Währung aufwerten zu lassen und dafür die künstliche Bindung an den Dollar zu kappen. Weil die US-Notenbank Federal Reserve kurz vor dem Seoul-Gipfel neuerliche geldpolitische Expansion („quantitative easing II“) zur Vermeidung einer Deflation verkündete, wurde den USA vorgeworfen, ihrerseits den Außenwert des Dollars manipulativ zu schwächen.

Gelöst wurde auch dieser Konflikt nicht. Im Seoul Action Plan verpflichtete sich die G20 zwar, von kompetitiven Abwertungen Abstand zu nehmen und stärker marktorientierte Wechselkurssysteme zu installieren. Eine wirkliche Annäherung der verschiedenen Parteien brachte der Gipfel jedoch nicht.

Überzogene Erwartungen

Die G20-Ergebnisse zu den Themen globale Ungleichgewichte und Wechselkurse sind sicherlich nicht optimal. Allerdings wäre es illusorisch, für derart komplexe Probleme schnelle und einvernehmliche Lösungen zu erwarten. China und die USA streiten sich bereits seit­ einer Dekade über die Wechselkurspolitik und Handels­ungleichgewichte. Warum sollte eine der beiden Seiten die Haltung plötzlich ändern? Auch das Themenfeld Finanzmarktregulierung berührt nationale Interessen, denn die Banken und Finanzplätze der G20-Mitglieder konkurrieren miteinander. Auch hier sind von Regierungen keine großen Opfer zu erwarten.

Es ist dennoch wichtig, dass die G20 sich dieser ­Themen annimmt – auch oder gerade weil dadurch die Differenzen klarer werden. Es ist zudem sinnvoll, schwierige Fragen an Organisationen wie die BIZ oder den IWF zu delegieren. Dieses Verfahren kann helfen, praktikable Lösungen zu finden. Immerhin haben in ­Seoul alle G20-Mitglieder die Vorschläge des Basler Ausschuss zur Weiterentwicklung von Eigenkapitalregeln für Finanzinstitute angenommen.

Die größte Herausforderung für die G20 ist es jedoch, den vielversprechenden Absichtserklärungen Taten folgen zu lassen und sich nicht durch nationale Egoismen und kurzsichtige Rivalitäten selbst zu blo­ckieren.

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