Arbeitsmarkt

Selbstständigkeit ist nicht die Lösung

Politische Entscheidungsträger sehen Existenzgründung zunehmend als Möglichkeit, der hohen Jugendarbeitslosigkeit zu begegnen. Experten glauben aber, dass nur 20 Prozent der Menschen zur Selbstständigkeit geeignet sind. Außerdem hat jemand mit Berufserfahrung bessere Erfolgsaussichten.


[ Von Kevin Hempel ]

Im vergangenen Jahr veröffentlichte das World Economic Forum die Studie „Die nächste Welle von Unternehmern ausbilden“ – und damit ein weiteres Dokument, das Existenzgründertraining als das Mittel für Wirtschaftswachstum und junge Leute als treibende Kraft in der Gesellschaft betrachtet.

Diese Sichtweise ist nicht neu. Schon 1995 forderte das „Weltweite Jugendaktionsprogramm bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus“ der UN mehr Möglichkeiten der Selbstständigkeit. 2001 benannte der Hohe Ausschuss des Youth Employment Networks – eine Initiative von ILO und Weltbank – Unternehmertum, Arbeitsmarktfähigkeit, Gleichstellung und Arbeitsbeschaffung als vier vorrangige Politikziele. Zudem zählte die Förderung von Existenzgründern auch zu den acht Kernelementen der 2003 überarbeiteten Globalen Arbeitsmarktagenda der ILO.

Unternehmertum, auch das junger Menschen, wurde auf dem Lateinamerika-Karibik-Gipfel über Integration und Entwicklung im Dezember 2008 sowie auf dem Amerika-Gipfel im April 2009 ausführlich dis­kutiert. Afrikanische Länder wie Nigeria, Malawi, Uganda und Kenia haben Programme zur Förderung unternehmerischer Fähigkeiten aufgelegt. Die Erwartungen an die Existenzgründung sind unterschiedlich (Chigunta, 2002). Typischerweise erhofft man sich,
– dass junge Leute damit ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten und sogar andere Menschen in Lohn und Brot bringen, sobald das Geschäft läuft,
– dass entfremdete und marginalisierte Jugendliche in die Gesellschaft zurückfinden und dadurch psychosoziale Probleme und arbeitslosigkeitsbedingte Kriminalität reduziert werden,
– dass neue Ideen aufgegriffen werden, weil Jungunternehmer besonders empfänglich für neue Chancen und Trends sind,
– dass ganze Gemeinden aufleben, wenn junge Frauen und Männer neue Fähigkeiten entwickeln, die ihnen auch in anderen herausfordernden Lebenssituationen helfen können und
– dass junge Menschen als Unternehmer neue Fähigkeiten entwickeln, die sie in vielen Bereichen des Lebens anwenden können.

Gründe zur Vorsicht

Das Jungunternehmertum hat klare Vorteile. Dennoch ist es übertrieben, Existenzgründung als Schlüssel zur Lösung der Jugendarbeitslosigkeit zu betrachten. Es gibt mindestens drei wichtige Gründe, vorsichtig zu sein:
– Selbstständigkeit ist per se risikoreich. Einige der erfolgsreichsten Geschäftsleute scheiterten mehrfach, ehe es ihnen gelang, ein zukunftsfähiges Unternehmen zu gründen. Das Entwickeln und Verfeinern von Ideen, „Networking“, Arbeitserfahrung und der Einsatz von Ersparnissen gehören zu den Erfolgsfaktoren für die Existenzgründung. Offenbar haben erfahrene Erwachsene eher Erfolg als Jugendliche. In Chile, Ecuador und Peru geben junge Leute ihre Selbstständigkeit doppelt so schnell auf wie Erwachsene (Weller, 2007). Andere Quellen (Llisterri et al., 2006) weisen auf eine hohe Mobilität unter den jungen Selbstständigen hin. Rund 40 Prozent gingen innerhalb von drei Jahren ein abhängiges Lohnverhältnis ein oder wurden arbeitslos; nur die wenigsten wurden selbst Arbeitgeber und konnten Jobs schaffen.
– Selbstständigkeit in Entwicklungsländern entsteht meist aus der Not heraus. In Lateinamerika etwa hatten mehr als 90 Prozent der Jungunternehmer keine andere Wahl (Llisterri et al., 2006). Die Betroffenen hatten keinen Schulabschluss und arbeiteten in wenig produktiven Sektoren wie dem Einzelhandel (etwa als Straßenhändler). Die meisten gehörten zu den zwei Fünfteln der Bevölkerung mit dem niedrigsten Einkommen und hätten gerne eine andere Betätigung gehabt.
– Selbstständigkeit erfordert besondere Fähigkeiten (wie Buchhaltung) und Einstellungen (wie Risikobewusstsein). Sogar Praktiker, die Existenzgründer fördern, geben zu bedenken, dass nur etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung das Potential zum Unternehmer haben (Schoof, 2006).

Die Selbstständigkeit Jugendlicher zu fördern ist also heikel. Zudem muss man betonen, dass junge Menschen, deren Geschäftsgründung scheitert, hin­terher möglicherweise schlechter dran sind als zuvor. Sie müssen ihre Mikrokredite zurückzahlen oder ­haben mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre eigenen ­Ersparnisse und die der Familie aufgebraucht.

Es gibt nur wenige empirische Studien über Programme für Jungunternehmer, und ihre Ergebnisse sind unterschiedlich. Die Bestandsliste für Jugendarbeit der Weltbank (Betcherman et al., 2007) sieht in Gründerprogrammen, im Vergleich zu anderen Interventionen, die beste Wirkung. Allerdings geben die Autoren zu, dass „die Anzahl der Interventionen in der Bestandsliste zu niedrig war, um solide Schlussfolgerungen daraus zu ziehen“. Tatsächlich basierte die Lis­te nur auf drei jugendspezifischen Gründerprogrammen: auf einem Regierungsprogramm in Bulgarien und zwei Nichtregierungsprogrammen in Peru. Ferner hielten die Autoren kein einziges davon für kostendeckend.

Auch in reichen Ländern sind die Ergebnisse nicht umwerfend (siehe Kasten). Die uneinheitlichen Belege stimmen mit denen der Erwachsenenliteratur zur Existenzgründerförderung überein. Die Bewertungen von 13 Unternehmerprogrammen wurden folgendermaßen beurteilt (Betcherman et al., 2004): „Die meisten Arbeitslosen suchen eher Jobs als unternehmerische Chancen.“ Positive Ergebnisse fand man eher unter älteren und besser ausgebildeten Arbeitern. Es zeigte sich außerdem, dass es wichtig ist, zusätzlich zur Kreditvergabe Unternehmensberatung anzubieten.

Es bedarf mehr Forschung, um herauszufinden, wie Jungunternehmer gefördert werden können und wie nicht. Die Erfahrungen von NGOs spielen dabei eine entscheidende Rolle, da sie in der jugendlichen Gründerszene eine Schlüsselposition innehaben. Um ihre Erkenntnisse optimal zu nutzen, sollten sie sich von ihrer Rolle als reine Fürsprecher lösen und ihre Arbeit solide evaluieren.

Um Jugendunternehmertum im Allgemeinen besser zu verstehen, sollten Wissenschaftler ihre konkrete Zielgruppe klar hervorheben. Es bringt nichts, diejenigen, die keine Alternative haben, mit denen in einen Topf zu werfen, die echten Unternehmergeist besitzen.

Kein Allheilmittel

Dinge wie Hochschulbildung oder klar ausgerichtete Praktika sind für Existenzgründer in reichen Ländern von größter Bedeutung. Zudem hängen junge Firmen von einem günstigen Geschäftsumfeld ab. Wenn solche Fragen schon für Existenzgründer in Nordamerika oder Westeuropa relevant sind, so spielen sie eine mindestens ebenso große Rolle für Menschen in ärmeren Regionen, die sich selbstständig machen, weil sie keine andere Möglichkeit haben.

Deshalb dürfen Entscheidungsträger Selbstständigkeit nicht als Ausrede für fehlgeschlagene Wirtschaftspolitiken nehmen. Sie sollten besser alles dafür tun, den Druck, eine Existenz gründen zu müssen, zu reduzieren. Das bedeutet zuallererst, junge Leute vor dem vorzeitigen Schulabbruch zu bewahren.

Dennoch ist es sinnvoll, Unternehmertum – auch das junger Menschen – zu fördern. Dabei sollte nicht immer die Selbstständigkeit erstes Ziel sein. Langfristig ausgerichtete Initiativen, bei denen es um den Erwerb von übertragbaren Fähigkeiten geht (wie soziale Kompetenz) und nicht um den sofortigen Aufbau eines Unternehmens, haben mit großer Wahrscheinlichkeit mehr Erfolg. Da es von der Idee bis zur erfolgreichen Unternehmensgründung oft Jahre dauert, muss man mit der Förderung von Jugendlichen beginnen, auch wenn die Effekte erst im Erwachsenenalter eintreten.

Gründerprogramme können demnach sinnvoll sein, um den Wettbewerb und die Dynamik von Volkswirtschaften zu fördern – eine schnelle Hilfe gegen die globale Herausforderung der Jugendarbeitslosigkeit sind sie aber nicht. Konventionellere politische Ansätze wie Kompetenztraining und bessere Jobvermittlung sind ebenso relevant.

Gut möglich, dass viele Länder das Gründerpotential ihrer Jugend nicht voll ausschöpfen. Aber Potential darf nicht mit Tauglichkeit verwechselt werden. Um ein erfolgreicher Unternehmer zu werden, braucht man meist Zeit und Erfahrung. Potentielle Gründer kämpfen mit Zwängen wie finanziellem und physischem Kapital (Geld und andere Einlagen), Humankapital (Fähigkeiten) und Sozialkapital (Kontakte). Politisch Verantwortliche sollten sich darauf konzentrieren, diese Rahmenbedingungen einfacher zugänglich zu machen – gemäß den jeweiligen Bedürfnissen und Prioritäten der entsprechenden Zielgruppe.

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