Fragile Staatlichkeit

Enttäuschung über EU-Führer

Für die Libyer war 2011 weniger das Jahr der Befreiung als vielmehr der Beginn des anhaltenden Bürgerkriegs. Sie sind sich uneins darüber, ob die NATO-Intervention legitim war oder nicht, aber völlig einig darüber, dass sie permanente Unsicherheit gebracht hat.
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Mehrere EU-Mitgliedstaaten – besonders Großbritannien und Frankreich – hatten erheblichen Einfluss auf den Beschluss des UN-Sicherheitsrates im März 2011, eine Flugverbotszone über Libyen zu verhängen. Der Sicherheitsrat glaubte, Diktator Muammar al-Gaddafi so daran zu hindern, mit voller militärischer Gewalt gegen das aufständische Volk vorzugehen. Westliche Sicherheitsratsmitglieder billigten den Beschluss. Deutschland, Russland, China und Brasilien enthielten sich der Stimme.

Derweil rüstete sich Gaddafi dafür, jegliche Opposition brutal zu unterdrücken. Europäische Politiker – der damalige Präsident von Frankreich, Nicholas Sarkozy, und der damalige britische Premierminister David Cameron etwa – insistierten daher auf R2P (Responsibility to Protect), das Schutzverantwortungsprinzip der UN. Es verlangt, dass die Bevölkerung in Bürgerkriegen geschützt wird. Daraufhin führte die NATO mit einem Mandat des Sicherheitsrats ihren Einsatz durch. Untypischerweise überließ die US-Regierung den europäischen Partnern die Führung bei dieser Mission.

Der pensionierte libysche Diplomat Mohamed Khaifah Elakrout sagt, „die libysche Elite akzeptierte die westliche Intervention weitgehend, weil sie glaubte, der langjährige Diktator könne nur mit Hilfe von außen gestürzt werden“. Sie hätten die Konsequenzen des Sturzes von Gaddafi falsch eingeschätzt und nicht mit einem langen Bürgerkrieg gerechnet.

Heute glauben viele Libyer, dass bei der Intervention absichtlich das R2P-Mandat überschritten wurde. Statt lediglich Gaddafis Luftwaffe zu blockieren, habe man die Rebellen aktiv unterstützt. Sie sind überzeugt, dass die Militäraktion, die zu seinem Sturz führte, aus Eigeninteresse geschah. Einige Libyer lehnten die NATO-Intervention von Anfang an ab.

Im Allgemeinen besteht Einigkeit darüber, dass die internationale Gemeinschaft und die westlichen Mächte hinsichtlich des Schutzverantwortungsprinzips versagt haben. Sie unterstützten den politischen Übergang nach Gaddafis Tod nicht angemessen und ließen das Land in einen Bürgerkrieg abdriften.

Natürlich halfen die EU-Mitglieder 2015 dabei, das sogenannte "Libysche Politische Abkommen" zu verwirklichen. Allerdings hat dieses Abkommen weder alle wichtigen Fragen geklärt, noch ist eine wirksame Umsetzung sichergestellt.

Dem libyschen Journalisten Ahmed Almugassaby zufolge tragen die EU-Mitglieder einen Teil der Schuld. Dass Libyen heute so polarisiert sei, liege unter anderem daran, dass verschiedene EU-Länder unterschiedliche Prioritäten gehabt hätten: „Diese widersprüchlichen Einflüsse haben 2015 zu einer mangelhaften Einigung geführt.“ Zudem zeichne sich immer deutlicher ab, dass Italien und Frankreich in Libyen unterschiedliche Ziele verfolgten und entsprechende Allianzen mit lokalen Akteuren eingingen. Die EU ist sich in ihrer Außenpolitik nicht einig und die Libyer müssen leiden. Was die libyschen Politiker angeht, so beschuldigt Almugassaby sie, nicht im öffentlichen Interesse zu handeln, sondern sich opportunistisch an die Seite europäischer Partner zu stellen. 

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