Dezentralisierung

Tödlicher Machtkampf

In Mosambik ist die Dezentralisierung seit über zwei Jahrzehnten ein Feld härtester politischer Konflikte. Vordergründig streiten Regierung und Opposition darüber, Zuständigkeiten und Mittel auf Verwaltungsebenen unterhalb des Zentralstaates zu verlagern. In Wahrheit erhofft sich die Opposition davon die politische Macht insbesondere in den Regionen, in denen sie die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich weiß. Die Regierung hat dies bislang zu verhindern gewusst.
Seltene Einigkeit in Mosambik: Anhänger von Frelimo und Renamo arbeiten zusammen am Bau einer Straße. Neil Cooper/Lineair Seltene Einigkeit in Mosambik: Anhänger von Frelimo und Renamo arbeiten zusammen am Bau einer Straße.

Nach den Parlamentswahlen 2014 gewann mit der Dezentralisierung ein anscheinend rein administratives Problem erneut enorme politische Brisanz. Die größte Oppositionspartei, die Renamo, forderte, dass sie selbst – und nicht mehr der Staatspräsident – die Gouverneure in jenen zentralmosambikanischen Provinzen ernennen könne, in denen sie die Stimmenmehrheit bei den Parlamentswahlen erzielt hatte. Die Regierung lehnte dieses kategorisch ab. Daraufhin entbrannte wieder ein „kleiner Krieg“ zwischen bewaffneten Kräften der Renamo und Sicherheitstruppen der seit 1975 das Land beherrschenden Frelimo-Regierung. Mosambik war zwischenzeitlich auf dem Weg in einen scheiternden Staat (siehe dazu Kaufmann/Borowczak in E+Z/D+C e-Paper 2017/6, S. 20, sowie Kasten).

Die Auseinandersetzung um die Dezentralisierung führte bis heute zu einer Reihe von Morden und Mordversuchen – samt und sonders bis dato nicht aufgeklärt. Spektakulär war der Tod des Verfassungsrechtlers und Universitätsprofessors Gilles Cistac. Er wurde am 3. März 2015 von einem Killerkommando in Maputo auf offener Straße erschossen. Cistac hatte bereits Wochen zuvor Morddrohungen erhalten. Im mosambikanischen Fernsehen und in Zeitungsartikeln hatte er die nicht regierungskonforme Ansicht vertreten, dass die Verfassung es erlaube, die bis dato vom Staatspräsidenten ernannten Provinzgouverneure durch die Bevölkerung wählen zu lassen sowie dass den Provinzen volle Selbstverwaltung gewährt werden könne. Obwohl der Beweis eines direkten Zusammenhangs zwischen dem Mord an Cistac und seiner Meinung als Verfassungsrechtler fehlt, wurde die Tat von vielen als Beweis dafür gesehen, dass die Befürwortung einer tiefgreifenden Dezentralisierung lebensgefährlich sein kann.


Keine eigenen Finanzmittel

Die Geschichte der Dezentralisierung im unabhängigen Mosambik beginnt in den 1990er Jahren mit ersten Schritten der Dekonzentration staatlicher Regierung Richtung Provinzen (siehe Hintergrundinformationen). Die Provinzen stellen seitdem eigene Haushalte (laufende Ausgaben und Investitionen) auf, bekommen die dazu notwendigen Finanzmittel vom Finanzministerium zugewiesen und geben diese Mittel eigenständig aus. Die Aufsicht des Finanzministeriums und der Fachministerien ist relativ gering. Das nationale Parlament „segnet“ die Provinzhaushalte ohne Diskussion und spezifische Abstimmung ab.

Seit 2008 verfügen die Provinzen zudem über eigene gewählte Parlamente. Dort werden die Provinzhaushalte diskutiert und abgestimmt, sie sind somit stärker legitimiert. Da die Provinzen aber keine relevanten eigenen Finanzmittel haben und zudem Gouverneur und Provinzregierung nicht dem Provinzparlament verpflichtet sind, ergibt sich für Gouverneur und Provinzregierung eine ständig umstrittene Macht- und Loyalitätslage gegenüber dem Präsidenten und der Zentralregierung einerseits und dem Provinzparlament andererseits.

Daran konnten auch die bereits 2003 in einem speziellen Gesetz (LOLE) erweiterten und systematisierten Verwaltungs- und Entscheidungskompetenzen der Provinzen und auch der Distrikte nichts ändern. Sie relativierten die grundsätzliche Subordination von Provinzen und Distrikte unter die Zentralregierung nicht.

Konfliktreicher als die zuvor beschriebene Dekonzentration verlief der Prozess der Devolution, also der Machtverlagerung auf untere Ebenen. Bereits 1994 verabschiedete das Parlament auf Vorschlag der Frelimo-Regierung ein Gesetz, das eine lokale Selbstverwaltung für alle Städte (cidades), Kleinstädte (vilas) und ländliche Gemeinden (localidades) vorsah. Auf diese Weise sollte das gesamte Territorium und die gesamte Bevölkerung unter lokale Selbstverwaltung fallen. Machtbewusste Kräfte innerhalb der Frelimo verhinderten jedoch seine Anwendung. Sie fürchteten, dass bei Kommunalwahlen in den Hochburgen der Renamo diese dort massenhaft die „Rathäuser“ dominieren würde.

Stattdessen erarbeitete und verabschiedete die Regierung in den Folgejahren 1996/97 neue Gesetze, die lediglich eine graduelle Einführung lokaler Selbstverwaltung vorsahen. 1998 fanden so erste Kommunalwahlen (Bürgermeister und Gemeindeparlamente) in 33 Städten und Kleinstädten statt, die knapp 20 Prozent der Bevölkerung erfassten. Mittlerweile sind es 53 selbstverwaltete Gemeinden (municípios), in denen rund 25 Prozent der Bürger das Privileg der kommunalen Selbstverwaltung genießen. Circa 75 Prozent aller Mosambikaner werden weiterhin via Provinz- und Distriktverwaltungen letztlich von Maputo aus verwaltet.


Fehlender Erfolg

Die Einführung der kommunalen Selbstverwaltung hat bislang nur begrenzte Effekte für die Lebensqualität der Menschen in den betroffenen Munizipien gehabt. Ihre Finanzmittel sind allzu begrenzt, vielfach fehlt qualifiziertes Personal, die gewählten Lokalpolitiker führen häufig auch nur die auf nationaler Ebene gängigen Praktiken von Korruption, Bereicherung und Vetternwirtschaft weiter. Geberorganisationen wissen um diese Missstände und stellen Beratung und Finanzmittel zur Verfügung – bei der komplexen Problemlage bis dato aber ohne durchschlagenden Erfolg.

Die kommunale Selbstverwaltung hat die dominierende Rolle der Frelimo nicht relativieren können. Nie gewannen bei Kommunalwahlen die Oppositionsparteien Renamo und MDM in mehr als vier bis fünf Städten und Kleinstädten den Bürgermeisterposten und die Mehrheit im lokalen Parlament. In der laufenden Legislatur (2013–18) stellt die MDM den Bürgermeister in vier der 53 Munizipien, die Renamo keinen einzigen, da sie die vergangenen Kommunalwahlen 2013 boykottiert hatte. Wahlbetrug war insbesondere bei der Abwahl von Renamo-Bürgermeistern mehrfach im Spiel. Bemerkenswert ist in diesem Kontext die Stadt Beira. Hier hat es die MDM bereits drei Legislaturen in Folge geschafft, die Mehrheit im Stadtrat zu gewinnen und mit Daviz Simango den Bürgermeister zu stellen.


Neue lokale Eliten

Die größte Veränderung des gesamten bisherigen Dezentralisierungsprozesses ist die Herausbildung neuer lokaler politischer Eliten, trotz begrenzter Zuständigkeiten, Mittel und Qualifikationen. Dies betrifft alle drei großen Parteien, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße. Solch ein Prozess ist nie konfliktfrei, und zwar nicht nur zwischen den konkurrierenden Parteien, sondern auch innerhalb dieser. Spektakulär hierfür war der Fall des erfolgreichen Bürgermeisters von Maputo Eneas Comiche in der Legislatur 2003–08. Seine Frelimo hatte ihm 2008 eine neue Kandidatur und die sichere Wiederwahl verweigert, da er korrupte Praktiken bei der Vergabe von Grundstücken an Parteimitglieder abgelehnt hatte.

Obwohl stärkste Oppositionspartei mit eigener kleiner Armee, ist es der Renamo bisher nicht gelungen, auf lokaler Ebene substanzielle politische Macht zu erobern. Nie konnte sie Bürgermeisterposten über eine Wahlperiode hinaus halten. Und die Bilanz ihrer Bürgermeister oszillierte stets auch nur zwischen schwach und unauffällig. Der Renamo-Führung ist allerdings klar, dass sie endlich einen substanziellen Machtgewinn erzielen würde, stellte sie eigene Provinzgouverneure in den sechs von ihr reklamierten Provinzen. Dies wäre der Fall, wenn eine neue Gesetzgebung den Provinzen volle politische und administrative Autonomie einräumt und die Gouverneure gewählt und nicht mehr direkt vom Präsidenten ernannt würden.

Die Renamo argumentiert, dass eine weitergehende Dezentralisierung, vor allem auf Provinzebene, ihr den Raum für eine bessere Politik im Interesse aller Mosambikaner geben würde. Doch man mache sich nichts vor. Auch die Renamo ist eine in einer Logik des Klientelismus und des Rentseeking befangene Partei. Auch sie würde diese Machtpositionen vermutlich dazu nutzen, ein wenig nach unten umzuverteilen, im Prinzip aber die neuen, ihr verpflichteten lokal-regionalen Eliten zu alimentieren. Korruption, Bereicherung und Misswirtschaft wären die Regel. Renamo-Gouverneure, die sich dieser Logik zu entziehen versuchen, müssten mit internen Sanktionen rechnen.

Letztlich ist die politische Macht in sechs Provinzen auch nur ein, wenn auch wichtiges, Etappenziel der Renamo. Der von ihr 2013 angezettelte und von beiden Seiten bis Dezember letzten Jahres verbissen geführte „kleine Krieg“ zielte seitens der Renamo darauf ab, ebenso wie die Frelimo Zugang zu den zahlreichen Rentenquellen zu bekommen. Dabei geht es nicht nur um die Rohstoffvorkommen, sondern auch um staatliche Monopole, öffentliche Aufträge und den Zugriff auf Gebermittel. Die Herrschaft über den Staatsapparat eröffnet zudem zahlreiche Möglichkeiten gutbezahlter Anstellungen in seinen Institutionen, öffentlichen Unternehmen oder bei Infrastrukturprojekten. Mit einer demokratischen Dezentralisierung hat das nichts zu tun, nicht einmal mit rationaler Verwaltungspraxis.


Friedrich Kaufmann ist Leiter der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Maputo im Rahmen des ExperTS CIM Programms des BMZ. Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.
friedrich.kaufmann@gmx.net

Winfried Borowczak ist freier Consultant, spezialisiert unter anderem auf Dezentralisierung.
winborow@aol.com


Literatur
Weimer, B. (Hrg), 2012: Moçambique: Descentralizar o Centralismo – Economia Política, Recursos e Resultados, Maputo (IESE). (Auf Portugiesisch)

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