Gesellschaftliche Traumata

Ungeeigneter Export?

Die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission von 1995 gilt als inter­nationales Modell, aber ihre Wirkung wird überbewertet. Ähnliche Kommissionen in anderen afrikanischen Ländern waren insgesamt enttäuschend. Simbabwe erwägt eine eigene Version, aber die dominante Partei ist dagegen.

Von David Moore

Die „liberale“ Tradition war in Südafrika groß genug, um den Eindruck zuzulassen, die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Comission, TRC) habe funktioniert. Zudem arbeitete die Kommission unter dem Heiligenschein versöhnlicher Charismatiker wie Desmond Tutu und Nelson Mandela, die persönlich vom bewaffneten Kampf kaum betroffen waren. Am Ende kamen die meisten der reumütigen Architekten und Anhänger der Rassentrennung ohne Schaden für Leben und Ruf davon. Auch der African National Congress wurde nicht gezwungen, allzu viel über militärische Operatio­nen preiszugeben.

Das Ziel der TRC war, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und über Wiedergutmachung, Rehabilitierung und Amnestien zu befinden. Sie markierte einen Bruch mit der Vergangenheit und bot zumindest eine zeremonielle Gelegenheit für den Umgang mit den Schrecken der Apartheid und des Aufstands dagegen. Viele Südafrikaner hatten aber nie das Gefühl, dass die Kommission Gerechtigkeit und echte Aussöhnung brachte. Aber 1995 waren selbst die lautesten Kritiker nur ein Flüstern im Wind des auf friedlichen Neuanfang ausgerichteten Wandels.

Das Desaster von Marikana im August 2012 beweist aber, dass die TRC die Einstellung der südafrikanischen Behörden nicht verändert hat. Dass die Polizei 34 streikende Minenarbeiter erschossen hat, deutet darauf hin, dass ihre Priorität weiterhin der Schutz des Staates und vielleicht sogar der Minengesellschaften ist.

Dennoch gilt Südafrikas TRC als vorbildlich. Vor kurzem nahmen aktivistisch gesinnte Wissenschaftler aus Südafrika an mindestens zwei Treffen mit UN-Vertretern in Libyen teil, um die Möglichkeit einer TRC dort zu sondieren. Ähnlich sind neue Wahrheitskommissionen für Tunesien, Ägypten, Jemen und in absehbarer Zukunft Syrien vorstellbar. Vielleicht haben sogar Israel und Palästina eines Tages eine TRC.

Neue TRCs werden jedenfalls sehr unterschiedlich sein – je nach den spezifischen Bedingungen der jeweiligen Länder. Die wichtigste Frage ist, wie ernst beteiligte Parteien es mit Wahrheit und Versöhnung nehmen. Mahmood Mamdani betont zu Recht, dass Südafrikas TRC das „Ergebnis eines politischen Kompromisses war, dessen Bedingungen die Kommission ermöglichten und zugleich die Grenzen definierten, innerhalb derer sie arbeiten würde“. Es ist wichtig, dass das politische Ziel nicht Gerechtigkeit war, sondern der Übergang zur Demokratie.

Man darf auch nicht vergessen, dass Südafrikas altes Regime im Kern kolonial und rassistisch gewesen war. Im postkolonialen Afrika sind die Verhältnisse komplizierter. Tatsächlich waren die TRCs in anderen Teilen des Kontinents enttäuschend. Tendenziell neigen sie dazu, Verbrechen „unter den Teppich zu kehren“, wie Piers Pigou urteilt. Er arbeitet für die nichtstaatliche International Crisis Group und ist ein ehemaliger TRC-Ermittler aus Südafrika.

Dennoch hält Pigou den Trend zu Wahrheitskommissionen in Afrika für positiv, „weil sie ein gewisses Maß an Rechenschaft für vergangenes Unrecht einführen“. Er räumt ein, dass das strafrechtliche Aspekte nicht einschließt, und sieht TRCs als Sicherheitsventile: „Der Kampf geht darum, sie so zu gestalten, dass sie relevant werden.“

Leider ist aber Irrelevanz typisch. Mads Brüggers Dokumentarfilm „The Ambassador“ berichtet beispielsweise, dass die Wahrheitskommission Liberias 2009 ursprünglich empfahl, sowohl den Außenminister als auch Präsidentin Ellen Sirleaf Johnson wegen der Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit von öffentlichen Ämtern auszuschließen. Im gleichen Film sagt ein Liberianer, dass das keine Rolle spielen dürfe, weil die Kommission überambitioniert und deshalb bedeutungslos gewesen sei: „Lasst uns mit dem Leben weitermachen, wie es ist.“

Sirleaf Johnson argumentierte in dem Fall, sie habe Charles Taylors Rebellen mit „Lebensmitteln, Material und finanzieller Hilfe“ unterstützt, als er den brutalen Diktator Samuel Does bekämpfte. Sie ging also davon aus, dass Taylors Krieg seinerzeit „gerecht“ war. Der Abschlussbericht der TRC enthielt dann nicht mehr die Empfehlung, Sirleaf Johnson und ihren Minister von politischen Ämtern auszuschließen. War Macht oder Moral das Motiv? Es verstört zudem, dass das Thema öffentlich kaum Beachtung fand.

Viel Zeit und Millionen von Dollar sind in Wahrheitskommissionen in Liberia und anderen afrikanischen Ländern geflossen. Am enttäuschendsten waren die Ergebnisse in der Demokratischen Republik Kongo und in Nigeria. Ähnliche Unterfangen in Uganda, im Tschad, in Sierra Leone, Ghana und Kenia waren auch nicht überzeugend.

Der erfolgreichste Ansatz, mit gesellschaftsweiten Traumata umzugehen, war wohl Ruandas Gacaca-Justiz. Sie beschäftigte sich mit dem Völkermord von 1994 (siehe auch den Beitrag auf Seite 383). Das Konzept beruhte auf einem einzigartigen, landesspezifischen Kompromiss und half Menschen, sich in gewissem Maß der Vergangenheit zu stellen. Allerdings behandelten die Gacacas Ruandas Beteiligung an der Gewalt im Kongo gar nicht (siehe Beiträge auf den Seiten 380 und 382).

Simbabwes Leid

Derzeit erwägt Simbabwe eine Wahrheitskommission einzurichten. Ein Artikel im aktuellen Verfassungsentwurf, über den vor den nächsten Wahlen eine Volksabstimmung abgehalten werden soll, sieht das vor. Allerdings ist die dominante Partei ZANU-PF von Präsident Robert Mugabe gegen diesen und andere Artikel.

Eine schwierige große Koalition regiert derzeit das Land. Beteiligt sind der autoritäre Mugabe, der seit dem Sturz des rassistischen Regimes von Ian Smith 1980 an der Macht ist, und sein Herausforderer Morgan Tsvangirai (siehe Kommentar in E+Z/D+C 2012/09, S. 350). Die Koalition wurde von der Regionalorganisation Southern African Development Community (SADC) vermittelt, nachdem Tsvangirai 2008 wegen anhaltender repressiver Gewalt seine Kandidatur im Präsidentschaftswahlkampf zurückgezogen hatte. Kurz zuvor hatte seine Partei die Parlamentswahlen gewonnen.

Dass Mugabes Partei die Versöhnungskommis­sion ablehnt, zeugt von der Angst eines Regimes, das die Grenzen des politischen Anstands mehrfach überschritten hat und weiter überschreitet. Zu den schändlichen Aspekten gehört die Spaltung der Partei der Befreiungsbewegung, der Zimbabwe African People’s Union (ZAPU) in den 60er Jahren sowie die Ermordung ihres Vorsitzenden Herbert Chitepo 1975. Ein weiterer heikler Punkt ist der Umgang Mugabes 1977 mit jungen Politikern, die aus seiner Sicht seinem Aufstieg im Weg standen.

Nach Mugabes Machtübernahme wurden in den 1980ern in Matabeleland und den Midlands an die 20 000 Menschen getötet. Die Bezeichnung „Gukurahundi“ – „der Wind, der die Spreu hinwegweht“ – steht für Mugabes gewaltsame Unterdrückung der Anhänger von Joshua Nkomo, Simbabwes anderem Freiheitskämpfer, dessen Partei ZAPU mit Mugabes ZANU konkurrierte. Nach dem Blutvergießen verschmolz Mugabe unter seiner autoritären Führung beide Parteien zur ZANU-PF.

Simbabwes Vergangenheit und Gegenwart sind turbulenter als die Südafrikas. Es ist unwahrscheinlich, dass es in naher Zukunft eine Art TRC geben wird. Erfahrungsgemäß würde sie aber wohl ohnehin nicht viel bringen.

Relevante Artikel

Governance

Um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, ist gute Regierungsführung nötig – von der lokalen bis zur globalen Ebene.