Weitweite Daten

„Wir können extreme Armut beenden“

Die World Poverty Clock ist ein Online-Tool, das die Zahl der Menschen anzeigt, die weltweit in Armut leben. Die entsprechende Webseite gibt an, wie viele Menschen der Armut entkommen oder in Armut fallen. Ende August lebten demzufolge 637 Millionen Menschen – das sind acht Prozent der Weltbevölkerung – in extremer Armut. Die World Poverty Clock wurde vom World Data Lab in Wien mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geschaffen. Homi Kharas ist Experte für globale Entwicklung bei der Brookings Institution und berät das World Data Lab.
Screenshot: World Poverty Clock. Screenshot: World Poverty Clock. Screenshot: World Poverty Clock.

Wozu dient die World Poverty Clock?
Unser Hauptziel ist es, das Bewusstsein dafür zu schaffen, wie sich die Armut an verschiedenen Orten der Welt entwickelt. Wir wollen die besten, aktuellsten Schätzungen von Armut und Armutsverläufen bieten.

Wie geht die Reduzierung der weltweiten Armut voran?
Zu Beginn des Jahres 2016 lebten etwa 727 Millionen Menschen oder 9,8 Prozent der Weltbevölkerung in extremer Armut. Am 30. August 2018 waren es 639 Millionen, nur etwa 8 Prozent der Weltbevölkerung, obwohl diese übrigens zwischenzeitlich um etwa 200 Millionen Menschen gewachsen ist. Die Daten zeigen also eine positive Entwicklung in die richtige Richtung. Aber der Fortschritt geht nicht schnell genug voran. Um das erste Sustainable Development Goal (SDG) – die Armut bis 2030 beenden – zu erreichen, müssten bis dato 40 Millionen mehr Menschen der Armut entflohen sein.

Gibt es eine reale Chance SDG 1 zu erreichen?
Ja, wir können extreme Armut beenden. Wir haben die Ressourcen und das Wissen dazu, und es gibt Beispiele von Ländern, die das geschafft haben. Zugleich stehen wir aber vielerorts vor großen Herausforderungen, die angegangen werden müssen.

Bietet die World Poverty Clock länderspezifische Informationen?
Ja, man kann sehen, in welchen Ländern es gut läuft und in welchen nicht. Allgemein kann man sagen, dass Länder in Asien, vor allem Südasien, gute Fortschritte machen, Länder in Subsahara-Afrika leider nicht. Viele der Letzteren leiden unter Klimakatastrophen und Gewalt.

Wo besteht Ihrer Meinung nach Handlungsbedarf?
Der Fokus sollte auf Afrika liegen. Dort schreitet die Reduzierung der Armut am langsamsten voran und macht teilweise sogar Rückschritte. Verstärkt wird das Problem durch das hohe Bevölkerungswachstum. Wir sollten dafür sorgen, dass niemand von der jungen Generation zurückgelassen wird.

Warum haben Sie eine bildliche Darstellung gewählt?
Man muss auf das Publikum zugehen, um Themen ins Bewusstsein zu rücken. Wir haben herausgefunden, dass nur wenige Leute die Grafiken und Statistiken der Weltbank verstehen – sie sind zu statisch. Wir wollten die Dynamik von Armut deutlich machen. Und wir wollten herausstellen, dass es Fortschritte gibt, auch wenn noch immer viele Leute zurückgelassen werden, weil die Armutsreduzierung zu langsam voranschreitet. Um die Armut bis 2030 zu beenden, muss mehr geschehen.

Woher beziehen Sie Ihre Daten?
Wir nutzen Sammelstatistiken, die die Weltbank auf Basis von Haushaltsbefragungen erstellt. Sie stehen auf der PovCal-Datenbank der Weltbank zur Verfügung. Dies ergänzen wir mit Daten vom Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, die der Internationale Währungsfonds (IWF) und das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Wien erheben. Das IIASA hat so genannte „gemeinsame sozio-ökonomische Wege“ für alle Länder der Welt erstellt. Es hat außerdem sehr gute Daten in Bezug auf Demografie und Bevölkerungswachstum gesammelt.

Wie verlässlich sind die Daten?
Es gibt natürlich Zweifel an der Qualität mancher Daten, besonders im Vergleich zwischen den Ländern. Denn die Länder benutzen teils verschiedene Methoden, um Umfragen durchzuführen, also ist ein Vergleich schwierig. Wir haben aber dennoch großes Vertrauen in länderspezifische Verläufe, weil sich die Methoden im Laufe der Zeit kaum verändert haben. Deshalb ist die Richtung eindeutig. In Ländern, die von Krieg betroffen sind, ist es allerdings sehr schwer, Daten zu erheben. Die gute Nachricht ist aber, dass der Großteil der Länder nicht von massiver Gewalt betroffen ist und deshalb unser Gesamtbild ziemlich genau ist.

Welche Implikationen bietet die Poverty Clock der Entwicklungspolitik?
Wir sollten uns natürlich über die Erfolge bei der Reduzierung der globalen Armut in den vergangenen zwei Dekaden freuen, aber wir sollten auch Alarm schlagen, dass sich die Geschwindigkeit der Armutsreduzierung verringert. Wenn sich die Politik nicht ändert, werden wir bald auf ein neues Narrativ antworten müssen, nämlich, dass die Armutsbekämpfung nicht mehr schnell genug voranschreitet. Entwicklungspolitiker müssen sich Lösungen überlegen, wie mit schwierigen Regionen umzugehen ist, die keine stabile und effektive Regierung haben, und Regionen, die von Krisen wie Klimawandel, Seuchen oder Konflikten betroffen sind. An diesen Orten ist die Armut am schlimmsten.

Was ist das nächste Ziel der Poverty Clock?
Wir würden gerne subnationale Daten erschließen. Wir haben erfolgreich ein subnationales Modul in Kenia pilotiert und verfeinern die Methode auch in Europa und den USA, wo bessere Daten vorhanden sind. Wir arbeiten daran jetzt auch in Pakistan, Brasilien und Indonesien. Wir erhoffen uns dadurch die Entwicklung von mehr automatisierten Techniken, die wir weltweit anwenden können. Wir schaffen auch genauere regionale Poverty Clocks, zum Beispiel eine für Afrika, und wir erweitern die Methode, um ländliche Armut zu verdeutlichen. Vielleicht werden wir auch noch Instrumente zur Messung anderer SDGs wie Hunger, Wasser oder Sanitäreinrichtungen entwickeln.


Homi Kharas ist Senior Economic Adviser des World Data Lab sowie Interims-Vize-Präsident und Direktor des Global-Economy-and-Development-Programms der Brookings Institution in Washington.
hkharas@brookings.edu

 

Korrekturhinweis: Ursprünglich stand fälschlicherweise die Zahl 634 Millionen (statt korrekt 637 Millionen) im Vorspann sowie in der zweiten Antwort (wo es richtig 639 Millionen heißen muss). Der Vorspann gibt den Zeitpunkt des Redaktionsschlusses wider, aber das Interview wurde Anfang August von Homi Kharas autorisiert.

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