50 Jahre BMZ

Die Perspektive Afrikas

Die heutige Entwicklungszusammenarbeit „made in Germany“ hat nur noch wenig mit der „Entwicklungshilfe“ von 1961 zu tun. Sich auf Armutsbekämpfung zu konzen­trieren ist gut, und Deutschland legt heute mehr Wert auf Zusammenarbeit. Dennoch könnten deutsche Hilfsprogramme in Afrika noch größere Schlagkraft bekommen.


Von Sipho Moyo

Im Kalten Krieg war Entwicklungshilfe für Afrika eine höchst politische Angelegenheit. Die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg war nicht nur eine innerdeutsche Angelegenheit – sie war auch auf dem afrikanischen Kontinent spürbar, wo viele Stellvertreterkriege ausgetragen wurden. Die afrikanischen Länder hatten jahrzehntelang mit zwei deutschen Staaten und ihrer jeweiligen politischen Philosophie zu tun.

DDR-Politik

In ihren ersten Jahren war das höchste diplomatische Ziel der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) die internationale Anerkennung. Die Entkolonisierung Afrikas, die allein im Jahr 1960 siebzehn Staaten unabhängig werden ließ, bot dafür große Chancen. Gleichzeitig versuchte die Bundesrepublik, die Anerkennung ihres sozialistischen Rivalen zu verhindern. Den Anstoß, sich in Afrika zu engagieren, gab anfangs also vor allem der Wettbewerb der ökonomischen und politischen Weltanschauungen der beiden deutschen Staaten.

Dieser Wettbewerb allein kann aber das Ausmaß der „solidarischen Unterstützung“ Afrikas durch die DDR (die Ostdeutschen sprachen niemals von „Entwicklungshilfe“ oder „Entwicklungszusammenarbeit“) nicht erklären. Mit dem Beitritt der DDR zu den UN 1973 war die diplomatische Anerkennung kein großes Thema mehr. Viele der jungen afrikanischen Staaten verwendeten eine gewisse sozialistische Rhetorik, so dass „Antikolonialismus“ zum Schlüsselkonzept der DDR für die Unterstützung Afrikas wurde.

Die Solidarität der DDR bezog sich vor allem auf sozialistische Länder: Angola, Mosambik und Äthiopien. Sie kooperierte aber auch mit Ländern mit einer „sozialistischen Neigung“, wie Sambia, Tansania oder Guinea-Bissau. Die Unterstützung reichte von Sprach-, Berufs- und Universitätsausbildung (in der DDR und in den Partnerländern) über Unterstützung des Gesundheitswesens bis hin zu Hilfe in strategischen und hochpolitischen Gebieten, wie der Bereitstellung von Militärberatern und -ausrüstung sowie medizinische Hilfe für verletzte Freiheitskämpfer. In einigen Fällen unterstützte die DDR Befreiungsbewegungen, die später zu Regierungsparteien wurden – etwa die SWAPO in Namibia oder den ANC in Süd­afrika.

Hochrangige (ehemalige) Vertreter dieser Parteien schätzen noch immer die frühe, entscheidende Unterstützung, die sie von der DDR erhielten. Ein weiteres Erbe dieser Ära sind in verschiedenen Ländern gut ausgebildete technische Experten und Facharbeiter, die ihren Beruf in der DDR gelernt haben und Deutsch sprechen. In Mosambik etwa werden viele Reisende einem „Djermani“ begegnen, einem früheren DDR-Stipendiaten.

Gleich, nur umgekehrt

Im Kalten Krieg wurde westdeutsche Entwicklungshilfe als „gleich, nur mit anderem Vorzeichen“ wahrgenommen: Sie betonte ebenfalls Bildung – besonders die Berufsbildung – und unterstützte ihrerseits mit Sicherheitsexpertise politisch umstrittene Länder. Einige Afrikaner denken, Westdeutschland hätte neu­traler sein oder stärker die Unabhängigkeitsbewegungen wie die SWAPO in Namibia oder Freiheitskämpfer wie Kwame Nkrumah (in Ghana) unterstützen sollen. Doch die Logik des Kalten Krieges ließ das nicht zu.

Für sich genommen folgte die Bundesrepublik – wie alle anderen westlichen Länder – der Gruppe der internationalen Geber in den Partnerländern, in ­denen die Weltbank eine wichtige Rolle spielte. ­Dennoch sind einige Besonderheiten zu erwähnen. Traditionell galt Deutschland wegen seiner Ergebnisorientierung und der auf Dauer angelegten Beziehungen als guter Partner für Regierungen, lokale Behörden und die Zivilgesellschaft. Die westdeutsche Hilfe hatte zudem ein „Gesicht“, da viele deutsche Entwicklungshelfer in Länderbüros und Provinzen präsent waren. Das lag hauptsächlich daran, dass die deutsche Hilfe sehr stark technischer Natur war: Sie war praktisch orientiert und am Ergebnis ausgerichtet. Ebenso wie Technik „made in Germany“ galt auch die Entwicklungszusammenarbeit als solide, beständig und etabliert.

Aktuelle Herausforderungen

Im vergangenen Jahrzehnt ist der Ruf nach ergebnis­orientierter Entwicklungspolitik in den deutschen Botschaften und den afrikanischen Büros der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) lauter geworden. Das entspricht dem allgemeinen Trend in der Gebergemeinschaft. Die deutsche Entwicklungspolitik kann mehr in Sachen Ergebnisorientierung tun. Sie könnte von den Norwegern lernen, die ihre langjährige Erfahrung gern weitergeben. So gibt es ein viel versprechendes deutsch-norwegisches Pilotprojekt im Gesundheitssektor Malawis. Es ist noch jung, so dass noch keine Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können. Aber Deutschland sollte es zur Fallstudie nutzen, sorgfältig auswerten, die Ergebnisse bekanntmachen und – wenn die Evaluierung positiv ausfällt – das Konzept anderswo weiterverwenden.

Ergebnisorientierung ist aus zwei Gründen wichtig. Manche westliche Politiker wollen zeigen, dass sie das Steuergeld sinnvoll verwenden. Das ist legitim. Aber für die Menschen in Afrika kommt es noch mehr auf Ergebnisse an. Für sie bedeutet der Erfolg eines Projekts den Unterschied zwischen guter und gar keiner Gesundheitsversorgung, zwischen sicherem und gar keinem Wasser, zwischen solider Schulbildung und Analphabetismus. Daher achten afrikanische Interessengruppen – nicht nur Regierungen, sondern auch Akteure in Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft – zunehmend darauf, dass ordentliche Ergebnisse erzielt werden. Sie wissen aus Erfahrung, dass sie es sind, die von erfolgreichen Entwicklungsprogrammen am meisten profitieren. Und deutsche Entwicklungsprofis in Afrika wissen, dass ergebnisorientierte Programme auf die Bedürfnisse der Bürger ausgerichtet sein müssen.

Zweifellos muss die Rolle afrikanischer Bürger gestärkt werden. Alle Beteiligten müssen im Kampf gegen zu niedrige Erwartungen, schlechte Standards und Veruntreuung öffentlicher Gelder kooperieren. Immer wieder sind wir bei ONE verblüfft, wie kreativ sich Afrikaner Gehör verschaffen – beispielsweise mit moderner Technik. In Tansania etwa dienen Handys dazu, über Fehlleistungen zu informieren. Schulkinder können per SMS an eine zentrale Nummer Lehrer, die nicht zum Unterricht erscheinen, melden. Solche Daten werden im Internet veröffentlicht und verstärken den Ruf nach Besserung. Möglicherweise kann die deutsche Entwicklungspolitik diesen Ansatz nutzen, um den afrikanischen Partnern mehr Mitsprache zu gewähren. Solches Graswurzel-Monitoring sollte offizielle Evaluierungen ergänzen, denn es würde zu mehr Transparenz beitragen.

Afrikanischen Partnern fällt ein weiteres Problem auf, das aber nicht nur die deutsche Entwicklungszusammenarbeit betrifft: die Doppelung und Überlappung der Arbeit verschiedener Durchführungsorganisationen. Das Ausmaß ist von Land zu Land unterschiedlich. In einigen – aber nicht allen – Ländern stimmt die Arbeitsteilung zwischen KfW, GTZ, InWEnt und DED, sodass die besonderen Stärken dieser Institutionen genutzt werden. Ich weiß, dass die drei letzt­genannten Organisationen vor kurzem zur GIZ zusammengeschlossen wurden. Vor Ort arbeiten sie aber noch immer separat. Die Fusion ist willkommen, denn die Vielzahl der Institutionen war verwirrend und unübersichtlich. Oft wussten Afrikaner nicht, an wen sie sich wenden sollten, wenn sie mit Deutschland zusammenarbeiten wollten. Die Kommunikation wird jetzt klarer – und das gilt auch für die Zuständigkeit für die Implementierung deutscher Politik in Afrika.

Aus afrikanischer Sicht bietet die Fusion eine Chance, einige Aspekte der deutschen Entwicklungspolitik zu modernisieren. Selbstverständlich sollten alle Geber sicherstellen, dass ihre Arbeit in Ländern, in denen die nationale Verwaltung funktioniert, lokale Behörden stärkt und nicht unterläuft. Sie sollten deshalb zum Beispiel das örtliche öffentliche Beschaffungswesen nutzen. In einigen Ländern wäre es auch möglich, die geleistete Hilfe im nationalen Haushalt auszuweisen, um dem Parlament die Kontrolle zu ermöglichen.

Es ist aufgefallen, dass Deutschland trotz eines gewissen Anstiegs seiner staatlichen Entwicklungshilfe (ODA) vom zweitgrößten Geber weltweit im Jahr 2008 auf Platz vier im Jahr 2010 zurückgefallen ist. Für die Länder südlich der Sahara war Deutschland in den vergangenen Jahren der viertgrößte Geber, aber Japan rückt auf und wird Deutschland voraussichtlich überholen.

Seit einigen Jahren führen Geber und Entwicklungsländer häufiger und effektivere Politikdialoge auf Länderebene. Vor kurzem war ich Vorsitzende einer Gruppe von 14 Gebern, die Tansania Budgethilfe leisten. Dabei leitete ich auch den politischen Dialog zwischen den Gebern und der dortigen Regierung. Ich weiß aus Erfahrung, dass diejenigen ­Geber, die sich am stärksten an den ökonomischen Entwicklungsstrategien eines Partnerlandes orientieren und ihre Entwicklungszusammenarbeit in nationale Anstrengungen integrieren, den besten Zugang zu den Regierungen finden und auch den größten Einfluss auf deren Entscheidungen haben. Dass Deutschland an Bedeutung als großer Geber einbüßt und nur geringe Fortschritte dabei macht, ­die Systeme der Länder zu nutzen, führt dazu, dass andere Geber im Politikdialog mehr Gewicht bekommen.

Ausblick

Deutsche Projekte unterstützen die afrikanischen Gesundheitssysteme, bauen die Wasserversorgung aus und entwickeln die afrikanische Landwirtschaft. Diese solide Arbeit sollte und wird künftig mit gewohnter Effizienz, Effektivität und dem gleichen partnerschaftlichen Ansatz weitergehen. Aber über die seit Jahren bewährten Methoden hinaus sollte Deutschland sich auch an innovative Ansätze heranwagen. Diese sind möglicherweise riskanter. Aber wie bei jeder Investition bringt Risiko auch poten­tiell höheren Gewinn. Auf einem sich schnell wandelnden Kontinent mit beeindruckenden ökonomischen Wachstumsraten werden sich risikoreichere Investitionen wahrscheinlich auszahlen.

Bevor es so weit ist, den 100. Geburtstag des BMZ zu feiern, sollte Afrika keine ODA mehr brauchen. Das ist eine Vision, an deren Realisierung verschiedene afrikanische Führer wie Paul Kagame in Ruanda hart arbeiten. Deutschlands Einfluss auf Afrika ist vielfältig: Als Handelspartner schafft es Nachfrage für afrikanische Produkte und liefert notwendige Waren für die Industrialisierung. Deutsche Unternehmen investieren in Afrika und deutsche Experten beraten afrikanische Regierungen. Deutschland eignet sich daher auch für die nächsten 50 Jahre gut als strategischer Entwicklungspartner. Die heutige Investition in das „afrikanische Jahrzehnt“ durch Entwicklungsprogramme wird Deutschlands Partnerschaft mit Afrika über die Entwicklungshilfe-Ära hinaus stärken.

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