Leben mit der Natur

Boliviens außergewöhnliche Biodiversität ist bedroht

Bolivien verfügt über eine außergewöhnlich große Biodiversität. Gut ein Viertel der Landesfläche ist ihrem Schutz gewidmet. Doch zahlreiche menschliche Aktivitäten bedrohen diese Vielfalt.
Brillenbär in der Nähe einer Siedlung. Tomás Calahuma Brillenbär in der Nähe einer Siedlung.

Bolivien gehört zu den 15 biologisch vielfältigsten Ländern der Erde. Das Land ist Heimat einer Vielzahl an Arten von Vögeln, Säugetieren, Schmetterlingen, Amphibien und Süßwasserfischen. Das Gleiche gilt für Knollen, Getreide, Gemüse, Obstbäume und weitere Pflanzen. Nach Angaben des bolivianischen Umweltministeriums beherbergt das südamerikanische Land rund 40 Prozent der Biodiversität der Welt, zu der neben der Artenvielfalt auch die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme gehören. Diese reichen in Bolivien vom Hochland der Anden bis zum tropischen Regenwald im Amazonasgebiet und schließen Wüsten, Steppen und verschiedene Wald­arten ein.

Um diesen Reichtum zu bewahren, hat Bolivien seit dem vorigen Jahrhundert insgesamt 137 Schutzgebiete eingerichtet, darunter 22 auf nationaler Ebene. Zusammen machen sie etwas mehr als ein Viertel der Landesfläche aus. Erklärtes Ziel ist es, Abholzung und Ausbeutung von natürlichen Ressourcen in diesen Gebieten zu stoppen.

Die Gebiete haben einen unterschiedlichen Schutzstatus. So ist beispielsweise in den Nationalparks jegliche Ressourcennutzung oder Infrastrukturmaßnahme verboten, einzelne Aktivitäten wie wissenschaftliche Forschung, Ökotourismus und Umweltbildung sind hingegen erlaubt. Auch dürfen die dort seit jeher ansässigen indigenen Gruppen ihrer Subsistenzwirtschaft nachgehen, wenn sie dafür eine Genehmigung haben. In anderen Schutzgebieten wie den ANMI (Área Natural de Manejo Integrado – Naturgebiet mit integrierter Bewirtschaftung) hingegen ist auch eine integrierte Bewirtschaftung erlaubt, die über reine Selbstversorgung hinausgeht.

Insgesamt leben schätzungsweise rund 150 000 Menschen legal in den bolivianischen Schutzgebieten. Die meisten von ihnen sind Indigene, die die natürlichen Ressourcen auf traditionelle, nachhaltige Weise nutzen. Sie leben im Einklang mit der Natur und stellen keine Bedrohung für die Biodiversität dar.

Diese kommt von anderer Seite. Zu den zahlreichen, gut belegten Gefahren für die natürlichen Ressourcen und die Artenvielfalt in den Schutzgebieten Boliviens gehören Wilderei, illegaler Handel mit Pflanzen und Tieren, Drogenhandel, Landnahme und Abholzung. Hinzu kommt die Förderung von Bodenschätzen wie Erdöl, Erdgas oder Gold.

Darin zeigt sich ein Widerspruch in der bolivianischen Politik, die zum einen den Schutz der Erde als bedeutsam definiert und zahlreiche Gesetze zu diesem Ziel formuliert hat, zum anderen aber viele Schlupflöcher beispielsweise für Abholzung und Brandrodung eröffnet und die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen – direkt oder indirekt – befördert. 2015 hat die damalige Regierung unter Präsident Evo Morales sogar ein Dekret erlassen, das den Abbau fossiler Rohstoffe in Schutzgebieten erlaubt. Es geht vor allem um die Förderung von Erdöl und Erdgas. Das Dekret ist nach wie vor in Kraft.

Traditionelle Praxis Brandrodung

Von den 22 nationalen Schutzgebieten befinden sich sieben im Süden Boliviens. Sie sind auf nationaler wie internationaler Ebene wesentlich weniger bekannt als die Schutzgebiete in der Amazonasregion im Norden und Osten des Landes und erhalten nur wenige staatliche Mittel für ihre Verwaltung. Auch die Bedürfnisse der Anwohner*innen in den Zonen, in denen menschliche Eingriffe erlaubt sind, finden kaum Beachtung. „Wir leben in der Vergessenheit der Behörden, ohne Entwicklungsmöglichkeiten, ohne unsere Produkte verkaufen zu können“, sagt Mauro Castillo aus dem Dorf Potreros, das zur ANMI Serranía del Iñao gehört. „Sie sagen uns nur, dass wir den Wald nicht abholzen dürfen.“ Das 2631 Quadratkilometer große Schutzgebiet, zu dem auch ein großer Nationalpark gehört, liegt in den Anden auf bis zu 2800 Meter Höhe im Departamento Chuquisaca.

Juana Carballo, aus dem gleichen Dorf, fügt hinzu: „Auch wenn es abgelegen ist, ist es schön, hier zu leben. Es gibt eine große Vielfalt an Bäumen und Tieren, und man kann alles anbauen. Allerdings sind unsere Felder steil und wir können sie nur drei oder vier Jahre lang bewirtschaften. Danach verlieren sie ihre Leistungsfähigkeit, und wir müssen neue Flächen brandroden.“ Diese traditionelle Praxis ist eine der Haupt­ursachen für den Verlust der Umweltfunktionen der Schutzgebiete. Immer mehr Familien ziehen hierher und bestellen Felder an den Hängen der Berge. Sobald diese ihre Fruchtbarkeit aufgrund von Bewirtschaftung und Erosion verlieren, schaffen sie neue Flächen.

Ein weiterer Faktor ist die Freiland- und Weidehaltung von Vieh. Die Nutztiere beeinträchtigen die natürliche Regeneration des Graslands und dringen in Gebiete vor, in denen Wildtiere leben. Deren Lebensraum schwindet, so dass sie ihrerseits die Nutztiere angreifen. Das führt zu Konflikten zwischen Rangern, deren Aufgabe der Schutz der Wildtiere ist, und Anwohner*innen, die ihre Nutztiere bedroht sehen.

Arten verschwinden

Tomás Calahuma, Chef der Ranger der ANMI El Palmar in Presto, die ebenfalls in Chuquisaca liegt, sagt: „Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen führt dazu, dass Tiere wie der Brillenbär isoliert werden und keine Nahrung mehr finden.“ Kürzlich tauchte ein Brillenbär in der Nähe einer menschlichen Siedlung auf. Die Art ist endemisch in den tropischen Anden und wird auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources – IUCN) als gefährdet geführt.

„Es ist nicht zu leugnen, dass es in dieser Gegend Handel und Abholzung gibt, die zum Schwinden der Biodiversität führen“, sagt Umweltschutzaktivist Alexis Montellano. „Zum Beispiel stellen wir in diesem Jahr in El Palmar eine Abnahme der Fläche fest, auf der eine Palmenart wächst, die es nur in dieser Gegend gibt. Und im Nationalpark Iñao gibt es ständig Brandrodungen, die zu Waldbränden werden.“ Montellano beklagt zudem das Fehlen jährlicher Monitoringberichte. „Die Strategien zum Schutz der hiesigen Biodiversität müssen überdacht werden“, fordert er. Auch die Zivilgesellschaft ist hier gefordert.

Die Problematik ist nicht auf Bolivien beschränkt. „Auf der ganzen Welt hat die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen zum Verlust von Biodiversität geführt“, sagt Montellano, „bis hin zu dem Punkt, an dem heimische Arten und Wildtiere ganz verschwinden.“ Er weist darauf hin, dass heutzutage die Mehrheit aller Lebewesen Nutzpflanzen und -tiere seien. „Wildpflanzen und -tiere sind weltweit bedroht.“ Expert*innen gehen davon aus, dass zahlreiche Arten, die aussterben, noch gar nicht entdeckt wurden – auch in Bolivien, wo viele Gebiete unerforscht sind.

Zulma Martínez Vargas von der Fundación Acción Cultural Loyola koordiniert das vom Weltfriedensdienst (WFD) im Rahmen des Programms Ziviler Friedensdienst unterstützte Projekt „Friedenskultur und Dialog für das gute Leben im Süden Boliviens“.
marromer21@gmail.com

Katja Dombrowski ist ehemalige Redakteurin von E+Z/D+C und derzeit als Medienfachkraft des Weltfriedensdienstes (WFD) im Süden Boliviens tätig.
dombrowski@wfd.de

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