Ebola

Geheilt, aber nicht ­gesund

Sierra Leone wird noch lange brauchen, um die Folgen der Ebola-Epidemie zu überwinden. Es hat sich gezeigt, wie untrennbar das Ausbrechen der Seuche mit der sozialen und wirtschaftlichen Lage der betroffenen Region zusammenhängt. Jahrzehntelange Ausgrenzung und gesellschaftliche Ungleichheit spielen dabei eine gewichtige Rolle. Diese Themen müssen daher auch bei der Frage, wie die betroffenen Länder stabilisiert werden können, eine zentrale Bedeutung bekommen.
Aktuelle Anti-Ebola-Kampagne in Freetown, Sierra Leone. AP Photo/picture-alliance Aktuelle Anti-Ebola-Kampagne in Freetown, Sierra Leone.

2014 fand der Ebola-Virus in Westafrika beste Voraussetzungen, sich zu verbreiten. Die Gesundheitssysteme der drei hauptbetroffenen Länder Guinea, Liberia und Sierra Leone gehören zu den schwächsten weltweit. Ebola fegte auf unerbittliche Weise über das Land hinweg. Zehntausend Menschen infizierten sich allein in Sierra Leone mit Ebola, annähernd 4000 Menschen starben. Insgesamt fielen mehr als 11 000 Menschen der Epidemie zum Opfer. Bis heute liegt Trauer über den Tod von Familienangehörigen und Freunden über Sierra Leone. Aber auch die Angst vor einer neuerlichen Infektion und das Ohnmachtsgefühl, von der eigenen Regierung und der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen worden zu sein, herrschen noch vor. Doch stets wird auch spürbar, wie stolz die Menschen darauf sind, dass sie Ebola in einem kollektiven Akt besiegt haben. Zugleich ist ihnen sehr genau bewusst, dass sie aufgrund der fehlenden Gesundheitsinfrastruktur gar keine andere Wahl hatten.

„Do or die“ lautete die lakonische Antwort auf die Frage, wie sich Tausende Community-Worker, die für ihre Arbeit oft nur kleinste Aufwandsentschädigungen erhielten, motivieren konnten. Sie gingen monatelang von Tür zu Tür, um die Menschen über Gefahren und Schutzmöglichkeiten aufzuklären. Die Bevölkerung ist stolz auf alle, die „an vorderster Front“ für die Erkrankten und gegen den Virus gekämpft haben und von denen sich so viele aufgrund der schlechten Ausstattung der Krankenstationen selbst angesteckt haben und gestorben sind.

Die Menschen haben ihr Handeln als Selbstermächtigung erlebt und zugleich die Abwesenheit des Staates und dessen Versagen beim Aufbau einer Infrastruktur im Gesundheits- und Bildungsbereich am eigenen Körper gespürt. Seit Jahrzehnten gelingt es den wechselnden Regierungen in Sierra Leone nicht, ein öffentliches Gesundheitssystem aufzubauen.


Gesellschaftlicher Gleichmacher

Willkür und Bestechlichkeit, die sonst Bestandteil des alltäglichen Erlebens in Sierra Leone sind, wurden während der Epidemie weniger geduldet als sonst. Die politische Führung stand nicht wie üblich über dem Gesetz. Ungläubig staunend nahm man in Sierra Leone zur Kenntnis, dass Vizepräsident Samuel Sam-Sumana 21 Tage unter Quarantäne gestellt wurde, nachdem einer seiner Leibwächter an Ebola gestorben war. Und dass ein hochrangiger Minister an einer Straßensperre an der Weiterfahrt gehindert wurde, weil auch er sich an die verhängten Reiserestriktionen innerhalb des Landes halten musste. Die eingeführten Regeln zur Seuchenbekämpfung galten tatsächlich für alle in gleicher Weise. Ebola wirkte als gesellschaftlicher Gleichmacher.

Die Erleichterung über das Ende der Epidemie und die wiedererlangte Bewegungsfreiheit wird von existenziellen Ängsten überlagert. „Derzeit kann niemand mit Gewissheit sagen, wie sich der Virus in den Körpern der Überlebenden weiterentwickelt“, sagt Archchun Ariyarajah von der Weltgesundheitsorganisation WHO in Freetown. Die Überlebenden haben jeden Tag mit zahlreichen Begleiterscheinungen zu kämpfen, die oft erst mit zeitlicher Verzögerung auftreten. Diese reichen von starken Gelenkschmerzen über massive Sehstörungen bis zu depressiven Verstimmungen. Das wirkt sich auf Familie und Gesellschaft aus: Der Wegfall einer Arbeitskraft bedroht oft die Existenz der gesamten Familie.

Die große Armut der Menschen erschwert den Heilungsprozess in doppelter Hinsicht. „Wir waren vorher schon sehr arm. Während der Epidemie konnten wir unsere Felder nicht bestellen, weil wir unter Quarantäne standen. Wir haben die Ernte verloren und konnten keine Vorräte anlegen“, erzählt Musa Koroma. Seine Augen sind gerötet, sein sportlicher Körper ist von Schmerzen gezeichnet. Er hat auch jeden Besitz verloren: „Nachdem wir in das Ebola-Zentrum gebracht wurden, wurde alles verbrannt. Eine Sicherheitsmaßnahme, aber wir stehen vor dem Nichts. Wie die Kriegsrückkehrer damals.“

Als eine Maßnahme für die bessere Versorgung von Ebola-Überlebenden wird seitens der Regierung in der jüngst veröffentlichten Post-Ebola-Strategie überlegt, den Überlebenden kostenlose Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen. Doch wo keine Krankenstationen in erreichbarer Nähe sind, wird dies kurzfristig nicht viel nützen.

Viele Überlebende leiden zudem darunter, dass das Umfeld ihnen mit Misstrauen und Ausgrenzung begegnet. Mancherorts werden sie für alles Unheil verantwortlich gemacht und können gar nicht nach Hause zurückkehren. „Sogar Verwandte reagieren mit Abwehr, weil sie selbst nach Jahrzehnten extremer Armut oft nicht wissen, wie sie überleben sollen“, sagt Abu Brima von der Menschenrechtsorganisation Network Movement for Justice and Development (NMJD). Er schlägt daher vor, alle Antistigmatisierungsmaßnahmen innerhalb der Communities zu verorten. Zum einen, um die Verantwortung zu kollektivieren, und zum anderen, um die Überlebenden nicht zu isolieren. Damit hat man nach dem Krieg schlechte Erfahrungen gemacht, als die Kriegsversehrten – vor allem diejenigen, die im Krieg grausam verstümmelt wurden – in separierten Camps untergebracht wurden.


Umverteilung im Gesundheitssystem

Wo soll das Geld für den Aufbau herkommen? Um die Staatseinnahmen zu erhöhen, ist es wichtig, die Wirtschaft zu diversifizieren, die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu fördern und eine weiterverarbeitende Industrie im Land zu etablieren. Klar ist, dass derzeit keines der betroffenen Länder in der Lage ist, Gesundheitssysteme aus eigener Kraft zu finanzieren. Unabdingbar sind Mittel von externen Geldgebern, die unabhängig kontrolliert werden müssen.

Die jüngst veröffentlichten Panama Papers lassen erahnen, welche Mittel den Post-Ebola-Ländern potenziell bereitstünden. Steueroasen trockenzulegen könnte einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Staatseinnahmen leisten und – vielleicht noch wichtiger – das Vertrauen in den Staat wiederherstellen. Der Verlust dieses Vertrauens hatte die Ebola-Bekämpfung so erschwert.

Die Forderung nach finanzieller Unterstützung im Gesundheitssystem geht über Ebola weit hinaus. Ein internationaler Finanzierungsmechanismus ist vonnöten, der alle Länder, die dazu imstande sind, verpflichtet, auch zu den Sozialbudgets der ärmeren Länder beizutragen. Auf diese Weise würde das im nationalen Rahmen längst geübte Solidaritätsprinzip ins Globale ausgeweitet. Der Aufbau von funktionierenden Gesundheitssystemen scheitert nicht an fehlenden Ressourcen, sondern an der Weigerung der reichen Länder, die bestehenden Ressourcen global gerecht zu verteilen.


Abwanderung von Ärzten verhindern

Sierra Leone beschäftigt weniger als 300 Ärzte; allein in der Frankfurter Uniklinik arbeiten etwa dreimal so viele. Infolge der Epidemie gab es noch weniger Gesundheitsversorgung als üblich – in der Folge verdoppelte sich die Zahl der Malariatoten, auch die Müttersterblichkeit stieg wieder an, ebenso die Neuinfektionen mit Masern. Vergleichbare Entwicklungen sind in den Nachbarländern zu beobachten.

Patienten müssen die Behandlung in einer Gesundheitsstation oder einem Krankenhaus fast immer privat bezahlen, trotz offiziell kostenloser Mutter-Kind-Gesundheitsprogramme. Wegen der  fehlenden öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur konnte sich der Ausbruch erst zu einer Epidemie auswachsen. Ohne eine funktionierende Gesundheitsinfrastruktur und gut ausgebildetes Personal werde es auch in Zukunft keine wirksame Seuchenkontrolle geben, erläutert Albrecht Jahn von der Universität Heidelberg. Das Problem ist, dass lediglich zehn Prozent der im Land ausgebildeten Mediziner nach dem Studium in der Heimat bleiben. Die große Mehrheit wandert auf der Suche nach annehmbaren Verdienstmöglichkeiten aus oder wird sogar gezielt abgeworben.

Ein erster Baustein für eine wirksame strukturelle Prävention sollte es daher sein, Abwanderung von Fachpersonal zu reduzieren. Das könnte durch einen verbindlichen Verhaltenskodex für Anwerbung von Gesundheitsfachkräften geschehen. „Außerdem muss die Regierung endlich ihrer Verantwortung nachkommen, die Gehälter im Gesundheits- und Bildungsbereich so zu erhöhen, dass eine Bleibeperspektive eröffnet wird“, sagt Sheku Mansaray von der Hilfsorganisation Sladea, die die Ebola-Hilfe für die Kirchen gesteuert hat.

Die lokale Bevölkerung mit ihrer Fachexpertise einzubeziehen und die nötige Empathie waren die Schlüsselfaktoren, die Epidemie zurückzudrängen. Gestärkt von dieser Erfahrung, erwarten die Bevölkerung nun grundlegende Veränderungen im Gesundheitssystem. Die Teilnehmer einer ersten Post-Ebola-Konferenz in Freetown zu Beginn des Jahres forderten auch gesundheitsfördernde Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Als nächster Schritt einer Politik, die an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist, wäre eine Verfassungsreform nötig. Dies fordern zivilgesellschaftliche Akteure wie das Civil Society Forum aus Sierra Leone. Sie wollen erreichen, dass das Recht auf Bildung und Gesundheit in die sierra-leonische Verfassung aufgenommen wird. Erfahrungen etwa aus Südafrika zeigen, wie erfolgreich es sein kann, die Regierung auf die Einhaltung der Verfassung verklagen zu können. „Um Macht und Willkür des Staates einzuschränken, ist der Zugang zu Bildung und Gesundheit die wichtigste Voraussetzung“, sagt Abu Brima, Direktor von NMJD.


Anne Jung ist Gesundheitsreferentin bei medico international, einer der Hilfs- und Menschenrechts­organisationen, die seit 2002 mit Partnern in Sierra Leone zusammenarbeiten.
jung@medico.de
http://www.medico.de/ebola

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