Geberländer

Gegen den Trend

Die neue britische Regierung spart fast überall – aber nicht im Department for International Development (DFID). Das Entwicklungsressort wird erstmals von einem konservativen Minister geführt. Andrew Mitchell ist aber kein Neuling auf dem Gebiet – seit 2005 war er im konservativen Schattenkabinett für Entwicklung zuständig.

Von Nicolaus von der Goltz

Sowohl die Themen als auch das Haus waren Mitchell bei Amtsantritt wohlbekannt, er hat sich ein breites Netzwerk aufgebaut und war maßgeblich daran beteiligt, das konservative Grünbuch zur Entwicklungspolitik, „One World Conservatism”, zu verfassen, welches mehr Transparenz und einen stärkeren Fokus auf Resultate fordert. Das Dokument ist der Grundstein für Mitchells Regierungsprogramm.

Zum DFID-Spitzenteam gehören mit den „Junior”-Ministern Alan Duncan und Stephen O’Brian zwei weitere Mitglieder der Konservativen Partei. Anders als in den meisten anderen Ministerien gehört kein Mitglied des liberaldemokratischen Koalitionspartners zur Leitung. Entwicklungspolitisch unterscheiden sich die beiden Parteien allerdings kaum.

Der Koalitionsvertrag vereint Kontinuität und Wandel. Wie die Vorgängerregierung betont auch das neue Kabinett die Millenniumsziele (MDGs). Sie hält nicht nur am eigenständigen Entwicklungsministerium fest, sondern auch am Versprechen, bis 2013 0,7 Prozent des Brutto-Nationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Der Koalitionsvertrag bekennt sich zudem zur Definition der OECD von staatlicher Entwicklungshilfe (ODA for official devel­opment assistance) und spricht sich gegen Lieferbindungen aus.

Neue Akzente setzt Mitchell unter dem Stichwort „Value for Money”. Er sieht Transparenz, Evaluation und Resultate als Kern einer modernen Entwicklungszusammenarbeit. Außerdem will er so den nötigen gesellschaftlichen und politischen Rückhalt für die angestrebten Mittelerhöhungen schaffen. So steht im neuen DFID-Businessplan: „Angesichts der aktuellen Finanzlage ist es unsere besondere Pflicht, zu zeigen, dass wir mit jedem Pfund des Steuerzahlers, das wir in Entwicklung stecken, Nutzen schaffen. Resultate, Transparenz und Rechenschaftspflicht sind unsere Parole und das wird die Richtlinie sein für alles, was wir tun.“

Direkt nach Amtsantritt gab Mitchell eine „Aid Transparency Guarantee” ab: Ab 2011 werden nun alle neuen DFID-Projektdokumente sowie alle Ausgaben über 500 Pfund im Internet veröffentlicht. Eine Independent Commission on Aid Impact (ICAI) wird DFID-Programme evaluieren und direkt dem Parlament berichten. Neue Zusagen soll es nur noch für konkrete Ziele geben. So verpflichtete sich die britische Regierung beim MDG-Gipfel in New York im September dazu, in den nächsten fünf Jahren das Leben von 50 000 (werdenden) Müttern sowie von 250 000 Neugeborenen zu schützen.

Auch werden momentan sämtliche bilateralen Programme DFIDs sowie DFIDs multilaterale Partner in einem umfangreichen Review-Verfahren überprüft. Die demnächst erwarteten Ergebnisse dürften künftige Mittelallokationen und Instrumente stark beeinflussen. Es ist zum Beispiel abzusehen, dass DFID die Zahl seiner Partnerländer weiter reduzieren wird.

Weitere Prioritäten setzt der im November erschienene DFID Business Plan in Wachstumsförderung, Zusammenarbeit mit fragilen Staaten, Stärkung von Frauen und Mädchen sowie in der Bekämpfung des Klimawandels. Konkret soll das folgendermaßen aussehen:
– Ein neu gegründetes Referat für die Privatsektorförderung soll sich um wirtschaftliches Wachstum kümmern und von einem verstärkten Personalaustausch mit der Privatwirtschaft profitieren. Die britische Entwicklungsbank CDC soll sich künftig stärker auf besonders armutsrelevante Investitionen konzentrieren.
– Der Anteil der britischen ODA in fragilen Staaten soll von derzeit rund 23 auf 30 Prozent im Jahr 2014/2015 steigen. Für Afghanistan sollen die Mittel um rund 40 Prozent angehoben werden. Dies wird mit den negativen Auswirkungen von gewaltsamen Konflikten auf die Armutsbekämpfung, aber auch mit den sicherheitspolitischen Interessen Großbritanniens begründet. Die ressortübergreifende Kooperation in fragilen Staaten soll gestärkt werden.
– Neben besserer Schul- und Weiterbildung sowie Mütter- und Kindergesundheit sollen Frauen und Mädchen über wirtschaftliches Empowerment und den Zugang zu moderner Familienplanung gefördert werden. Hierzu machte Großbritannien beim MDG-Summit umfangreiche Zusagen.
– Bei der Bekämpfung des Klimawandels geht es bisher hauptsächlich darum, die Entwicklungspolitik „climate smart” zu machen und Entwicklungsländer bei Anpassung und CO2-Minderung zu unterstützen. Eine engere Kooperation mit der Privatwirtschaft und die Stärkung der Entwicklungsländer in internationalen Klimaverhandlungen werden angestrebt. Für einen „International Climate Financing Fund“ wollen DFID, Klimaschutz- und Umweltministerium gemeinsam 2,9 Milliarden Pfund (3,4 Milliarden Euro) bis 2014/15 zur Verfügung stellen. DFID übernimmt davon 1,8 Milliarden Pfund. Die Klimafinanzierung wird damit 2014/2015 etwa 7,5 Prozent des britischen ODA-Volumens ausmachen.

Mehr Geld für Entwicklung

Der im Oktober verabschiedete Haushaltsentwurf der Regierung für die kommenden vier Jahre sieht im Finanzjahr 2014/15 Einsparungen von 81 Milliarden Pfund vor. Dieses gewaltige Sparpaket wird die Etats der Ministerien durchschnittlich um 19 Prozent senken. Von sechs Millionen Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst sollen 490 000 gestrichen werden. Entgegen diesem Trend soll der DFID-Etat bis 2014/15 um 37 Prozent steigen. Diese Zahlen orientieren sich an den britischen ODA-Zielen und sind darauf ausgerichtet, in den Jahren 2011 und 2012 im Einklang mit den EU-Verpflichtungen je genau das 0,56-Prozent-Ziel zu erreichen und ab 2013 dann – als erstes G8-Land und als erstes großes EU-Mitgliedsland – das 0,7 Prozent-Ziel.

Dies bedeutet eine Steigerung des DFID-Budgets im kommenden Finanzjahr um 300 Millionen Pfund und im darauffolgenden um 700 Millionen Pfund. 2013 wird es dann um 25 Prozent bzw. 2,5 Milliarden Pfund ansteigen. Auch andere Ressorts bekommen zusätzliche ODA-Mittel, allerdings bleibt der Anteil DFIDs an der britischen ODA – mit rund 89 Prozent im Finanzjahr 2014/15 – konstant. Zugleich sollen aber die Verwaltungskosten um ein Drittel sinken und 2014/15 nur noch zwei Prozent des Gesamthaushalts von DFID ausmachen. Schon 2010 wurde die Zahl der DFID-Führungskräfte deutlich verringert. Die bilaterale EZ mit China und Russland wird eingestellt.

Gesellschaftliche Unterstützung

Es ist außergewöhnlich, dass die britische Regierung das Entwicklungsbudget trotz massiver Sparzwänge nicht kürzt, sondern signifikant anhebt – stärker als jeden anderen Etatposten. Das wird mit moralischen Verpflichtungen, aber auch zunehmend mit innen-, außen- und sicherheitspolitischen sowie wirtschaftlichen Interessen gerechtfertigt.

Auch eine parteipolitische Dimension besteht: Alle großen Parteien hatten sich in ihren Wahlprogrammen für das 0,7-Prozent-Ziel ab 2013 ausgesprochen. Premierminister David Cameron hat das Profil der konservativen Partei in den letzten Jahren radikal verändert und sich verstärkt für soziale Themen engagiert. Um die neue Programmatik zu untermauern, versprach er schon vor den Wahlen, die großen Solidaritätsthemen Gesundheitsversorgung und Entwicklungszusammenarbeit von Kürzungen auszunehmen.

Basis dafür ist der kosmopolitische Charakter der britischen Gesellschaft. Das außenpolitische Selbstverständnis Großbritanniens ist davon geprägt, globale Verantwortung übernehmen zu wollen. Die Entwicklungspolitik ist Ausdruck dessen. Immer wieder wird im öffentlichen Diskurs betont, wie prägend „UK Aid” für das Bild der Briten in der Welt ist. Auch bestehen enge Verbindungen zum Commonwealth fort, und ein großer Teil der britischen Bevölkerung stammt aus einer Entwicklungsregion.

Entsprechend groß sind Interesse und zivilgesellschaftliches Engagement. Regierungsunabhängige Organisationen wie OXFAM haben etliche Unterstützer, sie arbeiten professionell und haben engen Kontakt mit dem britischen Parteien- und Beamtenapparat. Sie sind ernstzunehmende politische Machtfaktoren.

Herausforderungen

Programmatisch und finanziell scheint die britische EZ nach dem Regierungswechsel gut aufgestellt. Einige Herausforderungen bleiben aber. So kritisierte etwa die Boulevardpresse die Erhöhung des DFID-Budgets scharf. Das Medieninteresse flaute zwar schnell ab, aber DFID wird künftig wohl genauer beobachtet werden. Auch die neue Evaluierungskommission und die Transparenzgarantie werden DFID anfälliger für Kritik machen – selbst wenn sie langfristig DFIDs Legitimation stärken sollen.

Zudem bleibt abzuwarten, wie DFID den ODA-Anstieg im Jahr 2013 um rund 2,5 Milliarden Pfund bewältigen wird und zusätzliche Gelder für fragile Staaten einsetzt. Dass dabei immer „Value for Money“ garantiert werden kann, scheint fraglich, denn Engagement in diesen Ländern ist immer auch Risikoinvestition. Spannend wird auch sein, wie mehr Mittel bei geringeren Verwaltungskosten abfließen werden.

Entscheidend für den Erfolg der britischen Entwicklungspolitik dürfte auch das Engagement von Premierminister David Cameron sein. Sein ansonsten eher glückloser Vorgänger Gordon Brown war sehr an entwicklungspolitischen Themen interessiert. Camerons Engagement wird maßgeblich dafür sein, welche Akzente sein Land in G8, G20, EU oder auch UN setzen kann. Cameron setzt vor allem auf Handel und tritt zum Beispiel im G20-Kontext für eine afrikanische Freihandelszone und die Neubelebung der Doha Runde der WTO ein. Das sind ebenso sinnvolle wie anspruchsvolle Anliegen.

Die britische Öffentlichkeit verfolgt sehr genau, ob andere Staaten ihre Zusagen erfüllen. Ein Abwärtstrend der ODA-Leistungen in EU und G8 könnte auch die britische Regierung unter Druck setzen. Sie braucht zudem Partner, die sie international in ihrer „Value for Money”-Agenda unterstützen und damit Geber- und Partnerländer weiter aus der Komfortzone locken. Insofern liegt es letztlich auch in der Hand anderer, ob sich das britische Versprechen einer besseren Entwicklungspolitik realisieren lässt.

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