Internationale Beziehungen

Kritische Prüfung

Die Welt ändert sich schnell und wird zunehmend komplex. Die Entwicklungspolitik muss sich anpassen. Einige Herausforderungen sind ihrem System immanent, andere folgen aus übergreifenden globalen Trends. Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind Wirksamkeit und die Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele der UN die maßgeblichen Paradigmen.
Mauretanische Landschaft: Afrikanische Länder sind Klimarisiken ausgesetzt: Bei katastrophalen Wetterereignissen bietet die ARC Versicherungsschutz. Peter Giovannini/Lineair Mauretanische Landschaft: Afrikanische Länder sind Klimarisiken ausgesetzt: Bei katastrophalen Wetterereignissen bietet die ARC Versicherungsschutz.

Entwicklungspolitik kann auf verschiedene Weise erfolgen. Ein besonders anspruchsvolles Konzept ist, Hochschulen aus verschiedenen Ländern gemeinsame Masterprogramme anbieten zu lassen. Manuel Parra von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität kennt sich damit aus. Der Chilene arbeitet am Center for International Health der LMU, das mit mehreren lateinamerikanischen Hochschulen kooperiert, um Gesundheit am Arbeitsplatz voranzubringen. Die Hochschulen bieten einen einschlägigen Masterabschluss im Fernstudium an. Die Zielgruppe sind Fachleute, die von örtlichen Tutoren betreut in ihrer Heimat studieren.

Wie Parra ausführt, dient das Programm nicht nur der Weiterqualifizierung von Profis. Es generiert auch neues Wissen, denn die Abschlussarbeiten beruhen auf empirischer Forschung zu vielfältigen Fragen, die von informeller Beschäftigung bis hin zu psychischen Problemen und Gewalt am Arbeitsplatz reichen.

Das Konzept ist stimmig, aber die Finanzierung kann in einigen der betroffenen Länder, darunter Chile, schon bald zum Problem werden. In diesen Ländern steigt nämlich das Durchschnittseinkommen so sehr, dass Ausgaben zu ihren Gunsten bald nicht mehr als offizielle Entwicklungshilfe (official development assistance – ODA) zählen werden. Stefan Bienefeld vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) berichtet, bislang unterstütze das BMZ die gesamte akademische Arbeit, aber von wohlhabenden Ländern erwartet die Bundesregierung, dass sie ihre akademischen Einrichtungen selbst finanzierten.

Der Bezugsrahmen der Entwicklungspolitik ändert sich auf vielfältige Weise. Das war Thema der Konferenz „Rethinking Development Cooperation“ am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) im September. Laut DIE-Abteilungsleiter Stephan Klingebiel stellen sowohl systemimmanente als auch externe Entwicklungen die gewohnte Praxis infrage. Systemimmanent gewinne beispielsweise die Süd-Süd-Zusammenarbeit an Bedeutung. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel die wachsende Finanzkraft der Asian Infrastructure Investment Bank und der New Development Bank, zweier multilateraler Institute mit Sitz in China, bei denen Schwellenländer den Ton angeben.

Zugleich bedauert Klingebiel, die Wirksamkeitsagenda habe an Schwung verloren. Ihr Startsignal war 2005 die multilaterale Paris Declaration on Aid Effectiveness mit Grundprinzipien wie Geberharmonisierung, Eigenverantwortung der Entwicklungsländer und wechselseitiger Verantwortung aller Partner. Ziel war, staatliche Institutionen und gute Regierungsführung zu stärken, und zu diesem Zweck sollten die etablierten Gegner der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) einheitliche Regeln einhalten (siehe E+Z/D+C e-Paper 2017/02, S. 17). Diese Themen verdienten weiterhin Aufmerksamkeit, urteilt der DIE-Wissenschaftler.

Erneuerungsbedarf gebees aber auch wegen Faktoren, die jenseits der Entwicklungspolitik verankert sind, warnt Klingebiel. So werde etwa das multilaterale System infrage gestellt und populistischer Nationalismus gewinne vielerorts an Einfluss. Migration und Massenflucht seien Wasser auf seine Mühlen. Laut Klingebiels Urteil braucht die Entwicklungspolitik neue Narrative.


Demokratieförderung

In diesem Kontext stellt sich beispielsweise die Frage, ob Demokratieförderung noch legitim ist. Als sie in einer Arbeitsgruppe während der Konferenz formuliert wurde, lautete eine indische Reaktion sofort, südlich des Himalaya werde jegliche Hilfe beim Schutz der Demokratie gebraucht, weil die rechtspopulistische Regierung von Premierminister Narendra Modi sie unterhöhle. In der Diskussion wurde schnell deutlich, dass Demokratieförderung im Sinne des Transfers eines westlichen Modells nicht glaubwürdig ist, dass aber universelle Prinzipien wie Menschenrechte und freie Wahlen uneingeschränkte Unterstützung verdienen.

Der entscheidende Punkt ist, dass Menschen aus aller Welt nach diesen Prinzipien leben wollen. Das haben Demokratiebewegungen in vielen Ländern bewiesen, auch wenn Spitzenpolitiker mit autoritären Neigungen das leugnen. Es ist allerdings bemerkenswert, dass autoritäre Populisten nur selten dank deutlicher Mehrheiten bei Wahlen ins Amt kommen. In Indien gewann Modis Parteienkoalition mit nicht einmal 40 Prozent der Stimmen mehr als die Hälfte der Abgeordnetenmandate. Rodrigo Duterte wurde mit nur 38 Prozent der Stimmen philippinischer Präsident. Donald Trump bekam fast 3 Millionen Stimmen weniger als seine Gegenkandidatin Hillary Clinton, profitierte aber von den Eigenarten des US-Wahlrechts und wurde dennoch Staatschef. Je mehr populistische Politiker im Amt ihre Macht verwenden, um die Verfassung zu verbiegen und der Opposition die Chancen auf Machterwerb zu verbauen, umso mehr verspielen sie ihre demokratische Legitimität.

Demokratie bedeutet selbstverständlich mehr, als dass die Regierungsspitze gewählt ist. Der Anspruch muss sein, Bürger möglichst intensiv in die öffentliche Willensbildung einzubeziehen. Dazu können Entwicklungsorganisationen auf innovative Weise beitragen.

Die nichtstaatliche Welthungerhilfe hat beispielsweise in Liberia an der Formulierung des neuen Landrechts mitgewirkt. Zusammen mit örtlichen Partnern lud sie unterschiedliche Interessengruppen zu runden Tischen und Debatten ein, woraus dann schließlich ein Gesetzgebungsverfahren resultierte. Constanze von Oppeln, eine Mitarbeiterin der Welthungerhilfe, berichtet, es sei nicht darum gegangen, vorformulierte Konzepte zu verabschieden. Das Ziel sei vielmehr gewesen, Liberianer zu befähigen, Regeln zu formulieren, die ihrer Gesellschaft entsprechen. Das neue Gesetz ist nun in Kraft und wird hoffentlich Probleme wie Landraub in den Griff kriegen.


Umfassende Perspektive

Praveen Jha von der Jawaharlal-Nehru-Universität in Delhi räumt ein, Entwicklungszusammenarbeit sei stärker geworden. Er bezweifelt aber, dass sie angesichts umfassender, bedrohlicher Perspektiven wirklich entscheidend ist. Das Finanzkapital habe weltweit zu viel Einfluss, und Schwellenländer wie Indien, Russland und China wetteiferten um die Zahl der meisten Milliardäre, aber Ernährungssicherheit von Menschen sei massenhaft nicht gewährleistet. Aus Jhas Sicht kommt es darauf an, den globalen Kapitalismus zu regulieren. Das geschehe aber nicht.

Auf ähnliche Weise stellt auch Aram Ziai von der Universität Kassel die ODA in Frage. Wichtiger, als Geld ins Ausland zu schicken, sei es, dafür zu sorgen, dass Geld von dort nicht abfließe. Nötig sei beispielsweise die Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung. Grundsätzlich müssten globale Strukturen so gestaltet werden, dass Armut und Ausbeutung unmöglich würden. Marktorthodoxe Globalisierung leiste das nicht.

Ariane Hildebrandt vom BMZ erkennt ihrerseits große globale Herausforderungen, betont aber, dass die ODA-Mittel begrenzt sind. Ihr Ministerium wolle internationale Agenden prägen und orientiere sich an den Paradigmen der Wirksamkeit der Nachhaltigkeits-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs). Das entspreche den aktuellen Anforderungen.

Die Ministerialbeamtin weist darauf hin, das BMZ habe das Evaluierungsinstitut DEval geschaffen, um systematisch aus Erfahrung lernen zu können (siehe E+Z/D+C e-Paper 2017/07, S. 16). Es sei an innovativen Konzepten interessiert. Das Textilbündnis, das ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse bekämpft (siehe E+Z/D+C e-Paper 2015/12, S. 40), nennt sie als ein Beispiel. Ein weiteres ist die Führungsrolle des BMZ bei der Einführung von Klimaversicherungen wie der African Risk Capacity (ARC – siehe E+Z/D+C e-Paper 2018/07, S. 23).

Die ARC ist eine Einrichtung der Afrikanischen Union, die Mitgliedsländern Versicherungen gegen Klimagefahren anbietet. Im Katastrophenfall steht ihnen dann sofort Geld zur Verfügung. Die ARC arbeitet auf der Basis eines langfristigen, zinsfreien Kredits, den Deutschland und Britannien zur Verfügung gestellt haben. Zu den Stärken dieses Konzepts zählt Hildebrandt, dass es die Eigenverantwortung der Partnerregierungen stärkt und eine stimmige Reaktion auf den Klimawandel darstellt.

Dem BMZ sei aber auch klar, dass Veränderungen auch im eigenen Land nötig seien, berichtet Hildebrandt. Deshalb arbeite es beispielsweise daran, das erste klimaneutrale Ministerium Deutschlands zu werden.

 

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