Urbanisierung

„Können Städte nachhaltig sein?“

Überbevölkert, teuer und dreckig – viele Städte sind unwirtliche Lebensräume. Sie bieten aber auch Arbeit für Millionen Menschen und Riesenchancen für die Nutzung klimafreundlicher Technologien. Außerdem sind sie ein Nährboden für Kunst und bürgerschaftliches Engagement.
Stau gehört in der thailändischen Hauptstadt Bangkok zum Alltag. kd Stau gehört in der thailändischen Hauptstadt Bangkok zum Alltag.

Bei der Habitat-III-Konferenz im Oktober in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito geht es um die nachhaltige Entwicklung von Städten und anderen menschlichen Siedlungen. Ziel ist eine „Neue Urbane Agenda“, die eine globale Urbanisierungsstrategie für die nächsten 20 Jahre vorgibt.

Mehr als die Hälfte der Menschheit oder 3,5 Milliarden Menschen leben in Städten. Bis 2030 wird diese Zahl voraussichtlich auf 5 Milliarden steigen. Städte generieren rund 70 Prozent des weltweiten BIP und mehr als 70 Prozent aller Treibhausgasemissionen. Ihr Anteil am globalen Energieverbrauch beträgt 60 Prozent. Außerdem sind sie für 70 Prozent des Mülls der Welt verantwortlich. Was in Städten passiert, ist daher von großer Bedeutung für die weltweite Entwicklung, sei es im Bereich Klimawandel, wirtschaftlicher Wohlstand, soziale Integration oder Regierungsführung.

„Können Städte nachhaltig sein? Die Antwort muss Ja sein“, sagt Michael Renner vom Umweltforschungsinstitut Worldwatch. „Es gibt viele Beispiele, die uns zeigen, dass wir es schaffen können. Aber es muss die geeigneten Rahmenbedingungen geben, größere Ambitionen. Wir brauchen ein Lernen voneinander, eine Verknüpfung von sozialen und Umweltzielen und ein angemessenes bürgerliches Engagement.“

Während Vertreter nationaler Regierungen Vereinbarungen wie die Neue Urbane Agenda verhandeln und unterzeichnen, sind diejenigen, die sie später umsetzen, vor allem Mitarbeiter kommunaler Verwaltungen. Vom Dialog dieser Akteure – der nicht immer einfach ist – hängt vieles ab.

Alexander Carius vom deutschen Forschungs- und Beratungsinstitut Adelphi geht der Frage nach, was globale Stadtentwicklung praktisch bedeutet. Dieser Prozess sei vor allem in Städten selbst vorangetrieben worden, sagte er kürzlich auf einer Veranstaltung der GIZ in Berlin. Weltweite Koordination über Branchen und Regierungsebenen hinweg fehle dagegen bislang.

Günter Meinert von der GIZ betont, dass es auf kommunaler Ebene „sehr starke“ Netze gebe, darunter die Global Taskforce of Local and Regional Governments, eine internationale Steuerungsgruppe für die Kommunalverwaltung, und den Compact of Mayors, einen weltweiten Bund von Bürgermeistern. Doch während diese Gruppen globale Urbanisierungsstrategien vorantrieben, gebe es auf nationaler Ebene ein „erhebliches Vakuum“, so Meinert. Er fordert mehr Zusammenarbeit bei der Politikgestaltung etwa in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit und Umwelt.

Der Habitat-Prozess fordert, dass nationale Stadtentwicklungspolitik „eine Verbindung zwischen den Dynamiken der Urbanisierung und dem Gesamtprozess nationaler Entwicklung schafft“. Das Ziel besteht darin, hohe Lebensqualität für viele Menschen und ambitionierte Nachhaltigkeitsziele unter einen Hut zu bekommen.

Die Herausforderung ist groß. 900 Millionen Menschen, die in Slums leben, sind der Beweis dafür, dass es bislang nicht gelungen ist, existenzsichernde Löhne, bezahlbaren Wohnraum und eine solide Bildung für alle bereitzustellen.

Keine UN-Organisation könne „in die Städte hinein“ regieren, um die Herausforderungen anzugehen, sagt Meinert. Dazu seien sie zu komplex. Beispielsweise seien 80 Prozent aller Jobs in Afrika im informellen Sektor. „Da kann die Antwort nicht sein, dass der informelle Sektor in den formellen Sektor integriert werden muss. 80 Prozent in 20 Prozent geht nicht – schon mathematisch nicht.“

Arbeit ist nicht das einzige Problem. Wohnen und Mobilität sind ebenfalls von großer Bedeutung. Geringverdiener müssen oft aus den immer teurer werdenden Stadtzentren wegziehen und dann zur Arbeit pendeln. So verursachen sie einen immensen CO2-Abdruck. Städte brauchen Einkünfte, damit sie den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen können – möglichst mit sauberen Antrieben.

Viele Städte schränken den individuellen Autoverkehr ein und fördern das Radfahren und Carsharing, um Stau und Luftverschmutzung Herr zu werden. Manche setzen auch auf Anreize für energieeffizientes Bauen. Solche politischen Entscheidungen wirken sich über Stadtgrenzen hinaus aus. Daher müssen Städte, „nicht nur verwaltet, sondern politisch geführt werden“, betont Meinert.

Ellen Thalman

Quelle
Worldwatch, 2016: Can a City Be Sustainable? State of the World 2016.

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